Grundgesetzänderung - mehr Macht für den Bund bei der IT?
Bund und Länder haben sich im Rahmen der Verhandlungen über die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen auch über eine Grundgesetzänderung im Bereich der Informationstechnik verständigt. Durch eine Ergänzung von Art. 91c GG soll der Bund die Möglichkeit bekommen, die elektronische Bereitstellung von Verwaltungsdienstleistungen durch Gesetze und Verordnungen voranzutreiben.
Deutschland belegt im EU-Digitalisierungsindex der Verwaltungen nur Platz 18 von 28. Das seit 2010 bestehende System des gleichberechtigten Zusammenwirkens von Bund und Ländern im IT-Planungsrat (vgl. Schallbruch/Städler, CR 2009, 619) war im Hinblick auf die Digitalisierung von Verwaltungsdienstleistungen nicht sonderlich erfolgreich. Im Zuge der Beratungen über die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen hat der Bund daher von den Ländern eine Verbesserung der Zusammenarbeit und mehr Rechte für den Bund zur Vorgabe bundeseinheitlicher Lösungen verlangt - und sich damit durchgesetzt. Die politische Einigung der Regierungschefs im Oktober 2016 wurde mittlerweile in weiteren Verhandlungen zwischen Bund und Ländern konkretisiert und kurz vor Weihnachten vom Bundeskabinett im Rahmen einen Gesetzespaketes zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen beschlossen. Nun stehen die Beratungen im Bundesrat und Bundestag an.
- Einheitliche Zugänglichkeit aller elektronischen Verwaltungsleistungen
Im Bereich der Digitalisierung der Verwaltung steht das Ziel der einheitlichen Zugänglichkeit aller elektronischen Verwaltungsleistungen des Staates (Bund, Länder und Kommunen) im Vordergrund. Außerhalb der bereits weitgehend bundesrechtlich geregelten Bereiche der Steuer- und Justizverwaltung ist die digitale Verwaltungslandschaft weitgehend zersplittert. Der Zugang zu Verwaltungsleistungen und die "Tiefe" ihrer elektronischen Nutzbarkeit unterscheiden sich von Kommune zu Kommune, von Land zu Land.
- Top-Down-Ansatz
Der vom IT-Planungsrat mit zahlreichen Beschlüssen und Projekten in den letzten Jahren gepflegte Bottom-Up-Ansatz einer Vereinheitlichung digitaler Verwaltungsangebote soll durch die anstehende Verfassungsänderung durch einen Top-Down-Ansatz digitaler Verwaltung ergänzt - wenn nicht sogar ersetzt - werden.
Zentrales Vehikel dieser Vereinheitlichung soll ein bundesweiter Portalverbund sein. Nutzerinnen und Nutzer elektronischer Behördendienste sollen alle ihre Verwaltungsangelegenheiten über jedes Portal erreichen und erledigen können und sich auf Wunsch nur einmal und einheitlich im Portalverbund und gegenüber allen angeschlossenen Behörden identifizieren - mit Hilfe eines einheitlichen Nutzerkontos.
- Verlinkung, Kommunikationsschnittstellen und Sicherheitsstandards
Damit stellt der geplante Portalverbund eine Art Obermenge der digitalen Verwaltung Deutschlands dar. Ausweislich der Projektbeschreibung darf man sich darunter kein zentrales Portal vorstellen, sondern vielmehr eine Verknüpfung der Verwaltungsportale der Länder. Allerdings: der Portalverbund soll offenkundig mehr leisten als eine Verlinkung von Online-Angeboten. Neben dem einheitlichen Nutzerkonto sind einheitliche Kommunikationsschnittstellen und Sicherheitsstandards für alle Verbundteilnehmer geplant.
- Vereinheitlichung der IT-Anwendungen der öffentlichen Verwaltung
Die jetzt beschlossenen Gesetzentwürfe zur Änderung von Art. 91c GG und zum Erlass eines Gesetzes zur Verbesserung des Online-Zugangs zu Verwaltungsleistungen (Onlinezugangsgesetz - OZG) gehen sogar noch darüber hinaus. Sie schaffen die Grundlage für eine Vereinheitlichung der IT-Anwendungen der öffentlichen Verwaltung - also für die digitale Verwaltung auch hinter den Portalen.
Die geplante Ergänzung von Art. 91c GG um einen Absatz 5
"Der übergreifende informationstechnische Zugang zu den Verwaltungsleistungen von Bund und Ländern wird durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates geregelt."
schafft eine ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für die digitale Verwaltung. In den Beratungen zwischen Bund und Ländern war zunächst noch eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz im Gespräch gewesen, doch nunmehr hat man sich auf die ausschließliche Kompetenz verständigt, allerdings mit Zustimmung des Bundesrates.
