24.09.2020

Neues zur Anhörung arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer vor einer außerordentlichen Verdachtskündigung

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Axel Groeger

Arbeitgeber steckten bislang in einer "Zwickmühle", wenn Arbeitnehmer in einer Konstellation, in der der Arbeitgeber eine außerordentliche Verdachtskündigung in Erwägung zog, bereits arbeitsunfähig waren oder sich arbeitsunfähig meldeten: Taten sie nichts und warteten das Ende der Arbeitsunfähigkeit ab, verloren sie nicht nur Zeit (und in der Regel auch Geld, § 3 EFZG), sondern drohte vor allem der Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 BGB; meldeten sie sich dagegen beim Arbeitnehmer, konnte dies als rücksichtslos empfunden werden und je nach den Umständen auch dazu, dass es zumutbar gewesen wäre, die Einlassung des zumindest verbal aufklärungsbereiten Arbeitnehmers abzuwarten. Deswegen konnte dem Arbeitgeber in der Regel nur empfohlen werden, den Verdächtigen auch während einer Erkrankung zu kontaktieren und zur Stellungnahme aufzufordern, jedenfalls solange nicht bekannt und evident war, dass der Arbeitnehmer gesundheitlich nicht in der Lage ist, zu antworten (zutreffend Lunk, ArbRB 2019, 333).

Der 2. Senat des BAG hat dazu jetzt Klarstellungen vorgenommen, die nicht nur praxistauglich sind, sondern die vor allem wegen ihrer darin zum Ausdruck kommenden Vorstellungskraft für die "zwickmühlenartige" Situation und die heterogene Motivation von Arbeitgebern ex ante der Lektüre sehr zu empfehlen und lobend hervorzuheben sind (Urt. v. 11.6.2020 - 2 AZR 442/19).

Grundsätzlich kann (und sollte) der Arbeitgeber, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und gegebenenfalls den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB damit bereits zu laufen beginnt. Dies gilt allerdings nur so lange, wie er aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts und der Beweismittel verschaffen sollen. Ob die Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen oder sich ex post als überflüssig erwiesen haben, ist nicht entscheidend. Für diese Ermittlungen gilt keine Regelfrist. Bei ihnen ist fallbezogen zu beurteilen, ob sie hinreichend zügig betrieben wurden. Sind die Ermittlungen abgeschlossen und hat der Kündigungsberechtigte eine hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt, beginnt der Lauf der Ausschlussfrist. Soll der Arbeitnehmer angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen, die im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen und nur bei Vorliegen besonderer Umstände überschritten werden darf.

Bei Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers gelten für das Anlaufen der Frist des § 626 Abs. 2 BGB nunmehr folgende Grundsätze: Der Arbeitgeber muss - entgegen anderslautender Auffassungen im Schrifttum - wegen seiner nach § 241 Abs. 2 BGB eingeschränkten Kontaktaufnahmemöglichkeit mit dem erkrankten Arbeitnehmer und wegen der fehlenden Verpflichtung des Arbeitnehmers, den Grund und die Auswirkungen seiner Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen, regelmäßig nicht nachforschen, ob der Arbeitnehmer trotz Arbeitsunfähigkeit an einer Anhörung teilnehmen kann oder versuchen, ihn zu der Teilnahme an einer Anhörung zu bewegen. Andererseits darf der Arbeitgeber im Fall der Erkrankung des Arbeitnehmers, nicht beliebig zuwarten, bis er versucht, mit diesem während der Arbeitsunfähigkeit die erforderliche Sachverhaltsaufklärung durchzuführen. Vielmehr ist der Arbeitgeber gehalten, mit dem Arbeitnehmer Kontakt aufzunehmen, um zu klären, ob dieser gesundheitlich in der Lage ist, an der gebotenen Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken, wenn er während der Arbeitsunfähigkeit kündigen und nicht deren Ende abwarten will. Diese Anfrage kann der Arbeitgeber mit einer kurzen Erklärungsfrist verbinden. Wartet der Arbeitgeber, dem der Arbeitnehmer mitteilt, er könne sich wegen einer Erkrankung nicht, auch nicht schriftlich äußern, dessen Gesundung ab, um ihm eine Stellungnahme zu den Vorwürfen zu ermöglichen, liegen in der Regel hinreichende besondere Umstände vor, aufgrund derer der Beginn der Frist des § 626 Abs. 2 BGB entsprechend lange hinausgeschoben wird. Dem Arbeitgeber, der die Möglichkeit einer weiteren Aufklärung durch den Arbeitnehmer trotz der Zeitverzögerung nicht ungenutzt lassen möchte, wird regelmäßig nicht der Vorwurf gemacht werden können, er betreibe keine hinreichend eilige Aufklärung. Umgekehrt verletzt der Arbeitgeber in einem solchen Fall nicht notwendig seine vor einer Verdachtskündigung gegebene Aufklärungspflicht, wenn er von einem weiteren Zuwarten absieht. Ihm kann - abhängig von den Umständen des Einzelfalls - eine weitere Verzögerung unzumutbar sein. Das ist anzunehmen, wenn der Arbeitgeber davon ausgehen darf, der Arbeitnehmer werde sich in absehbarer Zeit nicht äußern. Für die Dauer der „angemessenen“ Frist, binnen welcher der Arbeitgeber an den erkrankten Arbeitnehmer zur Klärung, ob dieser gesundheitlich in der Lage ist, an der Aufklärung des möglichen Kündigungssachverhalts mitzuwirken, bestehen keine starren Grenzen. In seiner Entscheidung vom 27.6.2019 (2 ABR 2/19, ArbRB 2019, 334 [Range-Ditz]) hat das BAG einen Zeitraum von drei Wochen für die Kontaktaufnahme mit einer arbeitsunfähig erkrankten Zeugin wegen der Entbindung von einer Vertraulichkeitsvereinbarung noch als ausreichend angesehen und nicht beanstandet.

Eine Pflicht des Arbeitgebers, frühzeitig Erkundigungen beim arbeitsunfähigen Arbeitnehmer einzuholen, ob er auch während der Arbeitsunfähigkeit zu einem Personalgespräch in den Betrieb kommen kann, läuft unter Umständen einem berechtigten Wunsch des Arbeitgebers zuwider, den Arbeitnehmer zur Vermeidung etwaiger Absprachen nicht frühzeitig über den gegen ihn bestehenden Verdacht in Kenntnis zu setzen (Rn. 52 d. Urt. v. 11.6.2020). Dies korrespondiert mit den Überlegungen des 6. Senats des BAG, dass neben der Gefahr einer Verdunkelung der Tat dem Anzuhörenden auch die Gelegenheit entzogen wird, sich möglichst unbefangen mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen und möglicherweise schon mit seiner spontanen Reaktion eine Entlastung herbeizuführen, wenn ihm das Gesprächsthema vorher mitgeteilt wird, so dass der Arbeitgeber dazu grundsätzlich nicht verpflichtet ist (BAG, Urt. v. 12.2.2015 - 6 AZR 845/13, ArbRB 2015, 165 [Mues]).

RA FAArbR Axel Groeger, Bonn www.redeker.de

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