28.01.2015

Selbst ist der Arbeitnehmer

Portrait von Detlef Grimm
Detlef Grimm

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hat mit Beschluss vom 12.11.2014 (3 TaBV 5/14, juris und http://www.arbrb.de/39073.htm ) zu Recht entschieden, dass das Anbringen der Attrappe einer Videokamera kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auslöst. Eine Attrappe sei objektiv nicht geeignet, Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen.

Das gibt uns Arbeitsrechtlern Gelegenheit zur Reaktivierung zivilrechtlicher Grundfragen aus dem Deliktsrecht. Ein Arbeitnehmer kann entsprechend §§ 12, 862, 1004 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche gegen den Arbeitnehmer besitzen, wenn ein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vorliegt. Eine weitere Anspruchsgrundlage kann auch die Verletzung einer Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag (§§ 611, 241 Abs. 2 BGB) sein (dazu insgesamt Tschöpe-Grimm, Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, 8. Auflage 2013, Teil 6 F, Rz. 211 f).

Das gilt bei einer „tatsächlich“ durchgeführten Videoüberwachung mit funktionsfähigen Kameras (so der BGH v. 25.04.1995 – VI ZR 272/94, NJW 1995, 1955 ff). Im Fall einer länger andauernden Videoüberwachung, die rechtswidrig ist und zugleich schwerwiegend in das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer eingreift, haben verschiedene Arbeitsgerichte Arbeitnehmern auch Schadensersatz zugesprochen. Das LAG Hessen (Urteil vom 25.10.2010 – 7 Sa 1586/09, ArbRB 2011, 138) hatte beispielsweise bei einer schwerwiegenden und hartnäckigen Verletzung durch eine länger andauernde Videoüberwachung 7.000,00 € Schmerzensgeld zugesprochen, das LAG Rheinland-Pfalz in zwei anderen Fällen (Urteil vom 23.05.2010 – 2 Sa 540/12, 2 Sa 12/13) geringere Beträge, nämlich 650,00 € bzw. 850,00 €.

Nicht nur die tatsächliche, sondern auch die vermeintliche Videoüberwachung durch Attrappen führt zu zivilrechtlichen Ansprüchen, nämlich Unterlassungsansprüchen. Hierzu liegt eine Vielzahl zivilgerichtlicher Entscheidungen vornehmlich zum Miet- bzw. WEG-Recht vor. So liegt nach Auffassung des LG Darmstadt (Urteil v. 17.03.1999 – 8 O 42/99, NZM 2000, 360) beim Aufstellen einer funktionsfähig aussehenden Videokamera-Attrappe mit Ausrichtung des Objektivs auf den Hauseingangsbereich eines Mehrparteienhauses infolge der darin liegenden konkludenten Androhung einer dauernden Videoüberwachung eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Mieter und ihrer jeweiligen Besucher vor und ist zu unterlassen. Anspruchsgrundlage ist der aus §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB abgeleitete Schutz des Persönlichkeitsrechts durch Unterlassung der Beeinträchtigung. Schon beim Eindruck des Anfertigens einer Videoaufnahme liegt ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrechts des Mieters oder des Besuchers vor (so folgend das AG Aachen v. 11.11.2003 – 10 C 386/03, NZM 2004, 339, Rz. 15 [aA. für bloße Attrappen allerdings das AG Schöneberg v. 30.07.2014 – 103 C 160/14, Grundeigentum 2014, 1143, Rz. 14]).

Will man sich aus der Vielfalt amtsgerichtlicher Judikate lösen, rückt ein Urteil des zuständigen 6. Zivilsenats des BGH (Urteil vom 16.03.2010 – VI ZR 176/09, NJW 2010, 1533) ins Blickfeld.

Der BGH hat entschieden, dass bei der Installation von Überwachungskameras auf einem privaten Grundstück das Persönlichkeitsrecht eines vermeintlich überwachten Nachbarn schon aufgrund einer Verdachtssituation gerechtfertigt sein kann. Durch den damit verbundenen „Überwachungsdruck“ (der BGH a.a.O. Rz. 13 zitiert das LG Bonn, NJW-RR 2005, 1067 ff) werde bereits das Persönlichkeitsrecht verletzt.

Eingegrenzt ist dies nur durch die Erwägung (Rz. 13 f bzw. unter II.3b) der Gründe), dass ein solcher Überwachungsdruck nicht ohne weiteres besteht. Dies nimmt der BGH dann an, wenn die Kameras „nur mit erheblichem und äußerlich wahrnehmbarem Aufwand, also nicht etwa nur durch das Betätigen einer Steuerungsanlage“ auf das Grundstück des Nachbarn gerichtet werden können. Dann scheidet (wohl mangels Funktionsfähigkeit der Anlage) aus, dass durch die Verdachtssituation das Persönlichkeitsrecht des vermeintlich Überwachten beeinträchtigt ist. Eine hypothetische Überwachungsmöglichkeit ist dann nicht rechtswidrig, wenn (so der BGH Rz. 14) „objektiv feststeht, dass dadurch öffentliche und fremde private Flächen nicht erfasst werden, wenn eine solche Erfassung nicht nur durch eine äußerlich wahrnehmbare technische Veränderung der Anlage möglich ist und wenn auch sonst Rechte Dritter nicht beeinträchtigt werden“. Solche Dritten sind Mieter in einem Miethaus, Betroffene in einer Wohnungseigentumsanlage und auch Grundstücksnachbarn, wie der BGH ausführt.

Der Wertung dieses Urteils ist m.E. nichts hinzuzufügen. Bezogen auf den vom LAG Mecklenburg-Vorpommern entschiedenen Sachverhalt steht den betroffenen Arbeitnehmern ein Unterlassungsanspruch wegen der Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts entsprechend §§ 12, 1004 BGB i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Absatz 1 GG zu. Die Videoattrappen waren auf Arbeitnehmer gerichtet, insofern bestand ein tatsächlicher Überwachungsdruck (das war wohl auch so gewollt), nicht ein bloß hypothetischer. Die vom BGH angesprochene Ausnahmesituation wird bei Attrappen, die auf Arbeitnehmer gerichtet sind, nicht vorliegen.

PS.: Die Unterlassungsansprüche können – wie immer – auch im Weg der einstweiligen Verfügung geltend gemacht werden, wenn ein Verfügungsgrund vorliegt, wenn also die Attrappen angebracht werden sollen oder schon angebracht worden sind. Im letzteren Fall ist allerdings die Selbstwiderlegung durch zu langes Zuwarten (bzw. Hinnahme einer schon seit langem angebrachten Attrappe) zu vermeiden.

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