Democracy - Im Rausch der Daten
(Eine Filmkritik aus rechtspolitischer Perspektive)
Wie schafft man es, ein Gesetzgebungsverfahren, in dem es um Auftragsdatenverarbeitung, Drittstaatenübermittlungen, Datenschutzfolgenabschätzungen, Kohärenzverfahren und Zertifizierungen geht, filmisch in Szene zu setzen, ohne zu langweilen? Indem man daraus eine Geschichte zwischen Gut und Böse konstruiert.
„Democracy – Im Rausch der Daten“ lebt von dem vermeintlichen Gegensatz zwischen guten Bürgerrechten und bösen Wirtschaftsinteressen:
- "Gut": Die Protagonisten des Gesetzgebungsverfahrens, Jan-Philipp Albrecht (Berichterstatter für das Dossier im Europäischen Parlament) und Viviane Reding (seinerzeit zuständige EU-Kommissarin), sehen sich als Vorkämpfer für das Gute.
- "Böse": Diejenigen, die auf die Verarbeitung von Daten angewiesen sind und damit Geld verdienen, finden sich in der Rolle der Bösewichte. Der europäische Ko-Gesetzgeber, der Ministerrat, will sich dem von Kommission und Parlament erzeugten Zeitdruck nicht unterwerfen und wird daher ebenfalls der Seite des Bösen zugerechnet.
In Schwarz-Weiß gedreht, spiegelt der Film diese künstliche Aufteilung der Welt in Schwarz und Weiß wieder. Regisseur David Bernet folgt kritiklos der politischen Schwarz-Weiß-Agenda der beiden Protagonisten. Daher fehlt dem Film leider die inhaltliche Differenziertheit und er kratzt nur an der Oberfläche der Sachprobleme.
Zu Beginn des Films gibt Reding die Parole aus:
„Personal data belong citizens.“
Diese auf den ersten Blick eingängige, aber falsche Grundannahme durchzieht den gesamten Film. Es gibt kein Eigentum an personenbezogenen Daten und es gibt auch keine absolute Herrschaft des Einzelnen über „seine“ Daten (Dass es in einer demokratischen Gesellschaft kein eigentumsähnliches “Recht auf meine Daten” geben kann, hat das BVerfG bereits in seinem Volkszählungsurteil vom 15.12.1983 erkannt: BVerfG, Urt. 15.12.1983 – 1 BvR 209/83, 1 BvR 269/83, 1 BvR 362/83, 1 BvR 420/83, 1 BvR 440/83, 1 BvR 484/83, BVerfGE 65, 1 ff. zu C.II.1.b) = Rz. 150). Der Film dient jedoch der Weiterverbreitung dieser These vom eigentumsähnlichen Verfügungsrecht über Daten.
Die grundlegende Frage nach dem Zweck der ganzen Veranstaltung wird im Film nicht gestellt:
- Geht es um den Schutz der Daten um ihrer selbst willen? Soll ich also jederzeit „meine“ Daten zurückholen, löschen lassen oder ihrer Verarbeitung widersprechen können?
- Geht es um die informationelle Selbstbestimmung? Soll ich also wissen, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über mich weiß?
- Geht es um digitale Souveränität? Soll ich also jederzeit andere davon ausschließen können, etwas über mich zu wissen?
- Oder geht es um den Schutz der Privatsphäre? Wenn ja, was bedeutet Privatsphäre?
Was bedeutet es für den Gesetzgeber, dass der Begriff der Privatsphäre ständigen gesellschaftlichen Wandlungen unterworfen ist und daher keineswegs so festgelegt zu sein scheint, wie es der Film suggeriert. „There is no thing as privacy as such“, sagt James Whitman ("The Two Western Cultures of Privacy: Dignity Versus Liberty", Yale Law Journal Vol. 113, 1151 (1221)).
- Was bedeutet Privatsphäre in der sich rasant wandelnden digitalen Welt, in der die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem fließend werden?
- Was bedeutet es, wenn es in Deutschland das Steuergeheimnis gibt, in Schweden aber die Steuerdaten und damit die Gehälter aller Bürger öffentlich zugänglich sind?
- Ist das Recht auf Datenschutz ein gleichwertiges Grundrecht oder hat es nur instrumentellen Charakter und dient allein dem Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre?
