24.01.2023

Rentennähe und betriebsbedingte Kündigung: Eine Gestaltungsmöglichkeit bei der Sozialauswahl?

Portrait von Wolfgang Kleinebrink
Wolfgang Kleinebrink

Arbeitgeber, die eine betriebsbedingte Kündigung erklären wollen, müssen im Streitfall nicht nur den Wegfall des Arbeitsplatzes darlegen und beweisen. Sie haben auch darzustellen, dass sie dem „richtigen Arbeitnehmer“ gekündigt haben. Sie müssen nämlich eine Sozialauswahl durchführen, wenn es Arbeitnehmer gibt, die mit dem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz entfällt, vergleichbar sind. Bei der Auswahl der Arbeitnehmer hat der Arbeitgeber in diesem Fall nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und eine etwaige Schwerbehinderung des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Bei dieser Auswahl haben Arbeitgeber ein Interesse daran, auch jüngere Leute zu behalten, um die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund ist von besonderer Bedeutung, dass das BAG in einem neuen Urteil vom 08.12.2022 – 6 AZR 31/22 – ermöglicht, die Rentennähe zulasten eines Arbeitnehmers im Rahmen der Sozialauswahl zu berücksichtigen.

Sinn und Zweck der sozialen Auswahl ist es, unter Berücksichtigung der im Gesetz genannten Auswahlkriterien gegenüber demjenigen Arbeitnehmer eine Kündigung zu erklären, der sozial am wenigsten schutzbedürftig ist. Das Auswahlkriterium Lebensalter ist dabei – wie das BAG betont – ambivalent. Zwar nimmt die soziale Schutzbedürftigkeit zunächst mit steigendem Lebensalter zu, weil lebensältere Arbeitnehmer nach wie vor typischerweise schlechtere Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Sie fällt aber wieder ab, wenn der Arbeitnehmer entweder spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses über ein Ersatzeinkommen in Form einer abschlagsfreien Rente wegen Alters verfügen kann oder über ein solches bereits verfügt, weil er eine abschlagsfreie Rente wegen Alters bezieht.

Die Besonderheit in dem vom BAG entschiedenen Fall bestand allerdings darin, dass Arbeitgeber und Betriebsrat zu einem Interessenausgleich eine Namensliste vereinbart hatten, auf der sich der Name des Klägers befand. In diesem Fall wird nach § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG nicht nur vermutet, dass der Arbeitsplatz entfallen ist und die Kündigung folglich durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. Zusätzlich können Gerichte die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfen.

Es spricht allerdings viel dafür, dass die Rentennähe auch bei der Gesamtabwägung der Sozialkriterien vergleichbarer Arbeitnehmer dann eine Rolle spielen darf, wenn aufgrund einer fehlenden Namensliste Gerichte die Sozialauswahl in vollem Umfang überprüfen müssen. Die betriebsbedingten Kündigungen sind zukunftsbezogen zu beurteilen. Insoweit spielt dann generell eine Rolle, wenn ein Arbeitnehmer nicht mehr auf den Arbeitsmarkt angewiesen ist, um ein Einkommen zu erzielen.

 

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