Pflicht zur Aufzeichnung der gesamten Arbeitszeit – Entsprechende Verpflichtungen gibt es schon heute
Kaum eine Entscheidung des BAG hat in jüngerer Zeit für so viel Aufsehen gesorgt wie der Beschluss des Gerichts vom 13.9.2022 - 1 ABR 22/21 - zur Arbeitszeiterfassung (ArbRB 2023, 9 [Hülbach], s. auch Lunk, Die Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit, ArbRB 2023, 13 ff.). Der Arbeitgeber ist nach Ansicht des Gerichts nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Der Gesetzgeber wird diese Entscheidung zum Anlass nehmen, eine gesetzliche Regelung zur Erfassung der Arbeitszeit zu schaffen. Mit einem Gesetzentwurf ist im 2. Quartal dieses Jahres zu rechnen.
Es darf in diesem Zusammenhang aber nicht übersehen werden, dass es bereits heute gesetzliche Regelungen für bestimmte Branchen bzw. bestimmte Arbeitnehmer gibt, die Arbeitgeber verpflichten, die gesamte Arbeitszeit zu erfassen. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick ohne Anspruch auf Vollständigkeit gegeben werden.
Besondere Vorgaben zur Erfassung der Arbeitszeit enthält das MiLoG. Allerdings hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die nach dem Gesetz gegebene Möglichkeit genutzt, zugunsten von Arbeitgebern Erleichterungen vorzusehen.
Ein Arbeitgeber, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geringfügig im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB IV beschäftigt, hat nach § 17 Abs. 1 Satz 1 MiLoG Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit dieser Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer spätestens bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertages aufzuzeichnen. Gleiches gilt nach dieser Vorschrift für Arbeitgeber in den in § 2a Abs. 1 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG) genannten Wirtschaftsbereichen oder Wirtschaftszweigen. Hierbei handelt es sich um
- das Baugewerbe,
- das Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe,
- das Personenbeförderungsgewerbe,
- das Speditions-, Transport- und damit verbundenem Logistikgewerbe,
- das Schaustellergewerbe,
- die Forstwirtschaft,
- das Gebäudereinigergewerbe,
- Unternehmen, die sich am Auf- und Abbau von Messen und Ausstellungen beteiligen,
- die Fleischwirtschaft,
- das Prostitutionsgewerbe und
- das Wach- und Sicherheitsgewerbe.
Ebenso wie die Entscheidung des BAG vom 13.9.2022 sieht das MiLoG keine bestimmte Form der Arbeitszeiterfassung vor. Der Arbeitgeber kann insbesondere entscheiden, ob er die Arbeitszeit auf Papier, in einer Excel-Liste oder in anderer Form elektronisch erfasst. Interessant ist insoweit, dass im Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung im Bereich der geringfügigen Beschäftigung der Arbeitgeber noch verpflichtet werden sollte, elektronische und manipulationssichere Zeiterfassungssysteme einzuführen. Wörtlich heißt es in Art. 6 des Entwurfs:
"Ein Arbeitgeber, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach § 8 Abs. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch oder in den in § 2a des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes genannten Wirtschaftsbereichen oder Wirtschaftszweigen beschäftigt, ist verpflichtet, den Beginn der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jeweils unmittelbar bei Arbeitsaufnahme sowie Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch und manipulationssicher aufzuzeichnen und diese Aufzeichnungen mindestens zwei Jahre beginnend ab dem für die Aufzeichnung maßgeblichen Zeitpunkt elektronisch aufzubewahren."
Im weiteren Gesetzgebungsvorhaben ist dieses zusätzliche Erfordernis aufgegeben worden.
§ 17 Abs. 3 MiLoG ermächtigt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrats die Verpflichtung des Arbeitgebers nach § 17 Abs. 1 MiLoG hinsichtlich bestimmter Gruppen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern oder der Wirtschaftsbereiche oder den Wirtschaftszweigen einzuschränken oder zu erweitern. Das Ministerium hat diese Möglichkeit durch die Mindestlohnaufzeichnungsverordnung und die Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung genutzt.
MindestlohnaufzeichnungsVO (MiLoAufzVO)
Abweichend von § 17 Abs. 1 Satz 1 MiLoG genügt ein Arbeitgeber nach § 1 Abs. 1 MiLoAufzVO seiner Aufzeichnungspflicht, wenn für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur die Dauer der tatsächlichen täglichen Arbeitszeit aufgezeichnet wird, soweit er Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ausschließlich mobilen Tätigkeiten beschäftigt, diese keinen Vorgaben zur konkreten täglichen Arbeitszeit (Beginn und Ende) unterliegen und diese sich ihre tägliche Arbeitszeit eigenverantwortlich einteilen. Den Begriff der mobilen Arbeit definiert die Verordnung in § 1 Abs. 2 MiLoAufzVO.
MindestlohndokumentationspflichtenVO (MiLoDokVO)
§ 1 MiLoDokVO beschränkt die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung zugunsten der Arbeitgeber für Arbeitnehmer ein, deren Arbeitsentgelt eine bestimmte Grenze überschreitet.
Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gilt nicht für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, deren verstetigtes regelmäßiges Monatsentgelt brutto 4.176 Euro überschreitet. Dies gilt auch für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, deren verstetigtes regelmäßiges Monatsentgelt mehr als brutto 2.784 Euro beträgt, wenn der Arbeitgeber dieses Monatsentgelt für die letzten vollen zwölf Monate nachweislich gezahlt hat; Zeiten ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt bleiben bei der Berechnung des Zeitraums von zwölf Monaten unberücksichtigt.
Das AEntG ist ein neben dem MiLoG stehendes Branchenmindestlohngesetz. § 19 Abs. 1 Satz 1 AEntG sieht wie § 17 Abs. 1 Satz 1 MiLoG eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Erfassung der gesamten Arbeitszeit des Arbeitnehmers vor. § 19 Abs. 1 Satz 2 AEntG erstreckt diese Verpflichtung auf einen Entleiher, dem ein Verleiher einen Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin oder mehrere Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen zur Arbeitsleistung überlässt.
Konsequent sieht § 19 Abs. 3 AEntG wie § 17 Abs. 3 MiLoG die Möglichkeit vor, durch Rechtsverordnung Erleichterungen im Zusammenhang mit der Arbeitszeiterfassung vorzusehen. Auch insoweit hat das Ministerium von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Die oben genannten Ausnahmen im Rahmen der MiLoAufzVO gelten auch insoweit. Dies gilt aber nicht für die Ausnahme nach der MiLoDokVO (s. aber § 1 Abs. 2 MiLoDokVO).
Für die Beschäftigung von Arbeitnehmern als Fahrer oder Beifahrer bei Straßenverkehrstätigkeiten, die § 21a ArbZG näher definiert, enthält § 21a Abs. 7 ArbZG Sonderregelungen. Nach dieser Vorschrift ist ein Arbeitgeber, der solche Arbeitnehmer beschäftigt, verpflichtet, die gesamte Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen. Die Aufzeichnungen sind mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer auf Verlangen eine Kopie der Aufzeichnungen seiner Arbeitszeit auszuhändigen.
Auch insoweit muss der Arbeitgeber die Aufzeichnung der Arbeitszeit nicht persönlich vornehmen. Vielmehr genügt auch hier die Selbstaufschreibung durch die Beschäftigten oder jede andere Form der Dokumentation. Allerdings ist die Schriftform einzuhalten. Dies folgt aus europäischen Vorgaben (vgl. Anzinger/Koberski, ArbZG, 6. Aufl., § 21a ArbZG Rz. 30). Zur Sicherstellung einer wirksamen Kontrolle der Lenk- und Ruhezeit im Straßenverkehr schreiben europäische Vorschriften indes insoweit die Nutzung elektronischer Kontrollgeräte vor (ausf. vgl. Anzinger/Koberski, ArbZG, 6. Aufl., § 21a ArbZG Rz. 31).
Eine Verpflichtung zur Erfassung der gesamten Arbeitszeit enthält auch § 17c Abs. 1 AÜG. Sofern eine Rechtsverordnung nach § 3a AÜG auf das Arbeitsverhältnis anwendbar ist, ist der Entleiher verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit des Leiharbeitnehmers spätestens bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertages aufzuzeichnen und diese Aufzeichnungen mindestens zwei Jahre beginnend ab dem für die Aufzeichnung maßgeblichen Zeitpunkt aufzubewahren.
Besondere Regelungen zur Aufzeichnung der Arbeitszeit gelten für die Fleischwirtschaft nach § 6 Arbeitnehmerrechte-Sicherungsgesetz Fleischwirtschaft (GSA Fleisch).
Die Pflichten zum Erstellen von Dokumenten nach § 17 Abs. 1 MiLoG, § 19 Abs. 1 AentG und § 17c Abs. 1 AÜG werden dahingehend abgewandelt, dass Arbeitgeber und Entleiher verpflichtet sind, den Beginn der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer jeweils unmittelbar bei Arbeitsaufnahme sowie Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch und manipulationssicher aufzuzeichnen und diese Aufzeichnung elektronisch aufzubewahren.
Hier findet sich damit zum ersten Mal die elektronische und manipulatonssichere Arbeitszeiterfassung.
Gemeinsam ist allen Zeiterfassungspflichten, dass sie dem Mindestlohnrecht zuzurechnen sind. Sollte tatsächlich der Gesetzgeber eine allgemeine Pflicht zur Erfassung der gesamten Arbeitszeit einführen, wird das Verhältnis dieser neuen Vorschriften zu den genannten speziellen Aufzeichnungspflichten zu klären sein (hierzu bereits Bayreuther, NZA 2013 , 193 (196).
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Hinweis der Redaktion: Lesen Sie zum Thema auch unser großes Online-Dossier zur neuen Pflicht zur Arbeitszeiterfassung.