Von Politikern ist es vielleicht zu viel verlangt, sich mit den vielfältigen praktischen, technischen, rechtlichen, wissenschaftlichen und philosophischen Dimensionen, die die Auseinandersetzung über Privacy mit sich bringt, zu beschäftigen. Ein Filmemacher aber, der jahrelang im „Rausch der Daten“ verbringt, hätte hier nachfassen müssen. Stattdessen lässt er beide Seiten, Politiker und Lobbyisten, die üblichen Platitüden wiederholen, die mittlerweile jeder Spiegel-Leser kennt: „Daten sind das neue Öl“, „Daten sind Geld“, „Daten sind die neue Währung“, „all answers are in the data“, „surveillance is about managing people“.
Wenn schon nicht die Frage nach dem Sinn des Datenschutzrechts gestellt wird, hätten wenigstens Beispiele der vom Gesetzgeber zu lösenden Rechtsprobleme aufgezeigt werden können. Manches findet im Film beiläufig Erwähnung: der Unterschied zwischen „identification“ und „singling out“, die Profilbildung, die Schwäche des Rechtsinstituts der Einwilligung, das Recht auf Vergessen. Für den Nichtfachmann reden die Akteure in diesen Momenten aber nur Fachchinesisch.
In den 100 Minuten des Films wäre durchaus Gelegenheit gewesen, dem einen oder anderen Geschäftsmodell auf den Grund zu gehen. Der Zuschauer wäre intellektuell nicht überfordert gewesen, wenn man ihm die datenschutzrechtliche Einordnung der Zusendung von Werbung erklärt und die Pro- und Contra-Argumente von Opt-in- und Opt-out-Lösungen vor Augen geführt hätte. Warum nicht erklären, in welche Schwierigkeiten ein falscher Kreditscore den Betroffenen bringen kann, wie wichtig das Kreditscoring aber für die Bonitätsprüfung und damit für die Kreditwirtschaft ist und wie schwierig es für den Gesetzgeber ist, eine ausgewogene Regelung zu treffen? Warum nicht zeigen, unter welchen Voraussetzungen Kohortenstudien mit besonders schutzbedürftigen Gesundheitsdaten stattfinden dürfen, welche Rolle der „broad consent“ spielt und was der Gesetzgeber dabei für eine Interessenabwägung zu treffen hat.
Dass im Datenschutzrecht höchst komplexe rechtliche Interessenabwägungen zu bewältigen sind, lässt sich aus den aufgezeichneten Gesprächen der Akteure zwar erahnen. Dass es aber berechtigte öffentliche Interessen an der Verarbeitung personenbezogener Daten und kollidierende Grundrechte des Datenverarbeiters und Dritter gibt, die dem Recht auf Privatsphäre entgegenstehen, wird nicht klargestellt. Stattdessen bleibt der Film in der Entgegensetzung von guten Menschenrechtsaktivisten einerseits und bösem Staat und böser Wirtschaft andererseits stecken.
Dabei werden die Lobbyisten durchaus nicht unsympathisch gezeigt. Es sind keine düsteren Gestalten, die Bestechungsversuche unternehmen. Sie bleiben allerdings auch erstaunlich blass. Vermutlich hatten die Filmemacher Schwierigkeiten, Personen zu finden, die die ihnen zugedachte Rolle zu spielen bereit waren. So bleiben die großen Player Google, Facebook, Microsoft, Apple, Yahoo, Amazon, denen die Verordnung ja in erster Linie die Grenzen aufzeigen soll, gesichtslos. Stattdessen sehen wir Anwälte aus Großkanzleien, die um einen Termin bei Albrecht betteln und von diesem in der dunklen Ecke einer Konferenz abgefertigt werden.
Dass neben den Internetriesen und der Werbewirtschaft allein in Deutschland mehr als drei Millionen kleine und mittelständische Unternehmen, ca. 600.000 Vereine und praktisch alle hier lebenden Menschen Datenverarbeiter im Sinne des Datenschutzrechts sind, verschweigt der Film.
