EU-Parlament beschließt unionsweite Regelungen zur Netzneutralität
Das EU-Parlament hat am 27.10.2015 über die umstrittenen Regelungen zur Netzneutralität abgestimmt und mit einer Mehrheit für eine Verordnung gestimmt, die künftig unmittelbar in allen Mitgliedstaaten gelten soll (siehe hierzu auch Werkmeister, „Einigkeit über Ausnahmen von der Netzneutralität – Die Spezialdienste kommen“, CRonline Blog v. 17.7.2015). Die Abstimmung bezog sich auf die Verordnung als Gesamtpaket, das neben der Netzneutralität auch die (stufenweise) Abschaffung von Roaming-Gebühren innerhalb der EU regelt.
Im nächsten Schritt muss nun der EU-Rat zustimmen. Die Verordnung wird voraussichtlich bereits ab 30.4.2016 in allen Mitgliedstaaten Anwendung finden.
Netzneutralität – aber mit Ausnahmen
Netzneutralität bedeutet, dass Datenpakete unabhängig von ihrem Inhalt, ihrem Verwendungszweck, ihrer Herkunft und ihrem Empfänger nach Maßgabe des sog. Best-Effort-Prinzips gleich behandelt werden. Die neue Verordnung soll dieses Prinzip als Grundsatz postulieren.
Gleichwohl enthält die Verordnung Ausnahmen, die den Grundsatz aufweichen und Internet Service Providern (ISP) erheblichen Spielraum bei der Behandlung von Datenpaketen einräumen:
- Verkehrsmanagementmaßnahmen sollen es ISP ermöglichen, Datenströme gezielt zu steuern, um damit zu einer effizienten Nutzung der Netzressourcen und zur Optimierung der Gesamtübermittlungsqualität beizutragen. Insofern können Netzkapazitäten zurückgehalten oder bestimmte Inhalte blockiert werden. Verkehrsmanagementmaßnahmen müssen indes transparent, nicht-diskriminierend und verhältnismäßig sein und dürfen nicht auf kommerziellen Erwägungen beruhen. Ausdrücklich zugelassen sind solche Maßnahmen zur Sicherstellung der Rechtmäßigkeit von Inhalten, zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Integrität des Netzes sowie in Fällen der Netzüberlastung. Ausreichend ist im letzten Fall bereits das Vorliegen einer drohenden Netzüberlastung.
- Spezialdienste sollen künftig eine besondere Übertragungsqualität nutzen können, sofern freie Netzkapazitäten verfügbar sind und hierdurch die allgemeine Qualität der Internetzugangsdienste für Endnutzer nicht beeinträchtigt wird. Unklar ist noch die Reichweite dieser Ausnahme, denn die Verordnung definiert den Begriff der Spezialdienste eher vage als alle Dienste, die für bestimmte Inhalte, Anwendungen oder Dienstleistungen optimiert sind, wobei die Optimierung für die Gewährleistung eines bestimmten Qualitätsniveaus erforderlich sein muss.
- Zero-Rating, also Vermarktungskonzepte, bei denen bestimmte Anwendungen nicht auf die vom Endkunden gebuchten (begrenzten) Datenvolumina angerechnet werden, sollen nach der Verordnung ebenfalls zulässig sein. Eine Grenze besteht nur dann, wenn die Endnutzer durch das Zero-Rating nicht in ihrer Auswahlentscheidung hinsichtlich des Internetzugangs beeinträchtigt werden und solange die Inhalte des Dienstes weiterhin ungehindert über andere ISP abgerufen werden können.
Spielraum für nationale Regulierungsbehörden
Obwohl die neue Verordnung unmittelbar in den Mitgliedstaaten anwendbar sein wird, hängen deren Auswirkungen maßgeblich von Umsetzungs- und Durchsetzungsmaßnahmen der nationalen Regulierungsbehörden ab. So sollen die Regulierungsbehörden nicht näher in der Verordnung definierte Mindestqualitätsanforderungen festlegen, von denen die Zulässigkeit des Einsatzes von Spezialdiensten abhängen wird. Im Übrigen bleibt der verfahrensrechtliche Rahmen den jeweiligen Mitgliedstaaten überlassen, so dass sich noch herausstellen wird, ob die neuen Regeln unionsweite Standards zur Netzneutralität gewährleisten können.
Weiterführend zum Thema:
Koenig/Meyer, Bitte keine Schnellschüsse in Sachen Netzneutralität!, CR 2013, 643
Brüggemann, Abkehr von der Netzneutralität - Fluch oder Segen, CR 2013, 565