Meinung, Satire & Beleidigung von Amtsträgern – im Westen nichts Neues?
Horst Seehofer kündigt eine Strafanzeige gegen die taz-Kolumnistin an, die in einem „satirischen“ Beitrag Polizisten als Müll entsorgen will, wenn die Polizei abgeschafft wird. Die Verbindung der taz-Kolumne mit den jüngsten Ausschreitungen in Stuttgart durch Horst Seehofer spitzt die Diskussion um Volksverhetzung und Beleidigung in diesem Fall zu („Eine Enthemmung der Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten…“).
Zwar soll das NetzDG im Kampf gegen Hass im Netz verschärft werden (zur NetzDG-Novelle ausführlich Niggemann, CR 5/2020, 326-331). Die vier jüngsten Beschlüsse des BVerfG bestätigen allerdings seine bisherige Linie zur Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Allgemeinem Persönlichkeitsrecht. Diese Linie erlaubt, den Beitrag der taz-Kolumnistin rechtlich zu bewerten. Dabei wird zugleich deutlich, warum das Strafrecht hier das falsche Instrument ist.
Hintergrund Nachdem der Fall des Auskunftsersuchens von Renate Künast gegen facebook wegen beleidigender Posts recht hohe Wellen geschlagen hatte, konnte man sich fragen, ob die Gerichte Deutschlands die Bastion der Meinungsfreiheit vehement verteidigen – und ob zwischen den Zeilen eines manchen Urteils auch gesetzgeberischer Aktionismus in Frage gestellt werden soll. Denn die Reformbemühungen rund um das NetzDG wurden zur gleichen Zeit kontrovers diskutiert. Jüngst hat das BVerfG wichtige Parameter aufgestellt, die bei der Beurteilung ehrverletzender Beleidigungen zu beachten sind – und damit für Klarheit gesorgt.
Bisherige Linie des BVerfG In seinem Beschluss vom 14.6.2019 hat das BVerfG (1 BvR 2433/17) noch den Vergleich der Verhandlungsführung einer Richterin mit „einschlägigen Gerichtsverfahren vor ehemaligen nationalsozialistischen deutschen Sondergerichten“ als von der Meinungsfreiheit umfasst gesehen. Dies auch mit dem Hinweis auf die schriftliche Äußerung nur der betroffenen Richterin gegenüber. Aus dieser Entscheidung konnte man schlussfolgern, dass nun jede (grenzüberschreitende) Kritik an der beruflichen Tätigkeit insbesondere von Amtsträgern durch den Sachbezug „Amtsführung“ gerechtfertigt würde.
Nun hat das BVerfG bzgl. der Beleidigung von Amtsträgern am 19.6.2020 in vier Beschlüssen (Beschlüsse vom 19. Mai 2020 - 1 BvR 2459/19, 1 BvR 2397/19, 1 BvR 1094/19 und 1 BvR 362/18) kasuistisch nachgelegt. Mit seiner bisherigen Linie übereinstimmend bekräftigt das BVerfG darin, dass die Einstufung einer Aussage als Schmähkritik oder Formalbeleidigung und damit das Entfallen einer Abwägung zwischen allgemeinem Persönlichkeitsrecht und Meinungsäußerungsfreiheit etwa im Rahmen der §§ 185, 193 StGB nur im Ausnahmefall in Betracht kommt.
Für die Fallgruppe „überspitzte Kritik an Amtsträgern“ differenziert das BVerfG aber weiter und stellt auf die konkreten Umstände des Einzelfalles ab:
a) Keine Formalbeleidigung/Schmähkritik - nur mit Grundrechtsabwägung strafbar
- Internetblog: Wenn die unterlegene Partei eines Gerichtsverfahrens in ihrem Internetblog die an der Entscheidung beteiligten Richter namentlich nennt und Fotos von ihnen ins Netz stellt, sie gleichzeitig u.a. als „asoziale Justizverbrecher“, „Provinzverbrecher“ und „Kindesentfremder“ bezeichnet, die offenkundig massiv rechtsbeugend agiert hätten, überschreitet dies die Grenzen sachlicher Kritik (1 BvR 2397/19). Hier wird auch auf die breite Öffentlichkeit Bezug genommen, die ein Internetblog genießt. Auch von Prangerwirkung durch wiederholte Äußerungen ist die Rede.
- Klageschrift: Im zweiten Verfahren bezeichnete der nach § 185 StGB Verurteilte die Leiterin eines Rechtsamts in einer verwaltungsgerichtlichen Klageschrift als „eine in stabiler und persönlichkeitsgebundener Bereitschaft zur Begehung von erheblichen Straftaten befindliche Persönlichkeit, deren geistig seelische Absonderlichkeiten und ein Gutachten zu deren Geisteskrankheit Gegenstand von gerichtlichen Auseinandersetzungen sind…“. Hier basierten die Äußerungen auf teilweise falschen Tatsachenbehauptungen, die Wertung war ehrschmälernd und deren Sachbezug war „nur schwach ausgeprägt“ (1 BvR 2459/19). Auch eine gegenüber einem begrenzten Personenkreis (Klageschrift) geäußerte Kritik an der Amtsführung kann also eine Verurteilung wegen Beleidigung rechtfertigen.
b) Keine Formalbeleidigung/Schmähkritik - fehlerhafte Grundrechtsabwägung In den anderen beiden Verfahren hingegen waren die angegriffenen Entscheidungen nicht von einer verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Abwägung getragen:
- Dienstaufsichtsbeschwerde: So durfte die Äußerung im Rahmen einer Dienstaufsichtsbeschwerde, das Verhalten des zuständigen Abteilungsleiters sei „offenbar persönlich bösartig, hinterhältig, amtsmissbräuchlich und insgesamt asozial“, nicht als Beleidigung eingestuft werden (1 BvR 362/18).
