27.02.2013

"Lobbyplag" und die "Datenfänger von Gütersloh": Flotte Sprüche, keine Ahnung

Portrait von Niko Härting
Niko Härting

Der Journalist und Blogger Richard Gutjahr ist einer der Köpfe hinter der Plattform lobbyplag.de, die zur Zeit für einigen Wirbel sorgt und es sogar bis in die Tagesschau schaffte ("Wenn Lobbytexte zum Gesetz werden", tagesschau.de v. 22.2.2013).

Es geht um die Brüsseler Entwürfe zum EU-Datenschutz und um den Vorwurf, dass sich EU-Parlamentarier von amerikanischen "Lobbyisten" willfährig Änderungsvorschläge in den Block diktieren lassen. Gutjahr beschreibt dies in seinem Blog mit markigen Worten:

"Kein Artikel, kein Änderungsantrag eines Ausschussmitglieds, in der sich nicht Spuren, oft sogar die Übernahme ganzer Absätze aus den Lobbypapieren von Amazon, Ebay & Co nachweisen lassen. Dagegen fallen die Passagen, die aus den Blättern der vergleichsweise primitiv augestatteten Datenschützer stammen, kaum ins Gewicht."

"LobbyPlag: Die Copy & Paste-Gesetzgeber aus Brüssel", gutjahrs blog v. 10.2.2013 unter "Ungleicher Kampf"

Ärgerliches an LobbyPlag

Dass es keinesfalls nur "Amazon, Ebay & Co" sind, die zu den Brüsseler Vorschlägen Stellung nehmen, ist schon von anderer Seite kritisch angemerkt worden. In der TAZ wurde das Lobbyplag-Projekt als "Hampelei" bezeichnet ("Transparenz und Hampelei", taz.de v. 15.2.2013). Nicht weniger vernichtend war in der LTO von "populistischen Anti-Lobby-Initiativen"  die Rede ("Instrument zur Klüngelanalyse", Legal Tribune Online v. 17.2.2013).

Und in der Tat: Mit der einseitigen Fokussierung auf "Multi-Milliarden-Dollar-Konzerne" werden nicht nur einfältig antiamerikanische Klischees aus der untersten Schublade hervorgeholt. Im Zeichen vermeintlicher "Transparenz" verengt man auch den Blick auf ein Stück Wirklichkeit, wie sie in das eigene Weltbild passt: Die nachweisbaren Erfolge der "Lobbyarbeit" von Verbraucherschützern, Bürgerrechtlern und anderen NGOs bleiben komplett ausgeblendet. Einen Nachweis für die ebenso flotte wie falsche Behauptung, dass dies "kaum ins Gewicht" falle, bleiben Gutjahr&Co. natürlich schuldig.

Aber das wirklich Ärgerliche an Journalismus à la Gutjahr ist die "Hampelei": Reißerische Schlagzeilen und der akribische Abgleich von Textpassagen einzelner "Lobbypapiere" lassen die inhaltliche Diskussion der Brüsseler Datenschutzpläne völlig in den Hintergrund treten. Der Mühe, die schwergängigen Brüsseler Entwürfe kritisch zu analysieren, unterziehen sich Gutjahr&Co. erst gar nicht. Wer Gutjahrs Blog und Lobbyplag liest erfährt wenig bis gar nichts darüber, was die EU-Kommission konkret plant.

Vermeintlicher Datenschutzskandal

Das Datenschutzrecht ist selbst für erfahrene Juristen eine komplizierte Spezialmaterie. Und dass Gutjahr vom Datenschutzrecht nichts versteht, zeigt er in seinem jüngsten Blog-Beitrag, in dem er einen vermeintlichen Skandal aus dem Bertelsmann-Konzern in reißerischem Ton "aufdeckt" ("LobbyPlag: Die Datenfänger von Gütersloh", gutjahrs blog v. 24.2.2013). Es geht um eine Gutscheinaktion für "Duden-Schülerhilfen" an Schulen. Laut dem Bericht werden im Zuge der Aktion Karten verteilt, die die Eltern ausfüllen können mit Adressdaten und Telefonnummer. Am Ende der Karte findet sich eine vorformulierte Erklärung des Einverständnisses der Eltern mit Werbeanrufen. In einem weiteren Hinweis heißt es, dass die Adressdaten (nur) für die postalische Werbung verwendet werden, wenn das Einverständnis mit Anrufen nicht erklärt wird - dies "bis zu Ihrem (jederzeit möglichen) Widerruf". Also eine (vorformulierte) "Opt-In"-Erklärung für die Telefonwerbung und ein "Opt-Out" für die postalische Werbung.

"Opt-In" fürs Telefon und "Opt-Out" für Werbepost. Die Bertelsmann-Juristen haben ganze Arbeit geleistet und genau die Regeln befolgt, die § 7 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UWG sowie die BGH-Rechtsprechung zu § 823 BGB vorgeben. So sehr man sich darüber streiten kann, ob es pädagogisch angezeigt ist, derartige Gutscheinaktionen an Schulen zu unterbinden, Bertelsmann hält sich an Recht und Gesetz. Den Rechtsverstoß, den Gutjahr anprangern möchte, gibt es nicht.

Mit dem Datenschutzrecht hat der von Gutjahr skandalisierte Fall zudem wenig bis gar nichts zu tun: Wenn Eltern freigiebig per Formular Adressdaten und Telefonnummern preisgeben, mag man dies für naiv erachten.Um eine datenschutzwidrige Erfassung und Speicherung der Daten handelt es sich indes nicht. Klarer als durch die Ausfüllung des Formulars lässt sich ein Einverständnis mit der Datenerfassung nicht dokumentieren.

Rechtmäßigkeit einer Datenverarbeitung

Und natürlich versteht Gutjahr auch den Vorschlag der EU-Kommission für ein neues Datenschutzrecht falsch. Aus Art. 6 Abs. 1 lit. f) DS-GVO-E ("berechtigtes Interesse", Seite 50 f.) zieht Gutjahr einen abenteuerlichen Schluss:

"Auf deutsch: Gelangt ein Unternehmen an eine Privatadresse, sollen Werbeanrufe, Reklamesendungen und Hausbesuche grundsätzlich erlaubt sein, auch ohne explizite Zustimmung des Betroffenen. Begründung: ein berechtigtes (hier: geschäfltliches) Interesse der Firma."

"LobbyPlag: Die Copy & Paste-Gesetzgeber aus Brüssel", gutjahrs blog v. 10.2.2013 unter "Einfallstor für Reklameanrufe und Haustürgeschäfte"

Nein, Herr Gutjahr, im Datenschutzrecht geht es um die Erfassung und Verarbeitung von (Adress-)Daten und weder um "Werbeanrufe" noch um "Reklamesendungen" oder gar um "Hausbesuche". Kein Datenschutzrechtler würde ernsthaft das Gegenteil behaupten. Und es liegt der EU-Kommission gewiss mehr als fern, durch die kalte Küche des Datenschutzes europäisches Wettbewerbsrecht auf den Kopf zu stellen.

Transparenz

Transparenz fängt in den Köpfen an. Und von Journalisten, die in einer komplexen Materie "Transparenz" fordern, darf man mehr Ernsthaftigkeit erwarten.  Und zumindest den Versuch, sich der Mühe des Verständnisses zu unterziehen.

 

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