21.05.2012

Datenschutz im Netz: Warum der "freie Verkehr von Daten" eine Chimäre ist.

Portrait von Niko Härting
Niko Härting

Art. 1 Abs. 1 DS-GVO (Seite 46) lautet:

"Diese Verordnung enthält Vorschriften zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Verkehr solcher Daten."

Jedes Mal, wenn ich diesen Satz lese, frage ich mich, wie man sich denn im Internet den "freien Verkehr von Daten" vorzustellen hat. Denn das Internet kennt bekanntlich keine Landesgrenzen. Oder reisen die Daten dieses Postings nach Zürich, wenn ein Schweizer Kollege diesen Beitrag liest?

Kein Verkehr ohne Datenübermittlung

In der englischen Fassung wird noch deutlicher, dass Art. 1 Abs. 1 DS-GVO nicht internettauglich ist: Dort ist vom "free movement of personal data" die Rede. "Free movement" und "freier Verkehr" sind Begriffe aus einer Zeit, in der Daten noch auf Datenträgern Landesgrenzen überquerten. Auf die Datenverarbeitung im Internet passt die Formulierung nicht. Dies umso mehr, als es ja seit fast einem Jahrzehnt das Lindqvist-Urteil des EuGH gibt. Dort entschied der EuGH, dass eine Online-Publikation zwar als Vorgang der Datenverabeitung anzusehen ist, es jedoch an einer "Übermittlung" (in ein Drittland) fehle (EuGH, Urt. v. 6.11.2003 - C-101/01, CR 2004, 286 Rz 52 - 71 = ITRB 2004, 147 (Elteste); Summary & Comment von Retzer/Ritter, CRi 2004, 23; ausführlich zu den Auswirkungen des Urteils auf die Auslegung des deutschen Rechts siehe Taraschka, CR 2004, 280).

Datenschutz und andere Grundrechte

Das Missverständnis ist weit mehr als ein Schönheitsfehler: Art. 1 Abs. 1 DS-GVO nennt die Schutzziele der Verordnung. Der "freie Verkehr" soll das Gegengewicht zum Schutz persönlicher Daten darstellen. Wenn dieses Gegengewicht jedoch bei Internet-Sachverhalten eine Chimäre ist, führt dies zu einer Verabsolutierung des Datenschutzes. Je strenger und ausnahmsloser Beschränkungen und Verbote der Datenverarbeitung und -nutzung sind, desto mehr wird das in Art. 1 DS-GVO formulierte Anliegen der Verordnung erreicht.

Rigorose Tendenzen des Datenschutzes führen indes zwangsläufig zu Kollisionen mit anderen Grundrechten im nicht-öffentlichen Bereich. Kommunikationsverbote sind an Art. 11 EU-Grundrechtscharta, ABl. EG v. 18.12.2000 - C 364/11, zu messen. Und für Eingriffe in die unternehmerische Freiheit gilt Art. 16 EU-Grundrechtscharta, ABl. v. 18.12.2000 - C 364/12. Die Grundrechte der Datenverarbeiter und -nutzer sind das Gegengewicht zum Datenschutz. Würde dies dort geregelt, wo es hingehört - in Art. 1 DS-GVO - müssten in vielen Regelungsbereichen Neujustierungen erfolgen. Und es würde insbesondere klar, dass das Verbotsprinzip für Online-Publikationen nicht gelten kann, wenn man das Grundrecht auf freie Kommunikation ernst nimmt.

 

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