Vollstreckung von Beschäftigungstiteln – Effektiver Rechtsschutz nach 10 Jahren?
Wenn man den Tatbestand des BAG-Urteils vom 5.2.2020 (10 AZB 31/19) liest, reibt man sich die Augen. Der Arbeitnehmer hatte bereits 2010 einen Vollstreckungstitel erwirkt und die Zwangsvollstreckung betrieben. Acht (!) Jahre später wies das Bundesarbeitsgericht die Vollstreckungsgegenklage des Arbeitgebers ab. Die Hoffnung des Arbeitnehmers, nun endlich die tatsächliche Beschäftigung durchsetzen zu können, wurde enttäuscht. Nach einer weiteren Wartezeit von diesmal „nur“ zwei Jahren wies das BAG den Zwangsvollstreckungsantrag zurück. Selbst wenn der Arbeitnehmer gewonnen hätte – effektiver Rechtsschutz sieht anders aus! Wenn man ein Jahrzehntchen Geduld haben muss, ist der Titel kaum etwas wert, manche Arbeitnehmer erreichen dann eher das Rentenalter denn eine tatsächliche Beschäftigung. Zur Ehrenrettung der Gerichte muss man allerdings erwähnen, dass das Verfahren zwischenzeitlich nicht immer betrieben worden war. Die Kernfrage bleibt aber: Wie gelangt man schnell zu einem Vollstreckungstitel und wie vollstreckt man ihn effektiv
- Erlangung des Titels
Wenn es schnell gehen soll, liegt natürlich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nahe. Problematisch ist hierbei der Verfügungsgrund, also die Frage, warum der Arbeitnehmer nicht das Hauptsacheverfahren abwarten kann. Nach Ablauf der Kündigungsfrist wird dem Arbeitnehmer zugemutet, zunächst die Entscheidung erster Instanz im Kündigungsschutzverfahren abzuwarten und dort den uneigentlichen Hilfsantrag auf Weiterbeschäftigung zu stellen. Nur bei einer offensichtlich unwirksamen Kündigung kommt eine einstweilige Verfügung in Betracht. Umstritten ist, ob der Arbeitnehmer ein besonderes Beschäftigungsinteresse glaubhaft machen muss. M.E. ist dies nicht erforderlich. Schon beim Verfügungsanspruch wird ja abgewogen zwischen dem aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers abgeleiteten Beschäftigungsinteresse und dem Nichtbeschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers. Wenn dort das grundrechtsgestützte Interesse des Arbeitnehmers überwiegt, kann man nicht noch mehr verlangen, denn mit jedem Tag der Nichtbeschäftigung wird das Persönlichkeitsrecht rechtswidrig verletzt. Da das aber häufig anders gesehen wird, schon um nicht zu viele Klagewütige anzulocken, sollte man aber aus Gründen anwaltlicher Vorsicht stets ein besonderes Beschäftigungsinteresse darlegen (s. i.E. Korinth, Einstweiliger Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren, 4. Aufl. 2019, Teil II VI. 5. d) Rz. 94 f.).
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- Antragsfassung
Der 10. Senat des BAG hatte bereits 2010 entschieden, dass der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Beschäftigung mit der bisherigen Tätigkeit hat, solange der Arbeitgeber nicht wirksam von seinem Direktionsrecht Gebrauch macht und ihm eine andere vertragsgemäße Entscheidung zuweist.[1] Diese nicht unumstrittene Sicht erleichtert die Antragstellung. Es ist allerdings problematisch, dass der Arbeitgeber durch eine unternehmerische Entscheidung genau die Stelle, auf die der Titel zielt, abbauen kann. Dann wäre die Beschäftigung unmöglich. Genau dies ist in dem am 5.2.2020 entschiedenen BAG-Fall passiert. Da der Kläger nur einen auf diese Stelle zugeschnittenen Titel hatte, musste der Zwangsvollstreckungsantrag abgewiesen werden. Mit anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeiten befasste sich das Urteil nicht. Daher der Tipp: Wenn eine solche Situation droht, sollte man mit Hilfsanträgen arbeiten. Für den Fall, dass die Klage auf eine bestimmte Beschäftigung mit der bisherigen Tätigkeit abgewiesen wird, könnte hilfsweise eine andere, möglicherweise abstrakt umschriebene Beschäftigung eingeklagt werden. Über diese Anträge wird zwar nicht entschieden, wenn dem Hauptantrag stattgegeben wird. Die Beklagtenseite ist jedoch gehalten, sich auch zu diesen Anträgen schriftsätzlich einzulassen. Damit wird auch die Reichweite des Weisungsrechts Gegenstand des Erkenntnisverfahrens. Genau dies genügt aber dem 10 Senat zur Auslegung des Beschäftigungsurteils. Es soll nur verhindert werden, dass dieser Streit in das Vollstreckungsverfahren verlagert wird.
