Filtern braucht Beteiligung
Die Website des Chaos Computer Clubs (CCC) ist jugendgefährdend. Nun ja, jedenfalls ist sie auf dem Porno-Filter verschiedener britischer Internet-Provider gelandet. Diese Filter sollen eigentlich vor unerwünschtem Kontakt mit zu viel nackter Haut schützen. Tatsächlich aber haben sie sich zu einer Gefahr für die Demokratie entwickelt, weil sie politisch unliebsame Seiten ohne gerichtliche Kontrolle zensieren. Ein Problem, das übrigens auch die Umsetzung des Rechts auf Vergessenwerden bei Google betrifft. Dabei ließe es sich besser machen: durch Beteiligung der zensierten Medien.
Der Porno-Filter
Wer in Großbritannien nicht explizit widerspricht (was allerdings die meisten tun, siehe Seite 17 dieser Studie), bekommt seinen Internet-Zugang zwangsweise mit einem Porno-Filter ausgestattet. Dass sich darin auch Hilfeseiten für Opfer sexueller Gewalt verfangen, hatte die BBC bereits vor einem Jahr öffentlich gemacht. Erst vor kurzem hatten sich die größten britischen Internet-Provider zudem dazu verpflichtet, auch extremistische Websites in ihren Porno-Filter aufzunehmen.
Der CCC im Filter
Nun erwischte es den Chaos Computer Club, dessen Website von verschiedenen Providern geblockt wird. Pornografisch? Oder terroristisch nach den neuen Maßstäben? Das bleibt wohl das Geheimnis der Internet-Zensoren, denn den CCC haben sie nicht informiert.
Zensur auch durch Google
Ein Vorgehen, das an die Umsetzung des "Google Spain"-Urteils des EuGH (Urt. v. 13.5.2014, Rs. C-131/12, CR 2014, 460 ff.) zum "Recht auf Vergessenwerden" erinnert: Auch kritische Medienberichte werden auf (fremden) Wunsch aus den Suchergebnissen ausgefiltert. Dass man die Frage, ob ein solcher Anspruch auf Entfernung aus den Suchergebnissen besteht, oft genug freundlich gesagt auch anders sehen könnte, scheint Google nicht zu interessieren: Google entscheidet ohne Beteiligung der betroffenen Medien, ob ein Artikel noch zu finden sein soll oder nicht. Nur wenn das Medium die Google-Webmaster-Tools nutzt, wird es überhaupt - nachträglich und ohne nähere Angaben - informiert, dass bestimmte Beiträge für europäische User ausgefiltert werden.
Umgang mit dem Ansatz des EuGH
Streng genommen mag es zwar richtig sein, dass Google personenbezogene Daten verarbeitet und sich nicht auf das Medienprivileg berufen kann. Doch der EuGH blendet komplett aus, dass auch die Pressefreiheit der zensierten Medien beeinträchtigt wird, ebenso die Informationsfreiheit der Nutzer, wenn ein Betroffener gegenüber einer Suchmaschine sein Recht auf Vergessenwerden geltend macht.
"noindex" statt "de-listing"
Eigentlich sinnvoll wäre es, wenn sich Betroffene nur an das jeweilige Medium wenden könnten und das Medium dann im Einzelfall prüfen könnte (und müsste), ob es den Text ausnahmsweise ganz aus dem Netz nehmen will (wenn die Veröffentlichung von Anfang an rechtswidrig war), zumindest Suchmaschinen die Indexierung des jeweiligen Beitrags verbietet (weil heute kein öffentliches Interesse mehr an der Veröffentlichung besteht) oder es auf eine Klage des Betroffenen ankommen lässt.
Mit einer Aussperrung der Suchmaschinen ("noindex") wäre das wichtigste Ziel der Betroffenen erreicht - wer etwa als Mitbewohner im Altersheim den Namen des Apollonia-Mörders googelt, wird nicht sofort mit der Nase darauf gestoßen, was der vor einigen Jahrzehnten verbrochen hat. Das Interesse der Medien - und damit der Demokratie, wie das Bundesverfassungsgericht zu Recht herausgestellt hat siehe BVerfG v. 5.8.1966 - 1 BvR 586/62; 1 BvR 610/63; 1 BvR 512/64, BVerfGE 20, 162 (174) unter C.1. - wäre gewahrt, weil sie selbst entscheiden könnten, ob ein Beitrag journalistisch wichtig genug ist, um für ihn zu kämpfen. Die Informationsfreiheit der Nutzer wäre indirekt durch die Berücksichtigung der Pressefreiheit gewahrt. Und Google freut sich sowieso, wenn kein Aufwand anfällt. Eine Lösung, die die Deutsche Gesellschaft für Recht und Informatik e.V. (DGRI) dem Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde des Apollonia-Mörders aufgezeigt hat (auch veröffentlicht in CR 2014, S001). Für Google blieben nur noch die anonymen oder für die Justiz nicht greifbaren Seiten.
Die Medien zumindest einbinden!
Das Rad lässt sich zwar kaum mehr zurückdrehen, die Möglichkeit zum Sperr-Antrag bei Google ist in der Welt - aber nichts hindert die Suchmaschinen-Betreiber daran, vor Löschung einer Seite aus dem Suchindex dem Betreiber der Seite zumindest eine Stellungnahmemöglichkeit zu geben: Transparenz zumindest gegenüber den Betroffenen. Wenn Google der berechtigten Kritik an seinem Vorgehen etwas entgegensetzen will, sollte der Konzern diese Chance nutzen.