Urlaub auf Balkonien wegen Corona Quarantäne – Keine Erweiterung der Nachgewährungspflicht aufgrund europarechtlicher Vorgaben
Der EuGH hat mit Urteil vom 14.12.2023 (C-206/22) entschieden, dass das Unionsrecht keine Nachgewährung von Urlaub für den Fall einer angeordneten Quarantäne während des gewährten Urlaubs verlangt.
Die Corona-Pandemie hat viele bis dahin nicht vorstellbare Umstände und Maßnahmen mit sich gebracht. So kam es, dass Arbeitnehmer während ihres Urlaubs wegen des Kontakts zu einer infizierten Person unter Quarantäne gestellt wurden und die eigenen vier Wände nicht mehr verlassen durften. Eigentlich ins Auge gefasste Urlaubsziele konnten nicht mehr erreicht werden. Es blieb nur noch die Erholung auf Balkonien. In Einzelfällen war nicht mal das im Hinblick auf die Gefahr der Ansteckung anderer Haushaltsangehöriger erlaubt. Schnell stand die Frage im Raum, ob der Arbeitgeber den Urlaub nachgewähren muss. Eine freie Verfügung über die Freizeit war dem Arbeitnehmer schließlich nur noch in sehr eingeschränktem Umfang möglich. Die Arbeitsgerichte lehnten eine Nachgewährungspflicht des Arbeitgebers weit überwiegend ab (anders nur LAG Hamm, Urteil vom 27.1.2022 – 5 Sa 1030/21, ArbRB 2022, 104 [Marquardt]).
Eine Pflicht zur Nachgewährung besteht nur, wenn gesetzliche Regelungen oder Tarifbestimmungen die Nichtanrechnung von Urlaub anordnen. Eine gesetzliche Pflicht zur Nachgewährung des Arbeitgebers besteht insbesondere im Fall von § 9 BUrlG. Voraussetzung ist eine ärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers während des Urlaubs. In diesem Fall ist der Arbeitnehmer schon durch die Erkrankung von der Arbeitspflicht befreit. Bei der Regelung handelt es sich um eine unionsrechtlich gebotene Ausnahme zugunsten des Arbeitnehmers. Wenn der Arbeitnehmer erkrankt, kann er sich nicht erholen. Urlaub und Krankheit schließen einander aus.
Bei der behördlich angeordneten Quarantäne wegen des Kontakts zu einer infizierten Person ist der Arbeitnehmer aber gerade nicht krank. Das BAG lehnt eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG auf andere urlaubsstörende Ereignisse ab. Es fehle an einer vergleichbaren Interessenlage, weil immer eine Einzelfallprüfung erforderlich sei. Es komme aber auf eine typische Vergleichbarkeit an. Im Fall einer Quarantäne fehle es schon an einer planwidrigen Regelungslücke. Darüber hinaus sei die Situation zu einem Erkrankten wesentlich anders. Eine Erholung von der Arbeit sei trotz der stark eingeschränkten Bewegungsfreiheit möglich. Andere urlaubsstörende Ereignisse fallen deshalb als Teil des persönlichen Lebensschicksals in den Risikobereich des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber schuldet nur eine bezahlte Freistellung zum Zwecke der Erholung und Entspannung, jedoch keinen bestimmten „Urlaubserfolg“.
Das Arbeitsgericht Ludwigshafen hatte aber im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH Zweifel, ob der Urlaubsanspruch wegen des europarechtlich in Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) und Art. 31 Abs. 2 GRCh verankerten Rechts auf bezahlten Jahresurlaub wegen Erfüllung erlöschen darf, wenn der Arbeitnehmer während des Urlaubs von einem unvorhergesehenen Ereignis an der uneingeschränkten Gestaltung seiner Freizeit gehindert wird, und legte dem EuGH deshalb die Frage zur Vorabentscheidung vor (ArbG Ludwigshafen, Vorlagebeschluss vom 14.2.2022 – 5 Ca 216/21, ArbRB 2022, 138 [Heintz/König]).
Der Wortlaut der Vorschriften legt solche Zweifel eigentlich nicht nahe. Allerdings darf der Anspruch auf den Jahresurlaub nach der Rechtsprechung des EuGH nicht restriktiv ausgelegt werden. Nach dem EuGH soll der Anspruch auf den Jahresurlaub dem Arbeitnehmer ermöglichen, sich zum einen von der Arbeit zu erholen und zum anderen über Freizeit zu verfügen. Dass der EuGH letzteren Zweck durch urlaubsstörende Ereignisse für beeinträchtigt halten könnte, war jedenfalls nicht auszuschließen. Das BAG verfuhr mit ähnlichen Erwägungen später genauso in dem Revisionsverfahren gegen das Urteil des LAG Hamm (BAG, Vorlagebeschluss vom 16.8.2022 – 9 AZR 76/22 (A), ArbRB 2023, 4 [Schewiola], anhängig beim EuGH unter C-749/22).
Der EuGH hat jetzt über die Vorlage des Arbeitsgerichts Ludwigshafen entschieden. Anders als eine Krankheit stehe das urlaubsstörende Ereignis „Quarantäne“ der Verwirklichung der Zwecke des Urlaubs nicht entgegen, weshalb das Unionsrecht keine Nachgewährung verlange.
Auch wenn der EuGH nur über das Vorabentscheidungsverfahren des Arbeitsgerichts Ludwigshafen entschieden hat, dürfte nach der Entscheidung klar sein, dass er die Vorlagefrage des BAG genauso beantworten wird. Für die konkrete Konstellation der Quarantäne hat die Entscheidung eine relativ begrenzte Bedeutung, weil der Gesetzgeber seit dem 17.9.2022 in § 59 Abs. 1 IfSG vorsieht, dass die Tage einer Quarantäne nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden, der Arbeitgeber also dieses Risiko trägt.
Der Entscheidung des EuGH lässt sich aber entnehmen, dass bei anderen urlaubsstörenden Ereignissen europarechtlich grundsätzlich keine Nachgewährung des Urlaubs erforderlich ist, wenn sie der Verwirklichung des Urlaubszweck nicht entgegenstehen. Solche Ereignisse fallen uneingeschränkt in das vom Arbeitnehmer zu tragende allgemeine Lebensrisiko.
Die Entscheidung des EuGH ist zu begrüßen. Sie lässt die ständige und richtige Rechtsprechung des BAG unberührt. Der Urlaubsanspruch wird durch die bezahlte Freistellung von der Arbeit erfüllt. Der Arbeitgeber ist nur in gesetzlich oder tariflich geregelten Nichtanrechnungsfällen zur Nachgewährung verpflichtet.
Ungeachtet der jetzt geklärten Rechtslage bleibt zu hoffen, dass es zukünftig keine Großereignisse wie die Corona-Pandemie mehr geben wird und jeder seinen Urlaub dort verbringen kann, wo es ihm am besten gefällt – vielleicht sogar ganz freiwillig auf Balkonien.