11.04.2014

Schmerzensgeld bei Krankenkontrolle per Video und Detektiv

Portrait von Detlef Grimm
Detlef Grimm

Rechtsfolgen der Verletzung des Arbeitnehmerpersönlichkeitsrechts und insbesondere Schmerzensgeldzahlungen an Arbeitnehmer rücken immer mehr in den Mittelpunkt der Diskussion. Das LAG Hamm hat in einem Urteil vom 11.07.2013 (Az. 11 Sa 312/13) einer heimlich durch einen Detektiv überwachten Mitarbeiterin 1.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen.

Ein vom Arbeitgeber beauftragter Detektiv hatte bei einer Kontrolle, ob die als Sekretärin der Geschäftsleitung tätige Mitarbeiterin eine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht hätte, einen Detektiv beauftragt, nachdem die Mitarbeiterin alle zwei Monate lang mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen krankgeschrieben war. Angabegemäß hatte die Mitarbeiterin an einer schweren Bronchitis und einer daraus resultierenden Rippenfellentzündung und dann an einem Bandscheibenvorfall gelitten. Der Detektiv hatte die Mitarbeiterin beobachtet, wie sie mit Wäsche auf dem Arm mit ihrem PKW zu einem Waschsalon gefahren war und dann im Hocken eine Waschmaschine befüllt hatte. Im Observationsbericht sind insgesamt 11 Bilder zum Geschehen rund um den Waschvorgang und die Abholung der Wäsche beigefügt. Im Kündigungsschutzprozess hatte ein Facharzt für Orthopädie attestiert, dass die Klägerin sich zu einem Hund herabbeugen könne, einen Korb mit leichten Wäschestücken oder Hundedecken tragen kann und dies nach dem  Bandscheibenvorfall eine sinnvolle Belastungserprobung sei. Das Arbeitsgericht, das sich die zu den Akten gereichten Videoaufzeichnungen nicht angesehen hatte, hatte der Kündigungsschutzklage der Klägerin gegen die außerordentlichen und hilfsweise ausgesprochenen fristengerechten Kündigungen stattgegeben, aber den klageerweiternd geltend gemachten Antrag der Klägerin auf Zahlung von 1.000 Euro Schmerzensgeld zurückgewiesen.

Das LAG geht von der Rechtsprechung des BAG zur Verletzung des Arbeitsnehmerpersönlichkeitsrechts (eine Zusammenfassung geben Grimm/Freh, Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen Verletzung des Arbeitnehmer-Persönlichkeitsrechts, ArbRB 2012, 151ff.) aus. Eine Geldentschädigung für immaterielle Schäden kann der Betroffene beanspruchen, wenn es sich um eine schwerwiegende Verletzung handelt und die Beeinträchtigung nach der Art der Verletzung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann. Bei der Bemessung der Geldentschädigung sind die Gesichtspunkte der Genugtuung des Opfers, der Präventionsgedanke und die Intensität und der Persönlichkeitsverletzung Bemessungsfaktoren.

Tatbestandliche Voraussetzung ist, dass die Videoaufzeichnungen rechtswidrig erstellt worden sind. Prüfungsmaßstab hierfür ist im Arbeitsverhältnis seit 2009 § 32 Abs. 1 BDSG. Zur Aufdeckung von Straftaten, also zur repressiven Überwachung ist der Maßstab des § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG anzulegen, wie auch das LAG Hamm zu Recht in den Mittelpunkt rückt. Das setzt konkrete Verdachtsmomente voraus. Erforderlich sind tatsächliche Anhaltspunkte im Sinn eines Anfangsverdachts oder einer hohen Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung. Daneben ist weitere Voraussetzung, dass die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse nicht überwiegt. Die Überwachung muss im Grunde „letztes Mittel“ sein.

Richtigerweise stellt das LAG heraus, dass die Klägerin nicht des Straftatbestandes des Betrugs nach § 263 StGB hinreichend verdächtig war, auch wenn sie Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von verschiedenen Ärzten vorgelegt hat. Das LAG führt aus, dass dann, wenn eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliegt, dieser ein hoher Beweiswert zukommt, weil dies das gesetzlich vorgesehene Nachweismittel ist, mit dem der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren Dauer nachweist (§ 5 EFZG). Der Arbeitgeber kann diesen Beweiswert nur mit Tatsachen, die ernsthafte Zweifel begründen, erschüttern. Dies können Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz sein, Streit um die Urlaubsgewährung oder wenn der Arbeitnehmer während der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit Tätigkeiten nachgeht, die damit nicht vereinbar erscheinen, hier meint das LAG z.B. die „schichtweise Verrichtung einer Nebentätigkeit“. Ernsthafte Zweifel sind auch das Nichterscheinen zu einer Begutachtung durch den medizinischen Dienst der Krankenkasse.

Die verschiedenen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von verschiedenen Ärzten begründen aus Sicht des LAG im Hinblick auf die verschiedenen Krankheiten keine Bedenken, die solche „ernstlichen“ Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründen können. Das führt dazu, dass die Videoüberwachung rechtswidrig war, erst recht die heimliche Videoüberwachung durch den Detektiv am „Waschsalon“. Der in den Akten befindliche Detektivbericht weist auch darauf hin, dass der häusliche Wohnbereich überprüft worden ist, was man durchaus in solchen Detektivberichten manchmal liest.  Der Bericht führt hierzu aus: „Überprüfung des Hauses. Unten rechts im Wohnzimmer ist ein sehr großer, eingeschalteter Fernseher zu sehen und flackerndes Kaminfeuer. Eine Person kann ich nicht erkennen.“. Für einen weiteren Tag heißt es „Ich gehe zu Fuß um Hausnummer 18 vorbei und erkenne die Zielperson im Haus, mit dem Rücken zum Wohnzimmerfenster sitzen, die ihre Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden hat und einen weißen Rollkragenpullover trägt.“. Darüber hinaus seien Telefonanrufe erfolgt und auch Personenbewegungen im Haus beobachtet worden. Nebenbei: Die genauen Kenntnisse dieser Überwachungsinhalte verdankte das LAG und schon das erstinstanzliche Arbeitsgericht Münster dem Umstand, dass das verklagte Unternehmen die Detektivkosten widerklagend geltend gemacht hatte und dazu den Detektivbericht im Detail vorgelegt hatte (!). Ein wunderbares Eigentor.

Die Entscheidung ist sicherlich zu Recht ergangen, weil hier mit „Kanonen auf Spatzen“ geschossen worden ist - vielleicht auch aus einer psychologischen Verärgerungssituation im Verhältnis zwischen Assistentin der Geschäftsleitung und Geschäftsführer. Wie so oft haben die eingesetzten Detektive in Unkenntnis der rechtlichen Restriktionen dann einem „Schnüffelinstinkt“ nachgegeben und über die Frage arbeitsvertraglicher Pflichtverletzungen hinausgehend Aspekte geradezu voyeuristisch ausermittelt. Spätestens seit Inkrafttreten des § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG ist dies rechtswidrig, höchstwahrscheinlich war es dies aber auch schon zuvor. Zweifeln kann man allenfalls daran, ob eine Entschädigung in Höhe von nur 1.000 Euro angesichts des intensiven Eingriffs in die Privatsphäre der Klägerin angemessen war. Die Detektiv-Branche wird ihr Geschäftsmodell verändern und sich wieder verstärkt untreuen Ehemännern zuwenden müssen.

Zurück