19.03.2018

Tarifsozialpläne auch ohne Betriebsänderung?

Portrait von Detlef Grimm
Detlef Grimm

Das LAG Hamm hat Gewerkschaften und diese begleitenden Betriebsräten in einem Beschluss vom 02.07.2017 (12 Ta 373/17) Wege aufgezeigt, wie ein „echtes“ Arbeitskampfinstrumentarium bei auch nur minimalen betrieblichen Veränderungen geschaffen werden kann. Selbst wenn mangels Erreichen der Schwellenwerte noch keine Betriebsänderung im Sinne des § 111 Satz 3 BetrVG vorliegt, sollen Gewerkschaften Verhandlungen über einen Tarifsozialplan mit kurzfristig ausgerufenen (Warn-)Streiks begleiten können.

Der antragstellende Arbeitgeber wandte sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen einen Warnstreik. Grund dafür war seine Absicht gewesen, (nur) verschiedene Maschinen zu veräußern, wobei acht Arbeitnehmer davon betroffen waren. Der Arbeitgeber wollte die betroffenen Arbeitnehmer im Betrieb ohne Änderung der Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen (!). In jedem Fall lagen die Maßnahmen unter den Schwellenwerten für eine Betriebsänderung nach § 111 Satz 3 BetrVG. Die Gewerkschaften verlangten schon am Tag nach der Ankündigung Verhandlungen über einen Tarifsozialplan, der Abfindungsregelung, Zukunftssicherung, Standort- und Arbeitsplatzsicherungsklauseln und Regelungen zu einer Transfergesellschaft enthalten sollte.

Das LAG Hamm wies den auf Unterlassung des Warnstreiks gerichteten Antrag des Arbeitgebers zurück. Dabei bezog es sich zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Arbeitskampfmaßnahme auf die Rechtsprechung des BAG zum Tarifsozialplan im Urteil v. 24.04.2007 (NZA 2007, 987 ff; zustimmend etwa Bayreuther, NZA 2007, 1017; ablehnend Gaul, RdA 2008, 13; Höfling, ZfA 2008, 1). Tarifforderungen könnten gerichtlich nicht überprüft werden, wie das BAG in seinem Urteil unter Rz. 28 ff. ausgeführt habe. Auch enthielten die §§ 111 ff. BetrVG keine Sperrwirkung (BAG, a.a.O. Rz. 81 ff).

Daraus schließt das LAG Hamm (Rz. 41), dass die Voraussetzungen für Sozialplan und Interessenausgleich gem. den §§ 111, 112 BetrVG nicht vorliegen müssen, um den Streikaufruf als rechtmäßig anzusehen. Betriebliche Ebene und tarifvertragliche Ebene seien auseinanderzuhalten.

Unschädlich sei hier auch, dass zunächst ein Zukunfts- und Standortsicherungsvertrag verlangt worden sei, bei dem noch die Friedenspflicht gegolten hätte. Für die Bewertung der Rechtmäßigkeit des Streiks käme es auf den Streikaufruf an und da sei es nur um den Tarifsozialplan (Abfindung, Zukunftssicherung, Standortsicherungs- und Arbeitsplatzsicherungsklauseln und Transfergesellschaft) gegangen. Damit lehnt das LAG Hamm es ab, die Rechtmäßigkeit der mit dem Streik verfolgten Ziele anhand des Streikbeschlusses zu kontrollieren, wie einige Gerichte es in jüngerer Zeit zu Recht getan haben (ArbG Köln v. 08.09.2015 – 14 Ga 91/15, Rz. 35; LAG Nürnberg, 30.09.2010 – 5 Ta 135/10, Rz. 49 und wohl auch im Ausgangspunkt LAG Frankfurt v. 09.09.2015 – 9 SaGa 1082/15, Rn. 85, wobei vom LAG Frankfurt sonstige Verlautbarungen der Gewerkschaften ergänzend berücksichtigt wurden).

Bemerkenswert und im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, die lediglich auf die Dauer des einstündigen Warnstreiks abstellt (Rz. 54 des Urteils),  ist (wundersam) unberücksichtigt geblieben, dass gar keine Nachteile für die betroffenen Mitarbeiter zu erwarten waren: Sie sollten im Betrieb ohne Änderung der Arbeitsbedingungen (ein Ausrufezeichen hatte ich schon oben gesetzt, ein zweites wollte ich nicht mehr setzen) weiterbeschäftigt werden. Im Grunde ging es darum, die unternehmerische Entscheidung - Veräußerung der Maschinen - zu verhindern.

Warum ein Streik dann noch verhältnismäßig sein kann, weil er im Grunde um nichts, außer um den Streik als solchen geführt wird, beantwortet das LAG Hamm leider nicht. Im Konkreten dürfte es auch an der Erforderlichkeit des Streiks gemangelt haben, weil ja wohl nichts Materielles zu regeln war. Ich finde dies im Ausgangspunkt schon sehr seltsam, es ist wohl aber eine Folge der sehr arbeitskampffreudigen jüngeren Rechtsprechung des BAG.

Der Arbeitgeber war übrigens gesprächsbereit gewesen: Mit dem Betriebsrat waren (schon) für den 03. und 04.07.2017 (Montag/Dienstag) Gespräche vereinbart gewesen, ohne dass dies mit einem Warnstreik erzwungen werden musste. Warum dann noch am davor gehenden Freitag (30.06.2017) ein von 06.00 bis 07.00 Uhr andauernder einstündiger Warnstreik erfolgen musste, ist mehr als zweifelhaft und führt zur unverhältnismäßigen Beeinträchtigung der Produktion. Der Arbeitgeber wird das über das Wochenende sicher auch nicht vergessen haben.

Ergänzender Hinweis: Auch in anderen Fällen, in denen keine Sozialplanpflicht besteht – etwa beim Betriebsübergang gem. § 613a BGB – wird angenommen, dass ein Tarifsozialplan abgeschlossen und erstreikt werden kann (so Greiner, NZA 2008, 1274 [1275]) und es werden überdies Betriebe ohne Betriebsrat oder Kleinbetriebe erfasst (LAG Hamm, a.a.O., Rz. 51), was man wegen des fehlenden Arbeitnehmerschutzes (ohne Betriebsrat) in diesen Fällen noch annehmen mag.

Zurück