- Zwangsvollstreckung
Die Zwangsvollstreckung erfolgt gem. § 888 ZPO durch die Festsetzung von Zwangsgeld und/oder Zwangshaft. Letztere wird idR. nur dann verfügt, wenn das Zwangsgeld nicht beitreibbar ist. Bei besonders vermögenden Arbeitgebern, die jedwedes Zwangsgeld "aus der Portokasse" zahlen, kann es sinnvoll sein, gleich den Antrag auf Zwangshaft zu stellen. Aus der Arbeitgebersicht erscheint es nicht unbedingt notwendig, gleich eine Vollstreckungsgegenklage zu erheben, wenn sich die Verhältnisse seit der Titulierung geändert haben. In der o.g. Entscheidung sagt das BAG ausdrücklich, dass die Gerichte gehalten sind, die Frage der Unmöglichkeit der Beschäftigung im Zwangsvollstreckungsverfahren nach § 888 ZPO zu prüfen. Materielle Einwände gegen den zu vollstreckenden Anspruch seien nicht nur im Verfahren nach § 767 ZPO zu prüfen. Daher sollte man um einen gerichtlichen Hinweis bitten, ob in der konkreten Situation eine Vollstreckungsabwehrklage notwendig ist oder ob das Gericht die Einwände im Zwangsvollstreckungsverfahren zu berücksichtigen gedenkt.
- Folgerungen für die Praxis
Für die Arbeitnehmerseite folgt aus alledem, dass man "dranbleiben" und auf schnelle effiziente Vollstreckung des Titels dringen muss. Dabei sollte man das Gericht auch durchaus "nerven", damit nicht durch unnötig lange Stellungnahmefristen wertvolle Zeit vergeht. Für die Arbeitgeberseite ergeben sich vielfältige Möglichkeiten, durch unternehmerische Entscheidungen die Zwangsvollstreckung zu erschweren. Gerade wenn der Titel auf einen abgegrenzten Zeitraum gerichtet ist, kann man häufig der Zwangsvollstreckung vollständig abwehren. Allerdings kann eine Verletzung des Persönlichkeitsrechtes einen Entschädigungsanspruch nach §§ 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG auslösen (s. hierzu LAG Rheinland-Pfalz v. 1.9.2020 – 6 Sa 431/19).
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Hinweis der Redaktion: Zur Vertiefung empfohlen sei der Aufsatz des Blog-Autors mit dem Titel "Die Vollstreckung von Beschäftigungstiteln: Ein schwieriges Unterfangen – Zugleich eine Besprechung der Entscheidung des BAG v. 5.2.2020 – 10 AZB 31/19" in Heft 12/20 des ArbRB (ArbRB 2020, 386). Sie sind noch kein Abonnent? Dann greifen Sie gratis auf den Beitrag zu im Rahmen eines ArbRB-Probeabonnements oder Tests unseres Aktionsmoduls Arbeitsrecht.
[1] BAG v. 25.8.2010 – 10 AZR 275/09 Rz. 16., ArbRB 2010, 361 (Range-Ditz) = MDR 2011, 431