Richtlinie Digital Goods: Wenn Wutbürger schäumen
Das FAZ-Feuilleton ist schon seit langem die Lieblingsspielwiese der analogen Wutbürger. In düsteren Farben wird die Digitalisierung verdammt. Man befürchtet Kultur- und Sittenverfall, die Weltherrschaft des Silicon Valley, gibt sich antikapitalistisch und tief besorgt:
"Wer ein Mobiltelefon besitzt, werfe es weg." ("Wehrt euch!", faz.net v. 28.2.2014)
Der Satz stammt von Hans Magnus Enzensberger, der im selben Atemzug tiefes Misstrauen gegen "kostenlose" Online-Dienste äußert:
"Wer immer ein kostenloses Angebot macht, ist verdächtig." ("Wehrt euch!", faz.net v. 28.2.2014)
Im gestrigen FAZ-Feuilleton stießen der geschätzte Kollege Friedrich Graf von Westphalen und die Juraprofessorin Christiane Wendehorst in dasselbe Horn:
Kostenlose Online-Dienste
Sie lobten die Europäische Kommission, die vor einem knappen Jahr eine Richtlinie für digitale Inhalte vorgeschlagen hat (dazu instruktiv Druschel/Lehmann, "Ein digitaler Binnenmarkt für digitale Güter", CR 2016, 244 ff.). Die Richtlinie stellt kostenlose Online-Dienste den kostenpflichtigen Diensten gleich, wenn die Gegenleistung des Verbrauchers darin liegt, dass er personenbezogene Daten preisgibt.
Orientierung an Nachfrage oder Regulierung?
Google Suche, Facebook, Spotify, Runtastic: Auch wenn der Verbraucher für all diese Dienste keinen einzigen Cent zahlt, sollen die Anbieter zur Gewährleistung mangelfreier Leistungen verpflichtet sein. Eine Gleichstellung, die Graf von Westphalen und Wendehorst als notwendigen "hoheitlichen Eingriff" bezeichnen.
Nun kommt es ja nicht gerade häufig vor, dass sich Nutzer der Google-Suchmaschine oder eifrige Twitterer über mangelhafte Leistungen der Anbieter beklagen. In meiner gesamten anwaltlichen Praxis ist mir noch kein solcher Fall untergekommen, und Graf von Westphalen/Wendehorst gelingt es auch, in ihrem gesamten Beitrag auf jegliches Beispiel zu verzichten. Warum aber eine Haftung regeln für Leistungen, die die Online-Dienste in aller Regel zur vollsten Zufriedenheit der Nutzer erbringen?
Erzieherischer Mehrwert für wen?
Der Jurist, der auf diese Frage keine Antwort hat, verlegt sich auf das Psychologisieren. Er konstatiert "eine nicht zu unterschätzende psychologische Wirkung". Diese Wirkung erhofft er sich nicht von der Richtlinie, sondern von dem "legislatorischen Gedanken". Regulierung aus Brüssel also nicht als Antwort auf offene rechtliche Fragen, sondern wegen eines vermeintlichen erzieherischen Mehrwerts.
Der Anspruch einer "Erziehung" des Verbrauchers durch eine symbolische Regulierung ist zwar bildungsbürgerlich gut gemeint, aber zugleich hochnäsig und vermessen. Denn Graf von Westphalen und Wendehorst, die die geschilderten "Audio- oder Videospiele" oder die "neue PC-Software (Update)" beschreiben, fühlen sich Ottilie Normalverbraucherin unendlich überlegen. Sie haben den Durchblick, durchschauen "das Silicon Valley (Big Data und Big Money)" und den "Internetkapitalismus". Opfer der "ungeheuren Informationssymetrien" sind sie selbst natürlich nicht, sondern der unaufgeklärte Verbraucher, der durch einen "vertragsrechtlichen Schutzwall" (die DDR lässt grüßen) vor seiner eigenen Dummheit geschützt werden soll.
Kontrolle über Daten zur eigenen Person?
Dass die jüngst verabschiedete europäische Datenschutzreform mit dem Brüsseler Richtlinienvorschlag nicht harmoniert, können Graf von Westphalen und Wendehorst zwar nicht leugnen. Doch auch für diesen Schönheitsfehler haben sie ein Patentrezept. Mit schlanker Hand interpretieren sie das Datenschutzrecht einfach neu und erklären es zum Grundsatz, dass Daten nur mit Einwilligung des Betroffenen verarbeitet werden dürfen, obwohl die Einwilligung nach geltendem Recht nur einer von mehreren Gründen ist, die eine Datenverarbeitung rechtfertigen.
Kein Argument, nur ein Gefühl
Letztlich gelingt es Graf von Westphalen und Wendehorst nicht, auch nur ein stichhaltiges rechtliches Argument für neue Regulierung zu finden. Aber des Wutbürgers Stärke war das Argument noch nie.