Dass nach dem „One-size-fits-all“-Ansatz der Verordnung auch die Datenverarbeitung für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung, dass Archive, dass die interne Unternehmenskommunikation, dass Journalisten, Blogger, Webseitenbetreiber und Crowdsourcing-Plattformen, dass das Internationale Rote Kreuz bei der Vermisstensuche und dass der Handwerker sowie der „Bäcker um die Ecke“ erfasst werden, relativiert die klassenkämpferische Rhetorik, kommt im Film aber ebenfalls nicht vor (zur Kritik am "One-size-fits-all"-Ansatz ausführlich Härting/Schneider, "Datenschutz in Europa – Plädoyer für einen Neubeginn", CR 2014, 306 (307)).
So laviert der Film zwischen der Eurokratenvariante eines Heldenepos à la „Die Firma“ mit allerdings mittelmäßig charismatischen Vorkämpfern für das Gute und Dokumentarfilmen à la „Food, Inc.“ mit allerdings geringerem investigativem Potential.
Betrachtet man den Film nur als Kunstwerk, ließe sich über die narzisstische Selbstinszenierung der Protagonisten hinwegsehen. Albrecht posiert in einer Säulenhalle, nicht ohne zuvor für die Kamera damit zu kokettieren, sich zum ersten Mal in seinem Leben eine Krawatte umzubinden. Er reckt bei der finalen Abstimmung im Europäischen Parlament seinen Daumen in die Höhe, als sei es die geballte Faust. Reding nennt Albrecht gönnerhaft ihren Lieblingsberichterstatter und tätschelt ihm fast mütterlich die Wange. Beide höhnen gemeinsam über die „usual suspects“, die die Frechheit haben, sich gegen ihre Entwürfe auszusprechen. Albrecht wiederum brüstet sich damit, er benötige als Berichterstatter für dieses Dossier jetzt wohl Personenschutz - als würden von Google gedungene Auftragskiller auf ihn warten. In einem Selfie-Video gefällt er sich in der Rolle desjenigen, den die Wölfe mit fletschenden Zähnen jagen und zerreißen wollen. Und der Mitarbeiter von Albrecht spricht vom Kriegsmodus, in den sie jetzt eintreten würden.
Ein bisschen viel Pathos und martialische Rhetorik für grüne Bürgerrechtsaktivisten. Die politischen Mitstreiter und Gegner werden allerdings vor Neid erblassen, wenn sie vorgeführt bekommen, wie man seine Rolle in einem Gesetzgebungsverfahren heroisieren kann. Doch kommt das Ganze immer noch authentisch rüber. Und das ist das Problem: Am Ende kann man nicht mehr so richtig unterscheiden, ob das politische Spiel für den Film inszeniert wurde oder ob der Film Teil der politischen Inszenierung ist, die die Verhandlungen seit Jahren kampagnenartig begleitet.
Die Filmemacher werben damit, dass zum ersten Mal in der Geschichte der EU ein Filmteam so tief ins Innere der EU habe vordringen können. Dies ist tatsächlich das größte Verdienst des Filmes. Das Brüsseler Tagesgeschäft wird in seiner ganzen Mühseligkeit, Banalität, Schwerfälligkeit, Formel- und Floskelhaftigkeit, Oberflächlichkeit gezeigt. Und es wird die aufwendige Textarbeit gezeigt, die von allen Seiten geleistet wird. Doch auch hier findet wieder die Einteilung der Welt in Gut (Kommissarin Reding, EU-Parlamentarier Albrecht und seine Mitstreiter) und Böse (Regierungen der EU-Mitgliedstaaten und Lobbyisten) statt.
Obwohl der Film "Democracy" heißt, wird nicht ein Mal die zweifelhafte demokratische Legitimation des Brüsseler Geschäfts angesprochen. Bei der Premiere in Berlin beklagte sich Ex-Kommissarin Reding, alles ginge viel schneller und wäre besser, wenn das Europäische Parlament allein entscheide und es die Mitgliedstaaten, die alles blockierten, nicht gebe. Dass allerdings ein einzelner Abgeordneter mit zwei, drei Mitarbeitern im Hinterzimmer seines Büros quasi im Alleingang den Rechtstext ausarbeitet, den die meisten seiner Kollegen aufgrund seiner Komplexität kaum durchschauen und daher später nur noch durchwinken („Where are all our amendments?“), dürfte das Demokratiedefizit der Europäischen Union um eine weitere Variante bereichern.