- Einschränkung auf "übergreifenden informationstechnischen Zugang"
Die Einschränkung auf den übergreifenden informationstechnischen Zugang scheint zunächst sehr eng zu sein. Die Begründung der geplanten Verfassungsänderung zeigt aber, dass weit mehr gemeint ist, als die nach dem Wortlaut zu vermutende Regelung von Bedingungen für einen länderübergreifenden Zugang. Vielmehr soll diese Formulierung auch die nachfolgenden Kompetenzen umfassen:
> Bund und Länder zur elektronischen Bereitstellung von Verwaltungsleistungen zu verpflichten,
> die Verfügbarkeit digitaler Verwaltungsangebote innerhalb und außerhalb von Portalen anzuordnen,
> einen zentralen Zugang des Bundes für seine Verwaltungsleistungen zu errichten (Portalverbund),
> die Bereitstellung von Leistungen der Länder auch über diesen Verbund zu verlangen sowie
> für die Kommunikation im Portalverbund einheitliche Vorgaben für die genutzten IT-Anwendungen, die Kommunikation zwischen den Anwendungen und die IT-Sicherheit zu machen.
- Folge: sehr weitgehende Befugnis des Bundes
Da letztlich alle digitalen Verwaltungsleistungen im Portalverbund bereitgestellt werden müssen, gäbe Art. 91c Abs. 5 GG dem Bund letztlich die sehr weitgehende Befugnis, die Rahmenbedingungen für die Bereitstellung elektronischer Verwaltungsangebote insgesamt gesetzlich festzulegen.
Mit dem zeitgleich zu der geplanten Verfassungsänderung von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf eines Online-Zugangsgesetzes (OZG) macht der Bund von seiner neuen Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch und greift das weite Verständnis der Begründung zu Art. 91c Abs 5 GG auch einfach-rechtlich auf.
Bis Ende 2022 müssen alle geeigneten Verwaltungsleistungen von Bund und Ländern online bereitgestellt sowie in Portalen und im übergreifenden Portalverbund nutzbar sein. Die Bürgerinnen und Bürger müssen für alle Leistungen ein einheitliches Nutzerkonto verwenden können. Im Übrigen enthält das OZG im Wesentlichen Verordnungsermächtigungen, um dem Bund die Möglichkeit an die Hand zu geben, im Bereich der digitalen Verwaltung Vorgaben zu machen:
- Die Bundesregierung kann durch Rechtsverordnung IT-Anwendungen und Basisdienste sowie die technische Umsetzung von Standards und Sicherheitsvorgaben auch für die Länder vorgeben, soweit sie Bundesrecht ausführen. Solche Verordnungen bedürfen des Benehmens mit dem IT-Planungsrat und der Zustimmung des Bundesrats. Hiermit ist offenbar auch an eine Vorgabe von Fachverfahren gedacht, die der elektronischen Ausführung von Bundesrecht dienen und im Portalverbund angeboten werden. Die Länder dürfen durch Landesrecht davon abweichen, sofern sie bereits "im Portalverbund geeignete IT-Komponenten" bereitstellen. -
- Das Bundesministerium des Innern kann durch Rechtsverordnung ohne Beteiligung des IT-Planungsrats und ohne Zustimmung des Bundesrats die zur Gewährleistung der IT-Sicherheit im Portalverbund erforderlichen Standards festsetzen. Eine Abweichung hiervon ist den Ländern nicht erlaubt. -
- Das Bundesministerium des Innern kann durch Rechtsverordnung im Benehmen mit dem IT-Planungsrat und mit Zustimmung des Bundesrats die Kommunikationsstandards innerhalb des Portalverbunds festlegen. -
- Für die Anbindung konkreter Verwaltungsverfahren an den Portalverbund legt hingegen das fachlich zuständige Bundesministerium dieses Kommunikationsstandards fest (im Einvernehmen mit BMI, im Benehmen mit IT-Planungsrat und mit Zustimmung des Bundesrats). Wird durch das Verwaltungsverfahren kein Bundesrecht ausgeführt, ist auch hier das BMI zuständig. Von Kommunikationsstandards kann durch Landesrecht nicht abgewichen werden.
