17.02.2016

Wer krank ist, ist krank

Portrait von Detlef Grimm
Detlef Grimm

Häufig nutzt der Arbeitgeber Personalgespräche, um von seinem Direktionsrecht nach § 106 GewO Gebrauch zu machen. Deshalb ist anerkannt, dass das Weisungsrecht grundsätzlich auch die Berechtigung umfasst, den Arbeitnehmer zur Teilnahme an Gesprächen zu verpflichten, in denen der Arbeitgeber Weisungen vorbereiten, erteilen oder ihre Nichterfüllung beanstanden will (BAG, Urteil vom 23.06.2009 – 2 AZR 606/08 –, zitiert nach juris  Rn. 17).  Der Arbeitnehmer muss jedoch nicht zu jedwedem Personalgespräch erscheinen: Die Pflicht beschränkt sich auf die Teilnahme an Personalgesprächen, die im Sinne des § 106 GewO auch tatsächlich einen Bezug zur Arbeitsleistung haben. Nicht erfasst sind Personalgespräche mit dem Ziel, über den Vertragsinhalt zu verhandeln. (vgl. BAG, aaO.  Rn. 24).

Das LAG Nürnberg hat nun entschieden, dass der Arbeitnehmer auch nicht zu jeder Zeit und insbesondere nicht bei Krankheit zu einem Personalgespräch erscheinen muss (Urteil vom 01. 09. 2015 – 7 Sa 592/14). Folgender Sachverhalt war zu bewerten: Die Klägerin bat ihre Arbeitgeberin, die Beklagte, um eine Woche Urlaub, um eine bevorstehende Entscheidung über eine berufliche Veränderung überdenken zu können. Die Beklagte lehnte den Urlaubsantrag noch am selben Tag ab. Zwei Tage später meldete sich die Klägerin arbeitsunfähig. Der Zustand der Arbeitsunfähigkeit hielt noch die drei folgenden Monate an.

In diesem Zeitraum forderte die Beklagte die Klägerin mehrmals auf, an Personalgesprächen teilzunehmen, zu denen die Klägerin jeweils nicht erschien. Die Beklagte sprach daraufhin – nach der Erteilung mehrerer Abmahnungen – im Abstand von zwei Monaten zwei ordentliche Kündigungen aus. Die Klägerin habe sich weisungswidrig verhalten, indem sie sich geweigert habe, an den Personalgesprächen teilzunehmen. Diese Weigerung stelle einen Pflichtenverstoß dar, der die Beklagte zunächst zu Abmahnungen und schließlich auch zur verhaltensbedingten Kündigung berechtigt habe.

Die Kündigungsschutzklage gegen beide Kündigungen war vor dem Arbeitsgericht Nürnberg war erfolgreich. Das sieht auch das LAG Nürnberg so: „Die Klägerin war […] nicht verpflichtet, an den von der Beklagten angeordneten Personalgesprächen teilzunehmen.[…] Ist der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt, kommen Weisungen bezüglich seiner Arbeitsleistung nicht in Betracht, da der erkrankte Arbeitnehmer von der Erbringung der Arbeitsleistung befreit ist.“ (LAG Nürnberg, a.a.O., Rn. 45, 47, zitiert nach juris).

Die Beklagte hatte mit ihrem Vorbringen, die Arbeitsunfähigkeit entbinde einen Arbeitnehmer nicht von der Erfüllung seiner Nebenpflichten, keinen Erfolg. Da auch Nebenpflichten nur der ordnungsgemäßen Erfüllung des Arbeitsvertrags dienten, könne vom arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer, von dem keine Vertragserfüllung verlangt werden könne, auch die Teilnahme an einem Personalgespräch nicht verlangt werden. „Dabei ist es unerheblich, ob die Klägerin aufgrund ihres Gesundheitszustandes in der Lage gewesen wäre, an dem von der Beklagten gewünschten Gespräch teilzunehmen. Sie war hierzu nicht verpflichtet. Eine teilweise Arbeitsunfähigkeit besteht nicht“ (LAG Nürnberg, a.a.O., Rn. 48).

Spannend bleibt, wie das BAG dies sehen wird (Revision eingelegt unter dem Az. 2 AZR 855/15). Auch die Teilnahme des Arbeitnehmers am BEM nach § 84 SGB IX, dessen Durchführung gesetzliche Pflicht des Arbeitgebers ist, ist übrigens freiwillig. Das weist den Weg.

Die fragliche Weisung zur Teilnahme am Personalgespräch war aber nach Auffassung des LAG Nürnberg schon unabhängig von dieser Grundsatzfrage rechtswidrig. Gemäß § 106 GewO hat der Arbeitgeber sein Weisungsrecht nach billigem Ermessen, also unter Abwägung der beiderseitigen Interessen und aller Umstände des Einzelfalls, auszuüben. Hier aber hat die Beklagte „bereits nicht vorgetragen, welches Interesse sie daran hatte, während der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin mit dieser ein Personalgespräch zu führen. Insbesondere ist […] nicht ersichtlich, welchen dringenden, unaufschiebbaren Gesprächsbedarf die Beklagte hatte, so dass es für sie nachteilig gewesen wäre, hiermit zu warten, bis die Klägerin wieder arbeitsfähig war. (LAG Nürnberg, a.a.O., Rn. 59). Das legt die Vermutung, es habe sich um Schikane gehandelt, nahe. Wenn man also schon einen krankgeschriebenen Arbeitnehmer ins Büro zitiert, dann sollte man wenigstens erklären können, warum es denn so dringend ist…

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