15.01.2024

Tarifauseinandersetzung zwischen der Bahn und GDL – Warum die GDL doch tariffähig sein könnte

Portrait von Daniel Mantel
Daniel Mantel Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht

Vor kurzem veröffentlichte der geschätzte Kollege Prof. Dr. Kleinebrink hier einen Blog und äußerte ernsthafte Zweifel an der Tariffähigkeit der GDL. In der Tat steht aktuell die Tariffähigkeit der GDL in Frage. Zweifel sind auch durchaus angebracht. Doch: Der folgende Beitrag soll nochmals eine andere Sichtweise bieten und die Vielfalt rechtlich vertretbarer Meinungen abbilden. Es bleibt also spannend, wie das LAG beziehungsweise das BAG entscheiden wird.

Was bedeutet Tariffähigkeit?

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ist eine Gewerkschaft tariffähig, wenn sie gegnerfrei und gegnerunabhängig ist.

Das Merkmal der Gegnerfreiheit

Gegnerfrei bedeutet, dass Gewerkschaften keine Personen angehören dürfen, die bei einem Tarifpartner eine Arbeitgeberfunktion ausüben. Die Satzung der Fair Train schreibt ausdrücklich vor, dass deren Vorstandsmitglieder auch Mitglieder der GDL sein müssen. Der GDL gehören also auch die Vorstandsmitglieder der Fair Train an, die eine klassische Arbeitgeberfunktion ausüben. Versteht man das Merkmal der Gegnerfreiheit im vorbenennten engen Sinne, so erfüllt die GDL dieses nicht.

Es ist aber fraglich, ob die Rechtsprechung des BAG ohne Weiteres herangezogen werden kann. Das BAG begründete das Merkmal "gegnerfrei" damit, dass eine Gewerkschaft geschwächt würde, wenn sie nicht gegnerfrei wäre.

Das BAG führt folgendes aus:

"Weiterhin ist Voraussetzung, dass die Arbeitnehmervereinigung ihre Aufgabe als Tarifpartnerin sinnvoll erfüllen kann. Dazu gehört einmal die Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler, zum anderen aber auch eine gewisse Leistungsfähigkeit der Organisation. Durchsetzungskraft muss eine Arbeitnehmervereinigung besitzen, um sicherzustellen, dass der soziale Gegenspieler Verhandlungsangebote nicht übergehen kann. Ein angemessener, sozial befriedender Interessenausgleich kann nur zustande kommen, wenn die Arbeitnehmervereinigung zumindest so viel Druck ausüben kann, dass sich die Arbeitgeberseite veranlaßt sieht, sich auf Verhandlungen über eine tarifliche Regelung von Arbeitsbedingungen einzulassen. Die Arbeitnehmervereinigung muss von ihrem sozialen Gegenspieler ernst genommen werden, so dass die Arbeitsbedingungen nicht einseitig von der Arbeitgeberseite festgelegt, sondern tatsächlich ausgehandelt werden. Ob eine Arbeitnehmervereinigung eine solche Durchsetzungsfähigkeit besitzt, muss auf Grund aller Umstände im Einzelfall festgestellt werden."

(BAG, Beschl. v. 14.12.2004 – 1 ABR 51/03, ArbRB 2005, 271 [Braun]; vgl auch BAG, Beschl. v. 31.1.2018 – 10 AZR 695/16 (A), BAG, Beschl. v. 6.6.2000 – 1 ABR 10/99).

Die bisherige Rechtsprechung basierte auf anderen Fällen als dem aktuellen Fall der Fair Train. Im vorliegenden Fall ist es nämlich genau umgekehrt: Die Gewerkschaft wird dadurch gestärkt. Vieles spricht dafür, das Merkmal der Gegnerfreiheit zweckgerichtet auszulegen und bei der GDL zu bejahen. Der Begründungsansatz des BAG unterstützt diese Sichtweise.

Das Merkmal der Gegnerunabhängig

Eine Gewerkschaft muss nach dem Verständnis des BAG zudem von ihrem Gegner insb. finanziell unabhängig sein: Es sollte verhindert werden, dass die Arbeitgeberseite die Gewerkschaft beeinflusst, indem sie mit Kürzungen von Zahlungen droht (BAG Beschl. v. 31.1.2018 – 10 AZR 695/16 (A). Eine finanzielle Abhängigkeit der GDL besteht nicht, sofern die Kassen der GDL und der Fair Train strikt getrennt sind.

Zum laufenden Verfahren…

…  ist zu sagen: Vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) ist vermutlich noch nicht Schluss. Unterliegt die GDL, kann sie Rechtsbeschwerde zum BAG erheben. Der Streit ist erst rechtskräftig abgeschlossen, wenn das BAG entschieden hat.

Das "Ass im Ärmel" der GDL

Selbst wenn die GDL unterliegt und als nicht tariffähig gilt, hat sie noch ein „Ass im Ärmel“. Sie könnte die gegründete Fair Train wieder auflösen und die Tariffähigkeit dann wieder neu erlangen.

RA FAArbR Daniel Mantel

RPO Rechtsanwälte, Köln

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