- Steuerfestsetzungsverfahren: Ebenso war die Titulierung des nordrhein-westfälischen Finanzministers in einem Steuerfestsetzungsverfahren als „rote Null“ ohne die konkrete Abwägung der Umstände des Einzelfalles als Beleidigung rechtsfehlerhaft (1 BvR 1094/19).
c) Zu berücksichtigende Aspekte innerhalb der Grundrechtsabwägung
- Kontext der Äußerung
- Verbreitungsgrad der Äußerung
- Öffentliche Person als Adressat der Äußerung
- Ehrschmälender Gehalt der Äußerung
Der aktuelle taz-Artikel
Im Kontext mit massiver Polizeigewalt in den USA fragte die Journalistin Hengameh Yaghoobifarah in der taz am 15.6.2020, was mit Polizisten/Polizistinnen geschehen soll, sollte die Polizei aufgelöst werden. Ihre Antwort: „Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie.“ Ob die bereits eingereichten Strafanzeigen zu einer Anklage führen werden, darf bezweifelt werden:
a) Beleidigung, § 185 StGB
Alleine die gewählte Formulierung lässt an das BVerfG-Urteil „Soldaten sind Mörder“ denken. Gegen das Vorliegen einer Beleidigung sprechen durchaus die in dieser Rechtsprechung aufgestellten erhöhten Hürden der Kollektivbeleidigung. Auch wurde bereits medial der Vergleich mit den aktuellen Beschlüssen und der bisherigen Linie des BVerfG (s. 2. oben) gezogen. Diese Vergleiche passen nur bedingt: Da hier die taz von satirischer Formung der These spricht („nicht einmal in Minneapolis wird eine Polizei ersatzlos aufgelöst werden“), müssten zusätzlich die Parameter aus dem „Böhmermann-Gedicht“ zu Rate gezogen werden:
Satire: Entscheidend kommt der satirische Anstrich des Artikels hinzu, auch wenn der Vergleich nicht nur plump, sondern auch geschmack- und stillos sein mag. Der Tatsachen-Kern ist nach ständiger Rechtsprechung von der satirischen Einkleidung zu trennen. Der satirischen Einkleidung ist Grenzüberschreitung immanent, sie ist deshalb sehr großzügig zu beurteilen. Mit dem Thema "Polizeigewalt" hat die Kolumnistin im Tatsachen-Kern ein Thema von hohem öffentlichen Interesse aufgegriffen. Ein Grund mehr für die Annahme, dass das Strafrecht als Instrument zu scharf und deshalb ungeeignet ist. Rügen gegen den Artikel sind beim Presserat bereits eingegangen – die richtige Adresse.
b) Volksverhetzung, § 130 StGB
Fernliegend erscheint auch eine Strafbarkeit wegen Volksverhetzung. Horst Seehofer insinuiert, dass eine überzogene, grenzwertige Sprache auch zu tatsächlichen gewaltvollen Grenzüberschreitungen führen kann - und in Stuttgart auch geführt hat. Dass die taz-Kolumne dazu geeignet ist, gerade in dieser Weise den öffentlichen Frieden zu gefährden, ist in Frage zu stellen.
Pressefreiheit: Die Ankündigungen Horst Seehofers als Angriff auf die Pressefreiheit zu werten, ist wohl ebenfalls der falsche Ansatz. Die Pressefreiheit im institutionellen Sinn ist hier gar nicht betroffen. Es gelten die allgemeinen, bekannten Maßstäbe, angereichert um den Informationsauftrag der Presse und politisches Säbelrasseln des Innenministers. Dass die in der taz-Kolumne gewählten Worte auch presserechtlich problematisch sind, zeigen die zahlreichen beim Presserat eingegangenen Hürden. Allerdings warnt der Presserat im aktuellen Fall bereits vor möglicher Einschüchterung von Journalisten durch Strafanzeigen.
Fazit
Mit seinen am 19.6.2020 veröffentlichten Beschlüssen führt das BVerfG seine klassische, einzelfallbezogene Rechtsprechungslinie zu den Grenzen der Meinungsfreiheit fort. Der Rechtsanwender muss die Umstände jeder Äußerung im Einzelnen prüfen. Formelhafte Ausführungen, die nicht auf die besonderen Umstände eingehen, reichen nicht aus. Es bleibt also alles beim Alten, auch wenn dies den ein oder anderen enttäuschen mag. Die jüngsten Vorkommnisse mahnen den Gesetzgeber vielmehr zur sorgfältigen Prüfung an, ob pauschale Verschärfungen des Strafrechts bei Ehrschutzdelikten im Internet im Rahmen der Reform des NetzDG zielführend sind.