27.06.2019

Neue Probleme bei der Überstundenpauschalierung und Vertrauensarbeitszeit

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Detlef Grimm

Im Zusammenhang mit der Prüfung einer tarifvertragsersetzenden Gesamtbetriebsvereinbarung in einem Rechtsstreit um Überstundenvergütung und/oder Freizeitausgleich zwischen der Gewerkschaft ver.di als Arbeitgeber und einem Gewerkschaftssekretär hat das BAG gestern Bedenken gegen pauschale Abgeltungen von Überstunden geäußert (BAG, Urteil vom 26.06.2019 – 5 AZR 452/18, PM 27/19).

Gewerkschaftssekretäre, die regelmäßig Mehrarbeit leisten, enthalten nach den Allgemeinen Arbeitsbedingungen für die ver.di-Beschäftigten (AAB) als Ausgleich neun freie Arbeitstage im Jahr, unabhängig davon, wie viele Überstunden sie geleistet haben. Der Kläger hatte in einem Projekt – unstrittig – 255,77 Überstunden geleistet. Ver.di verwies auf die Regelung der AAB. Sie habe Überstunden zudem weder angeordnet noch geduldet. Anspruch auf Freizeitausgleich oder Vergütung bestünde nicht.

Das BAG verwies – nachdem der Kläger die ersten beiden Instanzen verloren hatte – die Angelegenheit zurück ans LAG, damit dies den zeitlichen Umfang der Überstunden feststellt.

Die AAB seien insoweit teilunwirksam, als sie für bestimmte Gewerkschaftssekretäre eine pauschalisierte Überstundenvergütung vorsehen. Der Anwendungsbereich der Norm verstoße mit der Voraussetzung „regelmäßiger Mehrarbeit“ gegen das Gebot der Normenklarheit, für die Beschäftigten sei unsicher, wann eine Mehrarbeit regelmäßig sei. Auch sei eine wie immer gerade geregelte Regelmäßigkeit kein taugliches Differenzierungskriterium, ob Überstunden pauschaliert oder „tatsächlich“ nach bewiesenen Überstunden gezahlt würde.

Damit ist hier eine Regelung in einer Betriebsvereinbarung, die an sich nicht der Inhaltskontrolle unterliegt (§ 310 Abs. 4 Satz 1 BGB), mit Blick auf den Transparenzgrundsatz, der hier unter dem Gesichtspunkt des „Gebots der Normenklarheit“ (dazu aus dem Tarifvertragsrecht Löwisch/Rieble, Tarifvertragsgesetz, 4. Auflage 2017, § 1 TVG, Rn. 992) Eingang findet, als unwirksam angesehen worden.

Kollektivarbeitsrechtliche Normen – wie z. B. Tarifverträge – sind nicht mehr justiziabel, wenn die unbestimmten Rechtsbegriffe in kollektivrechtlichen Normen nicht hinreichend strukturiert sind, so dass dem Richter nur eine subjektiv-individuelle, eben willkürliche Entscheidung bleibt. So verhält es sich nach der Rechtsprechung des BAG, wenn ein Tarifvertrag eine „angemessene Vergütung“ vorschreibt, weil damit im Kern die tarifliche Rechtssetzung an den Richter delegiert war (zum ganzen Löwisch/Rieble, a.a.O.).

Eine Eingruppierung nach dem „Gepräge einer Tätigkeit“ hatte das BAG als zu unbestimmt gewertet (BAG v. 27.01.1992 – 4 AZR 435/79 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Banken Nr. 3: „willkürlich und vielfältig auslegbar“). Der Grundsatz der Normenklarheit gilt aufgrund des Rechtsstaatsgebots auch im Betriebsverfassungsrecht (BAG v. 22.08.2006 - 3 AZR 319/05, AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 30).

Besondere Aufmerksamkeit verdient die Entscheidung, weil es in der Pressemitteilung heißt:

„Die Parteien haben „Vertrauensarbeitszeit“ vereinbart, d.h. der Kläger hat über Beginn und Ende der Arbeitszeit grundsätzlich selbst zu entscheiden.“

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass durch die Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit an sich ein Anspruch auf Überstundenabgeltung nicht ausgeschlossen ist, zumal die Verpflichtung zur Aufzeichnung der Arbeitszeit gem. § 16 Abs. 2 ArbZG auch für die die regelmäßige Arbeitszeit übersteigende Vertrauensarbeitszeit gilt (BAG v. 06.05.2003 – 1 ABR 13/02, ArbRB 2003, 364 [Mues]). Und zu den Aufzeichnungspflichten bei der Arbeitszeit ist ja im Moment viel gesagt, wie z.B. hier von unserem Mitblogger Groeger. Das BAG bringt Bewegung in die Diskussion um die Vergütung von Überstunden bei Vertrauensarbeitszeit.

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