Vorzeitiger Aufruf der Sache: Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit kann nicht erfolgreich gerügt werden
Wer kennt eine solche Situation nicht? Der Gerichtstermin ist beispielsweise auf 09:30 Uhr terminiert. Alle Verfahrensbeteiligten sind bereits schon deutlich zuvor anwesend und warten vor dem Gerichtssaal auf den Aufruf der Sache. Die Parteien lugten in den Gerichtssaal und auch der vorsitzende Richter bzw. die vorsitzende Richterin ist ebenfalls schon da. Das Gericht fragt sodann: „Wollen wir schon einmal anfangen, wenn ja alle da sind“, und ruft die Sache auf; es wird verhandelt.
Ein solcher Fall lag auch der Entscheidung des BAG vom 24.11.2022 (2 AZN 335/22) zugrunde. Bei dem vom BAG zu entscheidenden Fall wurde die Sache so früh aufgerufen und verhandelt, dass sogar die Anträge vor der eigentlich terminierten Uhrzeit aufgenommen wurden. Der Kläger rügte im Rahmen seiner Nichtzulassungsbeschwerde unter anderem, dass er den Grundsatz der Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sehe.
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hatte keinen Erfolg.
Das BAG sah die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens (§§ 169 ff. GVG) nicht als verletzt an. Der Grundsatz der Öffentlichkeit solle gewährleisten, dass sich die Rechtsprechung der Gerichte grundsätzlich „in aller Öffentlichkeit“ und nicht hinter verschlossenen Türen abspiele. Er diene letztlich der Kontrolle der Gerichte. Entsprechend diesem Sinn sei der Grundsatz der Öffentlichkeit gewahrt, wenn die Verhandlung in Räumen stattfinde, zu denen während der Dauer der Verhandlung grundsätzlich jedermann der Zutritt offenstehe. Dies sei vorliegend der Fall gewesen, zumal auch während der gesamten Verhandlung die Saaltür unstreitig offenstand.
Der Grundsatz der Öffentlichkeit erfordere nicht, dass jedermann wisse, wann und wo eine mündliche Verhandlung stattfinde. Der Schutz des Vertrauens in lediglich Terminankündigungen werde nicht erfasst, denn die Kontrolle des Verfahrensgangs durch die Allgemeinheit werde durch die bloße Abweichung von einer gerichtlichen Terminankündigung nicht beeinträchtigt.
Auch der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG sei nicht verletzt. Der Prozessbevollmächtigter sei bereits bei Aufruf der Sache anwesend gewesen und habe sich durch seine nachfolgende Antragstellung rügelos i. S. v. § 295 Abs. 1 ZPO eingelassen. Ein Verfahrensfehler durch einen Verstoß gegen § 220 Abs. 1 bzw. § 137 Abs. 1 ZPO liege daher ebenfalls nicht vor.
Die Nichtzulassungsbeschwerde wurde daher zurückgewiesen.
Die Entscheidung überzeugt. Der Grundsatz der Öffentlichkeit des Verfahrens soll vor einer Geheimjustiz „hinter verschlossenen Türen“ bewahren. Dem ist Genüge getan, wenn die Verhandlung zu den üblichen Geschäftszeiten stattfindet und die Räumlichkeiten grundsätzlich für die Allgemeinheit zugänglich sind. Überzeugend ist auch der Verweis auf die rügelose Einlassung des klägerischen Prozessbevollmächtigten. Wer sich widerspruchslos auf einen früheren Verhandlungsbeginn einlässt und sogar aktiv seine Anträge stellt, kann sich nicht darauf berufen, dass hierdurch ein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sei. Wollen Prozessbevollmächtigte geltend machen, dass Verfahrensvorschriften verletzt wurden, empfiehlt es sich stets, unmittelbar deren Einhaltung zu rügen.
RA FAArbR Daniel Mantel
RPO Rechtsanwälte, Köln