Widerspricht das Kündigungsschutzrecht dem Verbot der Altersdiskriminierung?
Es ist eine Frage, die die Arbeitsrechtler seit Inkrafttreten des AGG im Jahr 2006 beschäftigt: Wie ist es mit dem Verbot der Altersdiskriminierung zu vereinbaren, dass das Kündigungsschutzrecht (§ 1 KSchG) im Rahmen der sozialen Auswahl dem Alter eines Mitarbeiters Bedeutung für dessen Schutzniveau zumisst?
Zunächst hatte der deutsche Gesetzgeber versucht, in § 2 Abs. 4 AGG anzuordnen, dass das AGG eben nicht für Kündigungen gelte. Dies war - offensichtlich - europarechtswidrig, weil das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Richtlinie 2000/43 EG und 2000/78 EG (Art 3 I c) gerade auch die Beendigung von Arbeitsverhältnissen erfasst ("Entlassungsbedingungen"). Der EuGH hat dies schnell klargestellt (EuGH 11.7.2006 - Rs. C-13/05, ArbRB 2006, 258 [Müller], ArbRB online), und das Bundesarbeitsgericht hat daran anschließend salomonisch festgestellt, dass in unionsrechtskonformer Auslegung eine entsprechende Wertung in Konkretisierung des Begriffs der Sozialwidrigkeit bzw. über die Generalklauseln des Zivilrechts (§ 138 BGB, § 242 BGB) vorzunehmen sei (BAG 16.11.2008 - 2 AZR 523/07, ArbRB 2009, 128 [Kappelhoff], ArbRB online).
Letzten Endes kann dies aber immer noch nicht an dem Problem vorbeiführen, dass das Alter ein zentrales Kriterium der Sozialauswahl ist, so dass mit erhöhtem Alter tendenziell auch ein erhöhter Schutz entsteht. Der immanente Konflikt von Sozialauswahl und dem Verbot der Altersdiskriminierung liegt damit auf der Hand.
Das Bundesarbeitsgericht hat jetzt mit Urteil vom 15. Dezember 2011 ( 2 AZR 42/10) die Gelegenheit gehabt, hierzu einige klare Worte zu sagen. Das Bundesarbeitsgericht findet eine - sicherlich elegante - Auflösung dieses Konfliktes darin, dass § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG im Interesse der "Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur" die Bildung von Altersgruppen ermögliche. Dadurch könne die andernfalls linear ansteigende Gewichtung des Lebensalters unterbrochen und zugunsten jüngerer Arbeitnehmer relativiert werden. Die gesetzliche Regelung in § 1 KSchG bringe daher das Ziel, ältere Arbeitnehmer zu schützen, mit dem Ziel, die berufliche Eingliederung jüngerer Arbeitnehmer sicherzustellen, zu einem angemessenen Ausgleich. Dies führe zwar zu einer Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer, sei aber durch das rechtmäßige Ziel der Beschäftigungspolitik und des Arbeitsmarkts gerechtfertigt. Dies lässt sich sicherlich nachvollziehen, allerdings ist im Auge zu behalten, dass § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG die Bildung von Altersgruppen nicht zwingend vorschreibt, sondern letztlich ein Ausnahmeinstrumentarium darstellt. Das Bundesarbeitsgericht hat keine Bedenken dagegen, dass dieses Kompensatorium nicht zwingend anzuwenden ist, sondern dem Arbeitgeber bzw. bei Mitbestimmungspflicht - allgemeine Auswahlrichtlinien - den Betriebsparteien überantwortet wird, während das Lebensalter an sich zwingend zu berücksichtigendes Kriterium der Sozialauswahl ist.
Sicherlich hat das Bundesarbeitsgericht mit dieser Entscheidung einen Weg gewiesen, sich von der bisherigen Praxis der sozialen Auswahl nicht lösen zu müssen. Dass das Bundesarbeitsgericht hieran festhalten will, ist auch daran zu erkennen, dass es von der Vorlage dieser Frage an den EuGH in dieser Entscheidung abgesehen hat. Das Verhältnis von Sozialauswahl mit dem Verbot der Altersdiskriminierung sei „durch die jüngere Rechtsprechung des EuGH geklärt“. Das mag im Großen und Ganzen so sein, allerdings scheint doch ein wenig die Furcht durch, der EuGH könne in dieser Frage gegebenenfalls eine andere Sichtweise als das Bundesarbeitsgerichts vertreten.
Hinweis der Redaktion: Eine ausführliche Besprechung des BAG-Urteils vom 15. Dezember 2011 lesen Sie in Heft 6 des ArbRB.