Kurzer Prozess für die Meinungsfreiheit: Entwurf eines "Netzwerkdurchsetzungsgesetzes"
Das BMJV hat heute den Entwurf eines "Netzwerkdurchsetzungsgesetzes - NetzDG" veröffentlicht. Der Gesetzesentwurf ist sowohl verfassungs- als auch europarechtswidrig. Die Meinungsfreiheit ist aus Sicht unseres Justizministers nicht mehr als ein Randthema, das lediglich einen "kurzen Prozess" vor dem Amtsgericht verdient.
Für wen gilt das Gesetz?
Das neue Gesetz soll für alle größeren Betreiber sozialer Netzwerke gelten. Soziale Netzwerke werden in § 1 Abs. 1 Satz 1 NetzDG-E definiert als
„Plattformen im Internet …, die es Nutzern ermöglichen, beliebige Inhalte mit anderen Nutzern auszutauschen, zu teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“
Eine Ausnahme gilt für Anbieter sozialer Netzwerke mit weniger als 2 Mio. registrierten Nutzern in Deutschland. Das neue Gesetz würde somit für Facebook, Twitter und Facebook gelten, aber auch für Plattformen wie Xing und möglicherweise auch für größere Datingportale.
Um welche Inhalte geht es?
Es geht nicht um strafbare Inhalte, sondern um „rechtswidrige Inhalte“ (§ 1 Abs. 3 NetzDG-E). Dies ist ein bedeutsamer Unterschied, da es etwa bei einem beleidigenden Beitrag nicht auf die Absichten des Verfassers ankommt. Ob der Verfasser mit Beleidigungsvorsatz gehandelt hat, ist unerheblich. Bedenkt man, dass strafrechtliche Ermittlungsverfahren vielfach eingestellt werden, da sich ein Tatvorsatz nicht nachweisen lässt, würde § 1 Abs. 3 NetzDG-E dazu führen, dass sich der Anwendungsbereich der strafrechtlichen Verbotsnormen erheblich erweitern würde.
Um welche Strafnormen geht es?
Folgende Normen enthält der Verbotskatalog des § 1 Abs. 3 NetzDG-E:
- § 86 StGB – Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen
- § 86a StGB - Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen
- § 90 StGB - Verunglimpfung des Bundespräsidenten
- § 90a StGB - Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole
- § 111 StGB - Öffentliche Aufforderung zu Straftaten
- § 126 StGB - Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten
- § 130 StGB - Volksverhetzung
- § 140 StGB - Belohnung und Billigung von Straftaten
- § 166 StGB - Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen
- §§ 185 bis 187 StGB – Beleidigung, Üble Nachrede, Verleumdung
- § 241 StGB - Bedrohung
- § 269 StGB - Fälschung beweiserheblicher Daten
Der Katalog ist kunterbunt und kaum nachvollziehbar: Warum soll eine „Fälschung beweiserheblicher Daten“ (§ 269 StGB) zu einer Löschpflicht führen, nicht jedoch eine „Verletzung von Privatgeheimnissen“ (§ 203 StGB)? Warum sollen Beiträge gelöscht werden, die eine „Bedrohung“ (§ 241 StGB) enthalten, nicht jedoch pornographische Inhalte, die Minderjährigen zugänglich sind (§ 184d StGB)? Wieso braucht man die Löschpflicht bei einer Verunglimpfung der Nationalhymne (§ 90a Abs.1 Nr. 2 StGB), nicht jedoch bei einer verfassungsfeindlichen Verunglimpfung der Bundeskanzlerin (§ 90b StGB)?
Der Normenkatalog in § 1 Abs. 3 NetzDG-E mutet wie ein ungelenkes Potpourri aus unterschiedlichen Normen an, die man meint, dem denkbar schwammigen Begriffen von „Hate Speech“ und „Fake News“ zuordnen zu können.
Welche Pflichten haben die Betreiber?
§ 2 NetzDG-E verpflichtet die Netzwerkbetreiber zu vierteljährlichen Berichten über das Beschwerdemanagement. Die betroffenen Unternehmen werden mit einer solchen Berichtspflicht zwar leben können. Die Norm liest sich wie ein Musterprodukt aus einer muffigen Bürokratenküche. Es ist von einer „Homepage“ des Netzwerks die Rede, selbstverständlich muss der Bericht deutschsprachig sein und – man höre und staune – im Bundesanzeiger veröffentlicht werden. Den Bundesanzeiger Verlag wird es freuen.
Welche Pflichten gibt es beim Umgang mit Beschwerden?
