05.03.2020

Update vom 11.3.2020: Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn Arbeitnehmer lediglich mittelbar wegen Corona ihrer Erwerbstätigkeit nicht nachgehen können?

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Detlef Grimm

Diese Konstellation tritt z.B. ein, wenn der Kindergarten coronabedingt vorübergehend schließt, die Eltern des Kindergartenkindes dessen Betreuung selbst organisieren müssen und es ihnen deshalb (zeitweise) unmöglich ist, ihre Pflicht zur Arbeitsleistung zu erfüllen.

Dies ist jedenfalls kein Fall, in dem ein Entschädigungsanspruch gem. IfSG in Betracht kommt.

Der Arbeitgeber ist aber möglicherweise nach § 616 BGB zur Entgeltfortzahlung verpflichtet. § 2 Abs. 1 Pflegezeitgesetz entnimmt eine Meinung (ErfK/Gallner, 20. Aufl. 2020, § 2 PflegeZG, Rn. 4), dass in Zeitraum von bis zu zehn Tagen als eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ im Sinne des § 616 Satz 1 BGB anzusehen ist. Die h.M. legt sich auf den Zeitraum von fünf Tagen fest (MünchKomm/Henssler, 8. Aufl. 2020, § 616 Rn. 68; Staudinger/Oetker, 2019, § 616 BGB, Rn. 104; HWK/Krause, 8. Aufl. 2018, § 616, 42). ErfK/Preis, 20. Aufl. 2020, § 616 BGB, Rn. 10a nimmt sechs Wochen als Zeitraum an; das ist eine Mindermeinung.

Die Vorschrift wird allerdings so verstanden, dass ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung nur besteht, wenn (und nicht „soweit“) der Arbeitnehmer vorübergehend verhindert ist (vgl. Krause in HWK, 8. Auflage 2018, § 616 BGB, Rn. 37). Wird z.B. die Schließung des Kindergartens sogleich für zwei Wochen erklärt, besteht überhaupt kein Anspruch nach § 616 BGB, ohne dass es auf die anderen Voraussetzungen der Norm ankommt

Voraussetzung ist ferner, dass das Kind aufgrund seiner Unselbständigkeit auf Betreuung angewiesen ist. Arbeitgeber sind im Rahmen einer pauschalierenden Betrachtung darauf angewiesen, hier eine Altersgrenze zu ziehen. Angelehnt an § 45 Abs. 1 SGB V wird die Altersgrenze in der Literatur bei einem Alter von zwölf Jahren typisiert, jedenfalls bei einem gesunden Kind. Dies erscheint uns gemessen an der durchschnittlichen Reifeentwicklung sachgerecht und vernünftig (so HWK/Krause, 8. Auf. 2018, § 616 BGB Rz. 24; BeckOK Arbeitsrecht/Joussen, Stand: 01.12.2019, § 616 BGB Rz. 31; Feichtinger/Malkmus/Schahandeh, 2. Aufl. 2010, § 616 BGB Rz. 74). Um eine starre Grenze handelt es sich allerdings streng genommen nicht. Eigentlich müsste auf die Umstände des Einzelfalles, d.h. insbesondere den Reifegrad des Kindes abgestellt werden. Auf dieser Grundlage ließe sich aber keine transparente Praxis aufsetzen.

Anspruchsvoraussetzung ist ferner, dass Pflege durch den berufstätigen Elternteil erforderlich ist. Ist hingegen der im gemeinsamen Haushalt lebende Ehepartner oder Lebensgefährte nicht berufstätig, muss er die Betreuung übernehmen und ein Anspruch des Arbeitnehmers nach § 616 BGB scheidet aus (BAG, Urt. v. 19.4.1978 – 5 AZR 834/76, juris Rz. 20; BAG, Urt. v. 20.6.1979 – 5 AZR 361/78, juris Rz. 18).  Sind beide Eltern berufstätig, haben sie ein Wahlrecht, wer von ihnen beiden die Betreuung übernimmt. Der Arbeitgeber desjenigen Elternteils, der sich für die Betreuung entscheidet, hat dann „Pech“, der andere „Glück“. Ein Lastenausgleich findet nicht statt (BAG, Urt. v. 20.6.1979 – 5 AZR 361/78, juris Rz. 16 ff.).

Nach allgemeiner Ansicht muss der Arbeitnehmer den Verhinderungsfall gemäß § 242 BGB anzeigen und kann nicht einfach zuhause bleiben (HWK/Krause, 8. Auf. 2016, § 616 BGB Rz. 45; Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Tillmanns, 4. Aufl. 2018, § 77 Rz. 30). Nach gut vertretbarer Mindermeinung in der Literatur kann der Arbeitgeber den Nachweis des Verhinderungsgrundes vom Arbeitnehmer fordern (MüKo-BGB/Henssler, 8. Aufl. 2020, § 616 BGB Rz. 73; nach h.M. muss allerdings ein besonderer Anlass bestehen, so z.B. HWK/Krause, 8. Auf. 2016, § 616 BGB Rz. 45; Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Tillmanns, 4. Aufl. 2018, § 77 Rz. 30; BeckOK Arbeitsrecht/Joussen, Stand: 01.12.2019, § 616 BGB Rz. 52).

Aus unserer Sicht erscheint es zweckmäßig, entsprechende Belege einzufordern und die Entgeltfortzahlung nach § 273 BGB solange zurückzuhalten, bis diese nachgereicht wurden. Jedenfalls juristisch betrachtet; Personalpraxis ist was anderes. Nach Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Tillmanns, 4. Aufl. 2018, § 77 Rz. 30 soll das allerdings nicht zulässig sein, also: Auch juristisch schon nicht "ohne". Einzufordern wäre sinnvollerweise ein Beleg des Alters des Kindes, eine Abschrift der öffentlichen Bekanntgabe der Schulschließung, aus der sich auch deren Dauer ergeben sollte, sowie die Erklärung, dass kein weiterer geeigneter Betreuer im eigenen Haushalt zur Verfügung steht.

Die Vorschrift ist im Übrigen abdingbar; ist im Arbeitsvertrag die Anwendung von § 616 BGB wirksam ausgeschlossen, muss der Arbeitgeber eine Entgeltfortzahlung nach dieser Vorschrift nicht befürchten.

Besteht ein Anspruch gem. § 616 BGB nicht, so können die betroffenen Arbeitnehmer weder auf „Pflegeunterstützungsgeld“ gem. § 44a Abs. 3 SGB XI noch auf „Krankengeld wegen Erkrankung des Kindes“ gem. § 45 SGB V hoffen – denn das Kind selbst ist ja weder krank noch pflegebedürftig (vgl. § 7 Abs. 4 PflegeZG in Verbindung mit §§ 14, 15 SGB XI).

 

Dr. Detlef Grimm                                Dr. Sebastian Pelzer

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