Schwerer Fehler des Bundesgesundheitsministers: Meldedaten dürfen nicht für "Impf-Einladungen" verwendet werden
In Niedersachsen ist das Melderegister für die Gesundheitsverwaltung der Bundesländer tabu. Um Senioren zu Impfterminen einzuladen, beschaffen sich daher die Behörden Adressverzeichnisse der Deutschen Post und versuchen, anhand altmodisch klingender Vornamen Senioren zu identifizieren. Dies liegt an einem Versäumnis des Bundesgesundheitsministers: Er hat es versäumt, eine Abfragebefugnis in die Coronavirus-Impfverordnung (CoronaImpfV) einzufügen.
Auf der Website des Landes Niedersachsen heißt es hierzu:
"Aufgrund rechtlicher Hürden kann das Land die Adressen der Impfberechtigten aus dem amtlichen Melderegister für diese Anschreiben leider nicht verwenden. Aus diesem Grund greift Niedersachsen auf die Vermietdatenbank der Deutschen Post Direkt GmbH zurück, die die hohen Ansprüche an den Datenschutz erfüllt, aber nicht vollständig ist. Es werden deshalb nicht alle Niedersächsinnen und Niedersachsen, die älter sind als 80 Jahre, einen Brief erhalten." Covid-19 Impfung - Antworten auf häufig gestellte Fragen (zu Frage "1. Wann starten die Impfungen gegen Covid-19?" im kursiven Absatz "Wichtig: ..."; Satz 1 wurde auf der Zielseite nachträglich leicht modifiziert)
Regelung fehlt: Dies kann man durchaus als "Datenschutz-Wahnsinn" bezeichnen (Ochse/Wiegers, "Länder müssen sich Adressen von der Post holen", Bild v. 13.1.2021). Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass Schlampigkeit am Werk war, denn der Gesundheitsminister hätte Meldeabfragen ohne Weiteres in der CoronaImpfV regeln können, ohne dass die DSGVO in irgendeiner Weise im Wege gestanden hätte, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. c) und e) DSGVO. Eine solche Regelung, die für behördliche Abfragebefugnisse notwendig ist, fehlt jedoch.
Grund: Datenschutz ist oft kleinlich-bürokratisch. Und es ist nicht leicht zu verstehen, dass § 34 Abs. 1 Bundesmeldegesetz (BMG) den Meldebehörden die Übermittlung von Adressdaten an andere Behörden erlaubt. Aus einer solchen Erlaubnis folgt jedoch noch keine Befugnis der Gesundheitsämter, Meldedaten auch tatsächlich abzufragen. Dies ergibt sich klipp und klar aus der "Doppeltür"-Rechtsprechung des BVerfG, die Karlsruhe zuletzt in der "Bestandsdatenauskunft II"-Entscheidung vom 27.5.2020 bestätigt hat (BVerfG, Urt. v. 27.5.2020 - 1 BvR 1873/13).
Verbindliche verfassungsrechtliche Vorgabe: Man mag die "Doppeltür"-Rechtsprechung des BVerfG kritisch sehen und für übertrieben halten. Sie ist jedoch geltendes Recht und hätte daher bei der Abfassung der CoronaImpfV beachtet werden müssen. Ein sorgfältig formulierter Absatz hätte genügt.
Vorwerfbarkeit: Dass der Absatz vergessen wurde, kann man weder "dem Datenschutz" noch den Bundesländern und deren Gesundheitsverwaltung anlasten. Verantwortlich für das Versäumnis ist einzig und ausschließlich das Bundesgesundheitsministerium.
Fazit: Der Vorgang zeigt, dass Schlampigkeit bei der Formulierung von Rechtsverordnungen weitreichende Folgen haben kann. Auch aus diesem Grund wäre die Große Koalition gut beraten gewesen, auf Expertinnen wie Andrea Kießling zu hören und die Corona-Impfungen gesetzlich zu regeln. Es war keine gute Idee, die Regelungsbefugnis an den Bundesgesundheitsminister zu delegieren.