02.10.2015

EuGH: Countdown für Safe Harbor - Teil 2/3: Anmerkungen zur Argumentation des Generalanwalts

Portrait von Flemming Moos
Flemming Moos

Unsere Countdown-Serie (Autoren: Flemming Moos und Jens Schefzig)

Noch vor Urteilsverkündung stellen wir in einer Serie von drei Blogbeiträgen die Schlussanträge des Generalanwalts ausführlich dar und untersuchen deren juristische Implikationen:

  • In Teil 1 stellen wir die Argumentation des Generalanwalts im Detail vor.
  • Auf dieser Grundlage setzen wir uns in Teil 2 kritisch damit auseinander, welchen Sachverhalt der Generalanwalt seinen Schlussanträgen zugrunde legen darf und wie er begründet, dass die nationalen Datenschutzbehörden an die Entscheidung der EU-Kommission zu Safe Harbor nicht gebunden wären.
  • In Teil 3 zeigen wir die Dimensionen auf, in denen sich die Auswirkungen eines EuGH-Urteils auf jede Form des Datentransfers in die USA und sonstige Drittländer bewegen könnten.

 

Teil 2: Anmerkungen zur Argumentation des Generalanwalts

Die Entscheidung des EuGH in der Sache C-362/14 naht.

Nachdem wir in Teil 1 unseres Countdowns die Argumentation des Generalanwalts im Detail dargestellt haben, setzen wir uns in diesem zweiten Teil mit zwei Aspekten näher auseinander:

  • Der faktischen Grundlage, auf deren Basis der Generalanwalt seine Schlussanträge gestellt hat, und
  • seiner Argumentation zur Bindungswirkung der Kommissionsentscheidung.

Am kommenden Montag, also am Vortag der EuGH-Entscheidung werden wir im letzten Teil unseres Countdowns darstellen, welche Auswirkungen ein Urteil des EuGH, das den Schlussanträgen des Generalanwalts folgt, haben würde.

1. Zur Bewertung herangezogene Fakten Beschränkung auf vorgelegte Fakten

Man kann durchaus in Zweifel ziehen, ob der Generalanwalt zutreffend bestimmt hat, welche Fakten zur rechtlichen Bewertung herangezogen werden müssen.

Der Generalanwalt geht im Ausgangspunkt zutreffend davon aus, dass das Gericht in einem Vorabentscheidungsverfahren wie dem hiesigen diejenigen Tatsachen zugrunde zu legen habe, wie sie von den Parteien vorgetragen werden (Tz. 152 unter Berufung auf EuGH, Urteil vom 10.6.2010 - C-140/09 Fallimento Traghetti del Mediterraneo SpA in liquidazione/Presidenza del Consiglio dei Ministri, EuZW 2010, 824 (826)).

Dem ist zuzustimmen, soweit es – wie im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens üblich – rein um die Auslegung des Unionsrechts im Anwendungskontext des jeweiligen nationalen Gerichtsverfahrens geht. Diese Eingrenzung auf die im Ausgangsverfahren vorgetragenen Fakten erscheint aber fragwürdig, wenn und soweit der EuGH – nach Vorstellung des Generalanwalts – in demselben Verfahren auch über die Wirksamkeit eines Gemeinschaftsrechtsaktes (hier: die Entscheidung 2000/520/EG der EU-Kommission) entscheiden soll; dies umso mehr, wenn die Unwirksamkeit kraft des Urteils erga omnes (!) und nicht nur zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens gelten soll. Denn hierdurch kann und muss es dazu kommen, dass Tatsachen, die über das konkrete Verfahren hinaus Bedeutung haben, bei der Betrachtung unter den Tisch fallen – und deshalb die Bewertung möglicherweise sogar falsch wird.

Weitere relevante Aspekte

Im konkreten Fall der vom Generalanwalt erkannten Unzulänglichkeiten wäre insbesondere daran zu denken, ob nicht in eine (übergreifende) Wirksamkeitsprüfung der Entscheidung 200/520/EG insbesondere auch diejenigen Änderungen im US-Recht in die Bewertung hätten einbezogen werden müssen, die bis zum Entscheidungstermin erfolgt sind. Da wäre unter anderem zu denken an:

Im Hinblick auf die vom Generalanwalt festgestellte Verletzung von Art. 47 EU-GRCharta wegen des Fehlens eines wirksamen Rechtsbehelfs der EU-Bürger wäre möglicherweise das erst am Dienstag, den 15. September 2015 unterzeichnete Rahmenabkommen zwischen den US und der EU zu berücksichtigen (Agreement between the United States of America and the European Union on the Protection of Personal Information relating to the prevention, investigation, and prosecution of criminal offences), auch wenn das darin für EU-Bürger verankerte Recht auf rechtliches Gehör es erst noch durch nationale Gesetze in den USA umgesetzt werden muss (Eine entsprechende Judicial Redress Bill, ist bereits zur Beratung in den US-Kongress eingebracht worden ist; vgl. H.R.1428 - Judicial Redress Act of 2015.).

