Anmerkungen zur Streaming-Abmahnwelle
Das Gesetz gegen die flächendeckende Aktionen der Abmahnindustrie ist wenige Monate alt. Anlass des Gesetzes war, dass jährlich etwa 600.000 Abmahnungen im Wert von etwa 500 Mio. Euro verschickt werden. Wenn das Gesetz erlaubt, dass die Anwälte im aktuellen Redtube-Fall 20.000 Abmahnungen zu je 250 Euro verschicken, also 5 Mio. Euro einziehen wollen (zu den Einzelheiten siehe Solmecke, „Der Redtube-Fall“, CR 2014, 137 ff.), ist es unzureichend.
Wenn das Gesetz das nicht durchlässt: Können die Anwälte auf Rückzahlung verklagt werden? Sie sind ja diejenigen, die die Situation überblicken oder überblicken können. Sie bekommen das Geld in die Hand und sind diejenigen, die für Mandanten arbeiten, die in der Praxis letztlich ungreifbar bleiben. Der gesetzgeberische Weg wäre einfach: Die Anwälte haben bis zur Rechtskraft von Entscheidungen das Geld treuhänderisch bei sich zu behalten und können vom Abgemahnten unmittelbar auf Rückzahlung verklagt werden.
1. Der Datenschutz-Skandal
Der Vorgang ist einer der größten Datenschutz-Skandale, seit man in Deutschland den Datenschutz erfunden hat (warum keine Urheberrechtsverletzung vorliegt, zeigt Knies, „Redtube.com: Kann den Streamen Sünde sein?“, CR 2014, 140 ff.). Das Betrachten pornografischer Filme durch Erwachsene ist straffrei. Dass die Frage, wer wann solche Filme anschaut, von höchster persönlichkeitsrechtlicher Relevanz ist, liegt auf der Hand. Ein Gericht liefert diese Daten Institutionen aus, deren Seriosität offenbar nicht mit hanseatischen Maßstäben übereinstimmt, obwohl klar ist, was die Informationen in der sozialen Wirklichkeit bewirken werden (zur Frage, warum die Abmahner schon haben, was sie brauchen, siehe Härting, "Was man aus Redtube für den Datenschutz und die Vorratsdatenspeicherung lernen kann", CRonline Blog v. 23.1.2014). Das darf nicht passieren. Auch ein Richter, der alltäglich über Baurecht entscheidet (wie beim LG Köln geschehen), muss ein Minimum an Wirklichkeitssinn und Redlichkeitssinn bewahrt haben.
2. Durchwinken!
Das Verfahren zur Behandlung der Anträge nach § 101 UrhG beim LG Köln war in allen Aspekten schlecht (siehe "Redtube Streaming-Abmahnungen: LG Köln revidiert seine Auskunftsbeschlüsse", CRonline News v. 28.1.2014). Solche Anträge sind für die Gerichte eine wahre Plage; sie sind lästig und häufig. Keiner will sie machen. Die auf Urheberrecht spezialisierten Richter haben wenig Bereitschaft, ihre Arbeitskraft mit solchen Anträgen zu verbringen.
Das LG Köln erstellte deshalb eine Verfahrensordnung, wonach jeder Richter am LG gleichermaßen mit dem Zeug belastet wird. Man weiß ja; ein deutscher Volljurist ist zu allem fähig. Nur unterschlägt man üblicherweise den Nachsatz: „Manche halten das für ein Kompliment“.
Die Folge ist, dass über diese Anträge mit evidenten persönlichkeitsrechtlichen Belangen durch Personen entschieden wurde, die auf die Sache keine Lust hatten, die kein Verständnis für den komplexen technischen Sachverhalt hatten und mit den rechtliche Zusammenhängen nicht vertraut waren und die – so muss man den Vorgang insgesamt lesen – die Praxis des Durchwinkens im Hause kannten und befolgten. Die turnusmäßig ebenfalls mit solchen Anträgen befassten Urheberrechtskammern haben die Anträge korrekt zurückgewiesen.
Die Zuweisung richterlicher Aufgaben in dieser Weise und mit diesem Ergebnis ist ein schwerer und vorwerfbarer Organisationsfehler. Die Gerichtsorganisation liegt außerhalb des Spruchprivilegs (§ 839 Abs. 2 BGB). Man muss hoffen, dass Amtshaftungsklagen gegen das Land Nordrhein-Westfalen als Träger des LG Köln erhoben werden.
3. Rechtliches Gehör
§ 101 Abs. 9 UrhG verweist für das Verfahren auf das FamFG. Laut § 7 Abs. 2 FamFG sind als Beteiligte hinzuzuziehen "diejenigen, deren Recht durch das Verfahren unmittelbar betroffen wird." Das ist ersichtlich nicht nur das Unternehmen, bei welchem die Verbindungsdaten liegen, sondern auch der Datenbetroffene, dessen Identität als Auskunft verlangt wird. Denn die Herausgabe der Verbindungsdaten führt beim Antragssteller, der weiß, welcher Film über diese Verbindung lief, zu einer datenschutzrechtlich relevanten Information über den Datenbetroffenen.
Rechtliches Gehör ist bekanntlich vor der Entscheidung zu gewähren. Das gilt prinzipiell auch in Eilverfahren. Aber bei den Gerichten ist der Brauch eingerissen, vorläufige Entscheidungen auf der Grundlage des Antrags ohne weitere Anhörung schriftlich zu treffen, also nur den Antrag auf Plausibilität zu prüfen. Das Verfassungsprinzip des Gehörs verlangt außer in extremen Sonderfällen die vorherige Anhörung.
Die Entscheidung ohne Anhörung gegen die Person, die den Internet-Zugang gebucht hat, ist schon deshalb fragwürdig, weil (wie mehrere BGH-Entscheidungen zeigen) in einem Familienhaushalt mehrere Personen den Anschluss benutzen, so dass die beim Provider benannte Inhaberschaft keine hinreichende Auskunft darüber gibt, welche Person tatsächlich gehandelt hat.
Das rechtliche Gehör steht auch dem Datenbetroffenen zu, über dessen Identität Auskunft verlangt wird. Damit werden die datenschutzrechtlichen Belange des Datenbetroffenen grob verletzt. Über sein Rechtsgut ist verfügt, bevor er überhaupt etwas von dem Verfahren ahnt.
6. Und die Datenschutzbehörden?
Eine Aktion der Datenschutzbehörden in Bezug auf diese Gegebenheiten ist nicht bekannt. Dass personenbezogene Daten an angebliche Inhaber von Urheberrechten auf Zuruf ohne Anhörung des Betroffenen herausgegeben werden, ist alter, schlechter Brauch und hätte von den Datenschutzbehörden seit jeher aufgegriffen werden müssen.
7. Und nun?
Es ist wenig dienlich, gleich wieder nach dem Gesetzgeber zu rufen, obwohl er schlechte Arbeit geleistet hat. Es ist noch weniger dienlich, den Abmahn-Anwaltskollegen zuzurufen, sie sollen sich an Recht, Gesetz und Sittlichkeit halten. Es hilft auch nichts, den Richtern in Erinnerung zu rufen, was sie bei der Vereidigung versprochen hatten und dass Jura ohne Realitätsbezug üble Ergebnisse hervorbringt.
Was also soll man tun? Vielleicht kann man nur die russische Volksweisheit wiederholen:
Man kann nichts machen.