Digital Markets Act: Verbot von Meistbegünstigungspraktiken für Torwächter
Der Digital Markets Act (DMA) ist soweit beschlossene Sache. Er wird zahlreiche neue Verpflichtungen für sogenannte Torwächter bringen. Letzte Woche habe ich bereits das Verbot der umfassenden Datenzusammenführung aus Art. 5 Abs. 2 DMA besprochen.
Heute möchte ich eine Neuregelung vorstellen, mit der Torwächtern Meistbegünstigungspraktiken verboten werden soll. Es handelt sich um Art. 5 Abs. 3 DMA, hier zur besseren Arbeit einmal im Volltext:
Der Torwächter darf die gewerbliche Nutzer nicht daran hindern, Endnutzern dieselben Produkte oder Dienstleistungen über Online-Vermittlungsdienste Dritter oder über ihre eigenen direkten Online-Vertriebskanäle zu anderen Preisen oder Bedingungen anzubieten als über die Online-Vermittlungsdienste des Torwächters.
Das Verbot knüpft an die Praktiken verschiedener Plattformen an, die häufig unter den Begriffen "Meistbegünstigungsklausel" oder "Bestpreisklausel" diskutiert werden. Mittels dieser versuchen die Plattformen zu verhindern, dass ihre gewerblichen Kunden über andere Wege einen besseren Preis oder bessere Konditionen anbieten. Andere Wege in diesem Zusammenhang sind vor allem zwei: erstens andere Plattformen, also Wettbewerber der Plattform; zweitens der eigene Vertrieb, etwa über eine eigene Webseite des gewerblichen Kunden. Dies erfolgt über einen Hebel, wodurch die Plattform in jedem Fall die wettbewerblich besten Bedingungen eingeräumt erhält. Ein solcher kann in den Bedingungswerken der Plattform enthalten sein oder sich aus der Praxis der Plattform ergeben.
Die wettbewerblichen Probleme dabei sind zum einen die Einschränkung der wettbewerblichen Gestaltungs- und Preissetzungsfreiheit der gewerblichen Kunden, zum anderen die Beschränkung des Wettbewerbs unterhalb der Plattformen. In der kartellrechtlichen Praxis hat es deshalb bereits einige Verfahren gegeben, die in Deutschland mit einer sehr restriktiven und damit wettbewerbsfreundlichen Tendenz zusammengefasst werden können.
Diese Praxis unterscheidet sich von der sogenannten Selbstbevorzugung, die bei hybriden Plattformen auftreten kann. Bei dieser ist die Plattform sowohl als Vermittlerin tätig wie auch auf der horizontalen Marktebene mit den gewerblichen Kunden, was bei der Meistbegünstigung nicht zwingend ist. Als Vermittlerin nimmt sie dabei Einfluss auf den Wettbewerb unter den gewerblichen Kunden und bevorzugt sich selbst, sei es im Preis, sei es wie meistens bei der Darstellung der Vermittlungsergebnisse gegenüber Endkunden.
Bei der Meistbegünstigung dagegen schafft es die Plattform, den außerhalb ihrer Vermittlungsleistungen liegenden Wettbewerb zu beschränken und auf sich umzulenken. Sie macht sich dabei die Netzwerkeffekte zunutze, sodass infolge einer sehr krassen Entwicklung der gesamte Wettbewerb über ihre Plattform laufen könnte. Dies wird gelegentlich als sogenanntes Tipping beschrieben, als Umkippen eines Marktes - hier dann einer Marktseite der Plattform. Auch Erwägungsgrund 39 DMA geht davon aus, dass die Bestreitbarkeit durch andere Plattformen und damit die Auswahlmöglichkeiten für Endnutzer eingeschränkt werden. Die gewerblichen Nutzer sollten also andere Online-Vermittlungsdienste oder direkte Online-Vertriebskanäle frei wählen und den Endnutzern ihre Produkte oder Dienstleistungen zu differenzierten Konditionen anbieten können. Dies sollte insbesondere für Maßnahmen gleicher Wirkung gelten, wie etwa erhöhte Provisionssätze oder die Auslistung der Angebote gewerblicher Nutzer (vgl. EG 39 S. 4 DMA).