2. Bindungswirkung der Kommissions-Entscheidung (Konfuse) Argumentation des Generalanwalts

Nach Meinung des Generalanwalts sind die nationalen Datenschutzbehörden an Entscheidungen der EU-Kommission nach Art. 25 Abs. 6 DSRL nicht gebunden. Leider bleibt unklar, ob das nie der Fall sein soll oder die Umstände des in Rede stehenden Falls entscheidend sind. Zwei Punkte des konkreten Falls hebt der Generalanwalt nämlich hervor:

  1. Die Datenschutzbehörden werden auf Grundlage der Beschwerde eines Betroffenen im Hinblick auf eine konkrete Datenübermittlung tätig und
  2. es liegt seines Erachtens eine Verletzung von Grundrechten vor.

Daneben verweist er auch darauf, dass die EU-Kommission selbst die Entscheidung 2000/520/EG in Frage stellt und neue Verhandlungen aufgenommen hat und dass die Datenschutzbehörden absolut unabhängig sind.

Ob diese Voraussetzungen kumulativ oder nur alternativ (oder eben überhaupt nicht) vorliegen müssen, lässt sich nicht feststellen. Der Generalanwalt folgt hier einem Schema, an dem insbesondere die europäische Rechtsprechung regelmäßig krankt: Er zählt zahlreiche Einzelargumente auf und kommt zu einem Ergebnis ohne im Detail darzustellen, welche Faktoren für das Ergebnis in welcher Weise von Bedeutung sind.

Die besseren Argumente sprechen für eine (gewisse) Bindungswirkung

In der deutschen Literatur ist die Bindung der nationalen Datenschutzbehörden an eine Entscheidung der EU-Kommission nach Art. 25 Abs. 6 DSRL streitig, wobei allerdings die wohl herrschende Meinung von einer Bindungswirkung ausgeht: z.B. v.d. Bussche, in Plath, BDSG, § 4b Rz 29 und Gabel, in: Taeger/Gabel, 2. Aufl. 2013, § 4b Rz. 72 mit umfangreichen Nachweisen und Spies, ZD 2013, 535 (537), der entgegenstehende Aussagen des Düsseldorfer Kreises als „Platzpatronen“ bezeichnet. Allerdings vertritt Simitis, in: Simitis, 8. Aufl. 2014, § 4b BDSG Rz. 79, dass eine Prüfung von Fall zu Fall nötig bleibe. Für eine grundsätzliche Bindungswirkung sprechen auch die besseren Argumente:

  • Eine Bindungswirkung ergibt sich zunächst schon aus Art. 288 AEUV.
  • Daneben kann nur eine Bindungswirkung eine einheitliche Vorgehensweise innerhalb des Anwendungsbereichs der DSRL sicherstellen. Demgemäß ist sie erforderlich, um das beispielsweise in den Erwägungsgründen 7 und 8 statuierte Ziel eines einheitlichen europäischen Datenschutzniveaus zu erreichen. Die Bedeutung dieses Ziels hebt der EuGH selbst in seiner Rechtsprechung laufend hervor.
  • Nicht verkannt werden sollte insbesondere, dass Datenübermittlungen stets auch eine kommerzielle und politische Dimension haben. Eine intensive politische oder wirtschaftliche Kooperation ohne Austausch auch personenbezogener Daten ist in einer datengetriebenen Wirtschaft kaum denkbar. Das in Art. 21 Abs. 2 e) EUV niedergelegte Ziel, die Integration aller Länder in die Weltwirtschaft zu fördern und Handelshemmnisse abzubauen, hätte daher Berücksichtigung finden müssen.
  • Auch Erwägungsgrund 56 DSRL statuiert explizit, dass der grenzüberschreitende Verkehr von personenbezogenen Daten für die Entwicklung des internationalen Handels notwendig ist. Demgemäß schreibt auch Erwägungsgrund 59 DSRL vor, dass „Verhandlungen zwischen der Gemeinschaft und den betreffenden Drittländern“ vorzusehen sind. Diese Verhandlungen würden bei einer fehlenden Bindungswirkung aber weitgehend leer laufen.

Deshalb sprechen die besseren Argumente für eine solche Bindungswirkung. Eine juristische Prüfung der jeweiligen Entscheidung bei den zuständigen Gerichten bliebe naturgemäß möglich.

Überprüfung im Einzelfall möglich?

Freilich mag man argumentieren, dass bei offensichtlichen Grundrechtsverletzungen eine abweichende Wertung der nationalen Datenschutzbehörden möglich bleiben soll. Wegen der mehrdeutigen Argumentation des Generalanwalts wird allerdings nicht klar, ob er tatsächlich diese Position vertritt. Es wird spannend zu sehen sein, ob der EuGH hier mehr Stringenz in die Begründung bringen kann.

 

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