eBooks in der Bibliothek – der Generalanwalt hat sich geäußert
In seinen Schlussanträgen in der Rechtssache „C‑174/15“ hat sich Generalanwalt Szpunar im Kontext eines Streits um Urheberrechtsabgaben für Autoren über Verwertungsgesellschaften grundsätzlich für eine rechtliche Vergleichbarkeit des Bücherei-Verleihs von elektronischen Büchern und physischen Werken ausgesprochen.
Insbesondere führt er aus, dass die technischen Schutzmaßnahmen heute soweit ausgereift seien, dass das Risiko eines massenhaften Kopierens von solchen „verliehenen“ Werken stark reduziert sei. Damit hat er aus technischer Sicht insbesondere bei geschlossenen Systemen (s.u. "Kategorie 2") Recht. Die technischen Maßnahmen zur Umsetzung dieses Schutzes werden häufig unter Digital-Rights-Management (DRM) diskutiert.
Vereinfachend gibt es zwei Kategorien von Verfahren:
- Kategorie 1: Weiches DRM = Transparenz + personalisierte Erstkopien
Das sog. „weiche DRM“ versieht eine berechtigt hergestellte digitale Kopie des Werks mit einem sichtbaren oder unsichtbaren Hinweis auf den individuellen Empfänger (bzw. „Ausleiher“) der Kopie.
Falls dieser Empfänger die Kopie unberechtigt weitergibt, ist im Nachhinein feststellbar, von welchem Exemplar die illegale Kopie hergestellt wurde. Die Idee ist, durch die Markierung eine Verletzung der Nutzungsrechte durch den Käufer zu unterbinden. Eine häufige Umsetzungsform ist, diskret aber sichtbar in Kopf- oder Fußzeile des Buches einen Hinweis (= sog. Wasserzeichen) einzufügen etwa in folgender Form:
„Oliver Stiemerling aus 50933 Köln hat dieses Buch am 23.5.2016 bis zum 7.6.2016 geliehen und sollte es nachher wieder löschen…“
Zur Kontrolle der Ausleih- und „Rückgabe“-Vorgänge von eBooks sind solche Methoden offensichtlich nicht gut geeignet, da insbesondere die Fristen nicht automatisch eingehalten werden. Nur die wenigsten Nutzer würden daran denken, die ausgeliehen Bücher wieder zu löschen.
- Kategorie 2: Hartes DRM = geschlossenes System
Das sog. „harte DRM“ autorisiert bzw. verhindert mit technischen Maßnahmen z.B. das Lesen bzw. Weitergeben eines eBooks. Der Rechteinhaber definiert dabei in einem Datensatz eine Menge (Summe) von Rechten und Verboten in Bezug auf das entsprechende eBook.
Alle „harten“ DRM-Systeme basieren darauf, dass zuvor definierte Rechte und Verbote in der Software auf dem Endgerät des Nutzers durchgesetzt werden, egal ob diese ein spezieller eBook-Reader mit proprietärem Betriebssystem, eine App auf einem Smartphone, eine Software auf einem PC oder ein Streaming-Client ist.
Um die zu umgehenden Hürden möglichst hoch anzusetzen, arbeiten die meisten Systeme mit Verschlüsselung, d.h. dass die geschützten Inhalte quasi nur „im letzten Moment“, bevor der Nutzer sie auf dem Bildschirm sieht, entschlüsselt werden.
Bei modernen Systemen kommt dabei oft auch noch eine Online-Komponente ins Spiel, die vor dem Freischalten eines eBook-Readers für einen bestimmten Benutzer eine Kommunikation mit einem zentralen Server erfordert (z.B. in der Adobe eBook-Plattform. Amazon und Apple haben eigene geschlossene DRM-Systeme im Einsatz).
Wichtig ist, dass für die Durchsetzung von Rechten/Verboten direkt beim Nutzer konzeptionell immer ein geschlossenes System notwendig ist, dessen Regeln technisch von den Rechteinhabern kontrolliert werden können. Ein solches geschlossenes System ermöglicht prinzipiell jede Art von Rechte- und Verbotsdefinition, die einem Computer erklärbar ist. Beispielsweise könnte man Zugriffsrechte auch von der Tageszeit oder dem Aufenthaltsort abhängig machen.
Alltag: eVerleih einer Bibliothek
Hartes DRM wird bereits heute in vielen Bibliotheken eingesetzt und funktioniert buchstäblich kinderleicht:
Meine 8-jährige Tochter leiht bereits seit über einem Jahr selbstständig Bücher aus der Kinderabteilung der Stadtbücherei Köln auf ihren eReader. Die automatische „Rückgabe“ des Buchs funktioniert hervorragen, so dass die Eltern - im Gegensatz zu früher (!) - nicht mit Verspätungsgebühren rechnen müssen. Auch können bereits durch andere Bibliothek-Nutzer ausgeliehene Bücher vorbestellt werden, wobei man dann bei Verfügbarkeit sofort per E-Mail informiert wird. Zum schnellen Abholen muss man dann naturgemäß nicht mehr aus dem Haus gehen.
Das eBook-Ausleihen hat also große Vorteile für den Nutzer. Es ist nachvollziehbar, dass der Generalanwalt dies in seinen Anträgen hervorhebt.
Ausblick: Privates Verleihen gekaufter Bücher
Weniger ausgereift ist das private Verleihen elektronischer Bücher, zumindest in Deutschland. US-Kunden von Amazon können eBooks derzeit einmalig bis zu 14 Tagen von Privat an Privat verleihen (dazu mein Beitrag "Mechanismen zur gemeinsamen Nutzung von eBooks" CRonline Blog v. 28.5.2012). Innerhalb der Verleihzeit ist ein Zugriff des Verleihers auf das Buch ebenso wie bei einem physischen Werkstück nicht möglich. Es ist noch offen, wann dieses Feature auf dem deutschen Markt eingeführt wird. In den AGBs von Amazon in Deuschland steht dazu auf jeden Fall schon mal „noch nicht“.
Grundsätzlich sind in einem geschlossenen DRM-System viele Varianten des privaten Verleihens möglich, die ein feines Austarieren der Interessen von Lesern, Autoren, Händlern und Verlagen ermöglichen, auch um einen zu effizienten und damit für Urheber und Verlage ruinösen „Sekundärverleihmarkt“ zumindest zu entschleunigen (d.h. mit ähnlichen "Verleihhürden" zu versehen, wie ein physisches Werkstück). Die für den Nutzer relevanten Eigenschaften von eBooks und physischen Werkstücken hatte ich bereits in meinem Beitrag "UsedBook: Zum antiquarischen Erwerb von eBooks", CRonline v. 6.11.2012, diskutiert - sie sind naturgemäß auch auf das Verleihen anwendbar.