Gelegentlich wird die Regelung des Art. 5 Abs. 3 DMA als Verbot von Meistungbegünstigungsklauseln verstanden. Der Wortlaut der Regelung geht aber darüber hinaus. Denn der Torwächter darf danach die gewerblichen Nutzer "nicht daran hindern", was ausdrücklich nicht auf Vereinbarungen beschränkt ist. Typischerweise wird zwar zwischen dem Torwächter und seinem gewerblichen Kunden ein Vertrag über die Inanspruchnahme der Vermittlungsleistungen bestehen, der damit erfasst wäre. Jedoch könnte die Plattform ihre Meistbegünstigung auch durch andere Maßnahmen mit "gleicher Wirkung" (siehe EG 39 S. 4 DMA) durchsetzen. Noch deutlicher wird dies durch einen Hinweis auf Art. 8 Abs. 1, wonach die Zielsetzungen der Verordnung und der jeweiligen Verpflichtung wirksam erreicht werden sollen, was für eine weite zweckorientierte Auslegung spricht.
Die Auslistung oder erhöhte Provisionssätze sind erste im Erwägungsgrund aufgelistete Beispiele. In der Praxis ist der (angedrohte) erschwerte Zugang des Endnutzers zu dem gewerblichen Kunden ein weiteres. So könnte eine Plattform im Zusammenhang mit ihren Vermittlungsleistungen einen Preisvergleich auch außerhalb ihrer Leistungen vornehmen und Endnutzern gegenüber nur denjenigen Kaufbutton für Unternehmen anzeigen, die in diesem Preisvergleich den besten Preis anbieten. Dies kommt einer Auslistung gleich. Mit anderen Worten würde die Plattform also ein Unternehmen sanktionieren, weil es nicht den besten Preis über sie anbietet. Die gewerblichen Kunden wären dann durch diese Praktik erneut gezwungen, über den Vermittlungsdienst des Torwächters den besten Preis anzubieten.
Die umfassende Verbotsregelung des Art. 5 Abs. 3 DMA richtet sich lediglich an Torwächter. Unterhalb dieser Schwelle gelten die allgemeinen Regeln des Kartellrechts. Grundsätzlich gilt also Art. 101 Abs. 1 AEUV mit seinem deutschen Pendant § 1 GWB. Hierzu hat der BGH zuletzt eine sehr strenge Auffassung vertreten und selbst bei engen Bestpreisklauseln eine Wettbewerbsbeschränkung gesehen. Eine Ausnahme kann wohl lediglich gelten, sofern für enge Meistbegünstigungsklauseln die neue Vertikal-GVO greifen würde, wobei auch hier der BGH erhebliche Zweifel am Vorliegen von Effizienzvorteilen gesehen hatte. Weite Meistbegünstigungsklauseln sind jedoch wegen Art. 5 Abs. 1 lit. d Vertikal-GVO nicht vom Verbot aus Art. 101 Abs. 1 AEUV freigestellt.
Daneben lassen sich Meistbegünstigungspraktiken auch nach den allgemeinen anderen Vorschriften betrachten. Wenn etwa eine Plattform im horizontalen Verhältnis gegenüber ihren Wettbewerbern über überlegene Marktmacht verfügt, ist sie gemäß § 18 Abs. 3a GWB einer eigenständigen Behinderungskontrolle unterworfen. Dieses Verbot untersagt die Verhinderung der Erzielung eigenständiger Netzwerkeffekte durch Wettbewerber. Ein solcher Fall wird zwar nicht schon durch jede Meistbegünstigungspraktik eintreten, da diese allein wohl nicht zwingend Netzwerkeffekte beeinträchtigen. Zusätzlich müsste die Gefahr begründet sein, dass der Leistungswettbewerb in nicht unerheblichem Maße eingeschränkt wird. Erst wenn diese weiteren Umstände hinzu kommen, könnten Wettbewerber im Rahmen des Tipping-Paragrafen vorgehen.