=> Weitreichende de-facto-Befugnis des Bundes:
Über das Vehikel der Anbindung aller digitalen Verwaltungsleistungen an den Portalverbund erhält der Bund durch den OZG-Entwurf de facto das Recht, alle wesentlichen IT-Vorgaben auf dem Verordnungswege zu erlassen. Das bisherige System des Art. 91c Abs. 2 GG, nach dem Standards für die Kommunikation und Sicherheit innerhalb der IT der deutschen Verwaltung durch Beschlüsse des IT-Planungsrats festgelegt werden, wird weitgehend durch Verordnungsermächtigungen für den Bund ersetzt. Der IT-Planungsrat ist nur noch insoweit originär zuständig, als der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit (und den Verordnungsermächtigungen) keinen Gebrauch macht (so auch ausdrücklich die Begründung zu Art. 91c Abs. 5 GG).
=> Verhältnis zwischen OZG und IT-Planungsrat:
Sowohl die Grundgesetzänderung als auch die einfachrechtliche Ausgestaltung vermögen allerdings nicht, das vorgesehene neue Verhältnis zwischen Bundeskompetenz für IT und Gemeinschaftsaufgabe IT stringent und stimmig zu regeln. Der Staatsvertrag über den IT-Planungsrat bleibt neben dem geplanten OZG unverändert bestehen - seine Funktion wandelt sich jedoch erheblich. Auch die Stärkung des IT-Planungsrats durch die Errichtung einer Bund-Länder-Anstalt für IT-Zusammenarbeit (FITKO) wird offenbar weiterverfolgt, auch wenn zukünftig im Wesentlichen der Bund und nicht mehr der IT-Planungsrat die Vorgaben für Anwendungen, Basisdienste, Sicherheits- und Kommunikationsstandards erarbeitet.
Im Ergebnis bleibt abzuwarten, ob die Änderung des Grundgesetzes und das OZG zu mehr bundeseinheitlichen Lösungen führen werden. Die komplexe Governance der verschiedenen Verordnungsermächtigungen lässt langwierige Abstimmungsprozesse zwischen Bund und Ländern erwarten.
War bisher schon das Einvernehmen im IT-Planungsrat nur mühsam zu erzielen, werden zukünftig die Abstimmung innerhalb der Bundesregierung, das Benehmen mit dem IT-Planungsrat und schließlich die Zustimmung durch den Bundesrat dafür sorgen, dass sich die Prozesse weiter verlängern. Wenn dann noch die Länder von ihren Abweichungsrechten Gebrauch machen, kann die neu errungene Kompetenz des Bundes in der Praxis schnell in der föderalen IT-Abstimmung versanden.
=> Nachbesserungsbedarf für den Gesetzgeber:
1. Um dieses Risiko zu vermindern, wäre es wünschenswert, wenn Bundestag und Bundesrat bei den anstehenden Beratungen der Entwürfe das Verhältnis der neuen Bundeskompetenzen in Art. 91c GG und OZG sowie der Zuständigkeiten des IT-Planungsrats präziser fassen würden.
2. So erscheint die Formulierung in Art. 91c Abs. 5 GG im Hinblick auf die deutlich darüber hinausgehende Begründung und den Inhalt des OZG überarbeitungsbedürftig.
3. Auch die Terminologie des OZG bräuchte eine systematische Präzisierung. Ein Beispiel:
- Was ist eine "elektronische Realisierung von Standards, Schnittstellen und Sicherheitsvorgaben", die der Bund zukünftig vorschreiben können soll?
- Was unterscheidet sie von den Sicherheits- und Kommunikationsstandards, für die etwas anders ausgestaltete Verordnungsermächtigungen eingeführt werden?
- Und wie verhalten sich diese Standards zu den Kommunikations- und Sicherheitsstandards nach Art. 91c Abs. 2 GG, die auch zukünftig der IT-Planungsrat beschließt?
Der Ansatz, der Durchsetzung der digitalen Verwaltung in Deutschland durch mehr Bundeskompetenz einen Schub zu verleihen, ist sehr zu begrüßen. Doch die gewählte Umsetzung über ein komplexes System der Rechtsverordnungen zwecks quasi gesetzlicher Errichtung des Portalverbunds hebt die Verklammerung der IT Governance von Bund, Ländern und Kommunen auf eine zusätzliche neue Komplexitätsstufe.
Nur wenn sich Bund, Länder und Kommunen einig sind, auf was sich die neuen Kompetenzen des Bundes in der Praxis tatsächlich beziehen, wird das gute Anliegen zur Beschleunigung der digitalen Verwaltung erfolgreich sein können. Die vorgelegten Entwürfe sollten im anstehenden Gesetzgebungsverfahren entsprechend überarbeitet werden.