Der Umgang mit Beschwerden ist in § 3 NetzDG-E geregelt, wobei drei Zeitkategorien verwendet werden:
- Die Betreiber sind verpflichtet, unverzüglich von Beschwerden Kenntnis zu nehmen, wobei unter „unverzüglich“ deutlich weniger als 24 Stunden zu verstehen sind, da anderenfalls „offensichtlich“ rechtswidrige Inhalte nicht binnen 24 Stunden gelöscht werden könnten (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 NetzDG-E).
- Innerhalb von 24 Stunden müssen „offensichtlich“ rechtswidrige Inhalte entfernt werden (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 NetzDG-E).
- Für rechtswidrige Inhalte, bei denen es an einer „Offensichtlichkeit“ des Rechtsverstoßes fehlt, gilt eine Löschfrist von 7 Tagen (§ 3 Abs. 2 Nr. 3 NetzDG-E).
Nicht schlecht staunt der Datenschutzrechtler, wenn er in (§ 3 Abs. 2 Nr. 4 NetzDG-E) liest, dass entfernte Inhalte zu Beweiszwecken gesichert und im Inland gespeichert werden müssen. Speicherpflichten im Inland kannte man bislang vor allem aus Ländern wie Russland. Und dem Opfer einer Beleidigung wird es nicht immer gefallen, dass der Netzwerkbetreiber bußgeldbewehrt zur Speicherung verpflichtet bleibt, dies dem Gesetzeswortlaut nach ohne zeitliche Befristung.
Damit nicht genug: § 3 Abs. 2 Nr. 5 NetzDG-E verpflichtet die Netzwerkbetreiber zu einer unverzüglichen, begründeten Mitteilung jeder Entscheidung an den Beschwerdeführer und an den Nutzer, dessen Inhalte gelöscht werden. Darüber hinaus muss der Betreiber das Netzwerk nach Kopien der Inhalte durchsuchen und Maßnahmen zur Verhinderung einer erneuten Veröffentlichung der Inhalte ergreifen (§ 3 Abs. 2 Nr. 6 und 7 NetzDG-E).
All dies ist eklatant europarechtswidrig:
- Nach Art. 14 Abs. 1 lit. b E-Commerce-Richtlinie sind Plattformbetreiber verpflichtet „unverzüglich“ tätig zu werden, wenn sie von einem Rechtsverstoß erfahren. Die „Unverzüglichkeit“ (nach deutschem Recht: „ohne schuldhaftes Zögern“) ist ein flexibler Maßstab, der Raum für den Einzelfall lässt. Der deutsche Gesetzgeber kann diesen Maßstab nicht ohne Richtlinienverstoß in einen fixen Zeitraum von 24 Stunden bzw.7 Tagen verwandeln.
- Nach Art. 15 E-Commerce-Richtlinie sind Anbieter nicht verpflichtet, proaktiv die eigene Plattform nach Rechtsverstößen zu durchsuchen. Hiermit sind die weitreichenden Rechtsverstoß-Verhinderungspflichten in § 3 Abs. 2 Nr. 6 und 7 NetzDG-E nicht vereinbar.
Die „Leitung“ des sozialen Netzwerks muss den Umgang mit Beschwerden monatlich kontrollieren (§ 3 Abs. 4 Satz 1 NetzDG-E) und die Personen, die die Beschwerden bearbeiten, müssen mindestens halbjährlich – natürlich „deutschsprachig“ – geschult werden.
Welche Bußgelder drohen?
Das Bundesamt für Justiz kann nach § 4 NetzDG-E drakonische Bußgelder von bis zu 5 Mio. EUR verhängen. Dies auf der Grundlage von Tatbeständen, die dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot nicht immer genügen, wenn beispielsweise „organisatorische Unzulänglichkeiten“ ausreichen sollen für einen Bußgeldbescheid (§ 4 Abs. 1 Nr. 5 NetzDG-E).
In § 4 Abs. 5 NetzDG-E erklimmt der Entwurf des Gipfel rechtsstaatswidriger Zumutungen: Im Streit um Bußgelder soll es einen kurzen Prozess um die Rechtswidrigkeit von Inhalten geben. Zuständig soll ein Amtsgericht sein, das ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann und dessen Entscheidung nicht anfechtbar ist. Dass es bei dem „kurzen Prozess“ um nicht weniger geht als um die Meinungsfreiheit (Art. 5 GG), scheint den Entwurfsverfassern nicht einmal aufgefallen zu sein.