Auf der falschen Veranstaltung: Wiener Professorin zu Datenschutz und Lobbyisten
Sarah Spiekermann hat einen flotten Artikel für die "Zeit" geschrieben. Der Artikel hat die hübsche Überschrift "Die Verwässerer". Und die Wirtschaftsinformatikerin (Prof. Dr. Sarah Spiekermann, Wirtschaftsuniversität Wien) empört sich schon im Untertitel über einen "Angriff auf das deutsche Datenschutzgesetz".
Die Autorin berichtet über die Tagung zum "Datenschutz im 21. Jahrhundert", zu der der Bundesinnenminister Mitte Oktober einige Hundert Experten nach Berlin eingeladen hatte. Teilnehmer und Redner unter anderem der grüne Europa-Parlamentarier Jan-Philipp Albrecht (Berichterstatter für das EU-Datenschutzpaket), Paul Nemitz, Direktor der EU-Kommission, der Wiener Datenschutzaktivist Max Schrems sowie die Datenschutzbeauftragten des Bundes und des Landes Berlin, Peter Schaar und Alexander Dix. All diese Herren stehen gewiss nicht unter Verdacht, das Datenschutzrecht "verwässern" zu wollen. Befremdlicherweise erfährt der geneigte Leser des Zeit-Artikels jedoch nichts davon, dass gestandene Datenschützer zu den Hauptrednern der Tagung zählten.
Die Wiener Professorin hat bei der Berliner Tagung nur eine ebenso namenlose wie "überschaubare Minderzahl an Verbraucherschützern, Wissenschaftlern und Datenschutzbeauftragten" gesehen. Dass sie selbst zu den Hauptrednern der Tagung zählte, lässt sie gleichfalls unerwähnt.
Die Kunst des Fortlassens: Sarah Spiekermann möchte über "Lobbyverbände" berichten, die bei der Tagung vertreten waren, um "mit rhetorischer Exzellenz" dem Datenschutzrecht den Garaus zu bereiten. Und was nicht passt, wird passend gemacht: Hans Peter Bull, einer der Grandseigneurs des deutschen Datenschutzrechts, wird kurzerhand in einen Topf mit "Lobbyisten" geworfen.
Statt sich zu empören, hätte Frau Spiekermann besser einmal zugehört - eine Fähigkeit, die man von einer Wissenschaftlerin doch eigentlich erwarten darf: In der ersten Reihe der Kritiker der EU-Datenschutzvorschläge stehen keineswegs "Hundertschaften von Lobbyisten". Und es geht auch keinem ernstzunehmenden Kritiker um eine Abschaffung des Datenschutzrechts. Gefordert werden vielmehr differenzierte Regelungen und Augenmaß (vgl. etwa Schneider/Härting, Alternativentwurf DS-GVO, Fassung August 2012).
Bei der Datenverarbeitung durch Wirtschaft und Staat geht es um unterschiedliche Gefahrenszenarien. Es ist nicht einzusehen, dass für Adressdaten derselbe rechtliche Maßstab gelten soll wie für die Verarbeitung und Nutzung von Daten aus intimen Chatprotokollen. Schlussendlich geht es auch nicht nur um den Schutz von Privatheit und informationeller Selbstbestimmung, sondern auch um den Schutz der freien Kommunikation vor einer europäischen Behördenpyramide, die sich im Zeichen des Datenschutzes in Kommunikationsvorgänge einmischen möchte.
Die vernetzte Kommunikation führt bei den Freiheitsrechten der Bürger zu Gemengelagen, die einer differenzierten Betrachtung bedürfen. Daher ist die Schaffung eines modernen Datenschutzrechts eine komplexe Herausforderung, die nicht bei einer "Fortschreibung" eines Datenschutzrechts stehen bleiben kann, das aus der Ära der Großrechner stammt. Flott über "Konzernlobbyisten" zu schreiben ist einfach. Ob Frau Spiekermann befähigt ist, einen ernsthaften Beitrag zu leisten zu den Grundlinien einer differenzierten, risikoorientierten Datenschutzreform, bleibt abzuwarten.