"Neutralitätspflicht" des Arbeitgebers bei Betriebsratswahlen?
Müssen außer Ministern auch Arbeitgeber bedenken, was sie in welchem Kontext sagen? Oder genießen sie den Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG?
Konkreter:
Hat sich der Arbeitgeber als Gegenspieler des Betriebsrats jeglichen Einflusses auf dessen Zusammensetzung zu enthalten? Unterliegt er einem strikten Neutralitätsgebot? Muss die Betriebsratswahl allein auf der freien Entscheidung der wahlberechtigten Arbeitnehmer beruhen? Müssen die Wähler vor Beeinflussungen durch Vertreter des Arbeitgebers geschützt werden, die geeignet sind, ihre Entscheidungsfreiheit ernstlich zu beeinträchtigen? Ist es dem Arbeitgeber nicht gestattet, Wahlempfehlungen auszusprechen oder gezielt einzelne, ihm besonders geeignete Bewerber zur Kandidatur aufzufordern? Gilt ein derartiges Verbot auch für leitende Angestellte, die der Gesetzgeber im Hinblick auf die Wahrnehmung typischer Unternehmeraufgaben und dem damit verbundenen Interessengegensatz zum Betriebsrat und den Arbeitnehmern aus dem Geltungsbereich des BetrVG ausgenommen hat?
Höchst aktuelle Fragen angesichts der bevorstehenden Betriebsratswahlen 2018. Bislang war die Rechtslage noch wenig geklärt und umstritten (Vgl. HWK/Reichold, 7. Aufl. 2016, § 20 BetrVG Rd. 6). Für Aufklärung sorgt nun eine jüngst veröffentlichte Entscheidung des BAG. Eine wesentliche Wahlvorschrift, die eine Beeinflussung der Betriebsratswahl verbietet, ist § 20 Abs. 2 BetrVG. Ein Verstoß dagegen kann die Anfechtbarkeit einer Wahl begründen. Danach darf niemand die Wahl des Betriebsrats durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen beeinflussen. Als Nachteil ist jedes Übel zu verstehen, das geeignet ist, die freie Willensbestimmung zu beeinträchtigen. Vorteil ist jede Vergünstigung, auf die kein Anspruch besteht. Untersagt ist danach jede Benachteiligung oder Begünstigung etwa durch eine finanzielle Unterstützung einzelner Kandidaten oder Wahlvorschlagslisten mit dem Ziel der Wahlbeeinflussung sowie der auf vielfältige Weise mögliche Versuch eines "Stimmenkaufs" von Arbeitnehmern (vgl. Rieble, ZfA 2003, 283, 291).
§ 20 Abs. 2 BetrVG untersagt aber nicht jede Handlung oder Äußerung, die geeignet sein könnte, die Wahl zu beeinflussen. Die Beeinflussung muss vielmehr durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen erfolgen. Ein striktes, über den Wortlaut des § 20 Abs. 2 BetrVG hinausgehendes Neutralitätsgebot des Arbeitgebers im Zusammenhang mit Betriebsratswahlen würde - so das BAG in seiner Entscheidung (Beschluss vom 25.10.2017 - 7 ABR 10/16, ArbRB online) - zu keinen sinnvollen, rechtssicher handhabbaren Ergebnissen führen. Die Wahlen wären einem hohen Anfechtungsrisiko ausgesetzt, wenn der Arbeitgeber sich jeder kritischen Äußerung über den bestehenden Betriebsrat oder einzelner seiner Mitglieder im Hinblick auf eine zukünftige Wahl enthalten müsste. Das Hessische Landesarbeitsgericht hatte dies noch anders gesehen (Beschluss vom 12.11.2015 - 9 TaBV 44/15, ArbRB 2016, 43 [Wichert]).
Was war der Stein des Anstoßes? Der Personalleiter des Arbeitgebers soll im September 2013 auf einem sog. "Scheunentreffen", einem Mitarbeitertreffen der AT-Angestellten, zu dem die Geschäftsleitung eingeladen hatte, vor ca. 80 Anwesenden geäußert haben, die Betriebsratsvorsitzende behindere die Arbeit des Unternehmens. Er habe in einer Präsentation einen E-Mail-Verkehr zwischen der Arbeitgeberseite und der Betriebsratsvorsitzenden zum Thema: Seminar zum Stressabbau gezeigt. Er habe ihre Arbeit ins Lächerliche gezogen und gesagt, was sich im Augenblick abspiele, sei eine Zumutung. Als ein Mitarbeiter gefragt hätte, was man da machen könne, hätte er gesagt, nächstes Jahr seien ja Betriebsratswahlen, er rege an, eine "gescheite Liste" aufzustellen. Der damalige Geschäftsführer habe gesagt, es seien 50 vom Betriebsrat angestrengte Gerichtsverfahren anhängig. Er habe die Anwesenden mehrfach aufgefordert, geeignete Mitarbeiter des Unternehmens für einen neuen Betriebsrat zu suchen. Die antragstellenden Arbeitnehmer hatten des Weiteren behauptet, der Personalleiter hätte im September/Oktober 2013 Beschäftigte angesprochen, ob sie sich zur Wahl stellen und ggf. den Vorsitz übernehmen wollten. Auf einem Führungskräftetreffen mit Mitarbeitern des Innendienstes mit Führungsverantwortung sei es maßgeblich um die bevorstehenden Betriebsratswahlen gegangen. Dabei habe der Personalleiter gesagt, jeder, der der Betriebsratsvorsitzenden seine Stimme bei der Betriebsratswahl gebe, betreibe Verrat. Frau C dürfe auf keinen Fall wiedergewählt werden.
Bemerkenswert: Das BAG kommt zu dem Ergebnis ganz ohne Heranziehung von Art. 5 Abs. 1 GG. Für Unternehmen, an denen die öffentliche Hand ganz oder überwiegend beteiligt ist, gilt also dasselbe. Das vom BVerfG in anderem Zusammenhang jüngst betonte Neutralitätsgebot von Ministern (BVerfG vom 27.2.2018 - 2 BvE 1/16) betrifft eine andere Frage.
RA FAArbR Axel Groeger, Bonn www.redeker.de