Nicht ohne meinen Anwalt
Grundsätzlich sind Arbeitnehmer nach § 666 BGB i.V.m. § 675 BGB zur umfassenden Auskunft und Rechenschaft über Vorgänge aus dem Arbeitsverhältnis verpflichtet. Das gilt insbesondere auch bei unternehmensinternen Ermittlungen und bei der Anhörung vor einer (Verdachts-)Kündigung. Ob der Arbeitnehmer dabei ein Betriebsratsmitglied hinzuziehen kann, ist umstritten. Im Ergebnis dürfte dies aber zu verneinen sein, wenn es sich nicht um Beratungs- und Führungsgespräche i. S. d. § 82 BetrVG handelt (dazu demnächst Grimm/Freh, Rechte des Betriebsrats bei unternehmensinternen Ermittlungen, ArbRB 2012, Heft 8).
Das LAG Berlin Brandenburg hatte in einem Urteil vom 6.11.2009 (Az. 6 Sa 1121/09, DB 2009, 2724 = LAG § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8) darüber hinaus dem Arbeitnehmer das Recht gegeben, sich bei Anhörungen auch im Vorfeld einer Verdachtskündigung und/oder für den Fall einer möglichen strafrechtlichen Selbstbelastung einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen. Das dürfte wohl auch die Auffassung der Bundesrechtsanwaltskammer in ihrer BRAK-Mitteilung Nr. 35/2010 vom November 2010 zur Durchführung unternehmensinterner Ermittlungen sein.
In einem Urteil vom 18.5.2012 (Az. 28 Ca 3881/12) hat das ArbG Berlin die Auffassung des LAG Berlin pointiert bestätigt. Die amtlichen Leitsätze des Urteils lauten:
„1. Der Arbeitgeber darf dem Arbeitnehmer im Rahmen der vor Ausspruch sogenannter „Verdachtskündigung“ obligatorischen Anhörung u.a. keine Erkenntnisse vorenthalten, die er im Zeitpunkt der Kündigung bereits gewonnen hat und die seiner Ansicht nach den Verdacht begründen (wie Mario Eylert/Anne Friedrichs, DB 2007, 2203, 2205 [II.3.]).
Außerdem hat er dem Arbeitnehmer Gelegenheit zu geben, entweder einen Rechtsanwalt hinzu zu ziehen oder sich über einen Rechtsanwalt innerhalb einer bestimmten Frist schriftlich zu äußern (wie LAG Berlin Brandenburg, 6.11.2009 – 6 Sa 1121/09).
2. Diesen Anforderungen wird es nicht gerecht, wenn der Arbeitgeber den arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer lediglich auffordert, sich im Rahmen einer Telefonkonferenz gegenüber drei Sachwaltern zu zuvor nicht im einzelnen kenntlich gemachten Vorwürfen mündlich zu äußern und sich bei dieser Gelegenheit mit „Stift und Zettel“ Notizen als Gedächtnisstütze zu machen. Verweigert der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer in solcher Lage die von diesem erbetene Verschriftlichung der Anhörungsprozedur, so ist die stattdessen erklärte Verdachtskündigung offensichtlich rechtsunwirksam.“
Das LAG Hessen (1.8.2011 – 16 Sa 203/11) leitet dagegen aus dem verweigerten Wunsch des Arbeitnehmers, einen Rechtsanwalt teilnehmen zu lassen, keine Unwirksamkeit der Kündigung ab. Man wird sehen, wie die Rechtsprechung sich zu diesem Thema fortentwickelt und ob ggf. Verwertungsverbote im Arbeitsgerichtsverfahren folgen können (dazu Grimm ArbRB 2012, 126ff.). Aus dem Urteil des ArbG Berlin wird die stetig zunehmende Tendenz deutlich, das umstrittene Institut der Verdachtskündigung mit strengen Vorgaben zum Verfahren der Informationsbeschaffung zu flankieren (dazu zuletzt Gaul/Schmitt-Lauber, ArbRB 2012, 18ff.).