12.11.2019

Verfassungswidrige Überrumpelung beim LAG

Portrait von Detlef Grimm
Detlef Grimm

Das BAG hat mit Beschluss vom 28.8.2019 (5 AZN 381/19) einer Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 1.2.2019 – 3 Sa 778/18 – stattgegeben, weil das LAG das Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzt hatte.

Was war geschehen: Ein Arbeitnehmer hatte Annahmeverzugslohn eingeklagt. Das Arbeitsgericht Berlin hatte aufgrund dreier vertrauensärztlicher Stellungnahmen, die eine dauerhafte Leistungsunfähigkeit festgestellt hatten, die Klage abgewiesen, weil Unvermögen iSv. § 297 BGB vorgelegen habe. In der Berufungsverhandlung hatte das LAG dann entschieden, den vertrauensärztlichen Stellungnahmen komme keine „ausreichende Indizwirkung“ für die Arbeitsunfähigkeit und damit Leistungsunfähigkeit zu. Der Klage gab es dann statt. Das war überraschend, weil es vom LAG erst in  der mündlichen Verhandlung angesprochen worden war. Der beklagte Arbeitgeber hatte Schriftsatznachlass beantragt, um auf diesen neuen Aspekt einzugehen. Diesen gewährte das LAG nicht.

Der Nichtzulassungsbeschwerde wegen Gehörsverletzung gem. § 72a Abs. 3 Nr. 3 Alt. 2 ArbGG hat das BAG stattgegeben. Lesenswert die Ausführungen des BAG in Rz. 5:

„Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt ua. vor, wenn das Gericht einen Sachverhalt oder ein Vorbringen in einer Weise würdigt, mit der ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem vorherigen Verfahrensverlauf nicht rechnen konnte.

Dann verstößt ein der Zivilprozessordnung unterworfenes Gericht elementar gegen seine aus § 139 Abs. 1 ZPO folgende Pflicht, darauf hinzuwirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen können.

Deshalb darf ein Berufungsbeklagter grundsätzlich darauf vertrauen, dass ihm das Berufungsgericht, wenn es in der Beweiswürdigung dem Erstrichter nicht folgen will, einen Hinweis gemäß § 139 ZPO erteilt, und zwar so rechtzeitig, dass darauf noch vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung reagiert werden kann (zum Ganzen BVerfG 1. August 2017 - 2 BvR 3068/14 - Rn. 51 f. mwN).“

Den Kursivdruck hinzuzufügen habe ich mir gestattet.

Das BAG hat das Verfahren an dieselbe Kammer zurückverwiesen. Nach § 72a Abs. 7 ArbGG hätte es auch in analoger Anwendung des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO an eine andere Kammer zurückverweisen können. Das hätte aber letztlich andere Richter mit der vom Spruchkörper unterlassenen Arbeit belastet, weshalb die Zurückverweisung aus erzieherischen Gründen richtig ist.

Wir kennen solche Entscheidungen - und zwar sowohl in erster als auch in zweiter Instanz. Solche Spontanentscheidungen (, um es vorsichtig auszudrücken), die den Prozessstoff schnell erledigen und den richterlichen Schreibtisch leer machen, lassen den Verlust richterlichen Ethos annehmen.

Wie man eine Nichtzulassungsbeschwerde wegen Gehörsverletzung richtig begründet, finden Sie bei Bauer/Lingemann/Diller/Hausmann, Anwaltsformularbuch Arbeitsrecht, 6. Aufl. 2017, Muster 103.4 (S. 1396) gut dargestellt. Wichtig ist dabei insbesondere der Vortrag, warum das Gericht bei der Anhörung rechtlichen Gehörs anders entschieden hätte (Diller, aaO. S. 1397 unten Formular), sonst bleibt die NZB erfolglos, wie schlimm der Verfassungsverstoß des Gerichts auch ist. Das hatte das beklagte Land hier getan.

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