Trans-Atlantic Data Privacy Framework trotz U.S. Supreme Court Entscheidung in FBI v. Fazaga?
Am 25.3.2022 haben Präsident Biden und die Präsidentin der EU Kommission Ursula von der Leyen die grundsätzliche Einigung auf ein neues „Trans-Atlantic Data Privacy Framework“ (TADPF) bekannt gegeben. Durch das TADPF soll neben einer effektiveren Aufsicht über die Geheimdienste ein mehrstufiges Rechtsbehelfssystem einschließlich eines „Independent Data Protection Review Court“ eingerichtet werden, dessen Mitglieder unabhängig sind und der die Befugnis haben soll, von EU-Bürgern erhobene Ansprüche gegen Überwachungsmaßnahmen der Geheimdienste zu beurteilen und erforderlichenfalls Abhilfemaßnahmen in rechtlich bindender Weise anzuordnen. Die exakten Details der konkreten Ausgestaltung dieses im TADPF hervorgehobenen neuen Rechtsschutzverfahrens müssen erst noch geschaffen werden.
Der Supreme Court der USA hat allerdings am 4.3.2022 eine Entscheidung getroffen (FBI v. Fazaga, CRi 2/2022 (April)), die die Effektivität des neuen Rechtsbehelfsystems in Frage stellt und möglicherweise dessen Tauglichkeit torpediert:
1. Sachverhalt & Vorinstanzen
Die Kläger, Mitglieder der Muslim Community in Kalifornien, klagten gegen das FBI wegen einer angeblich rechtswidrigen Überwachung durch das FBI auf der Grundlage des Foreign Intelligence Surveillance Acts (FISA). Im Laufe des Verfahrens beantragte die Regierung, die meisten von den Klägern geltend gemachten Ansprüche unter Berufung auf das sog. „state secret privilege“ zu verwerfen. Das state secret privilege erlaubt der Regierung, in einem Zivilverfahren Beweismittel zurückzuhalten, wenn deren Offenlegung die nationalen Interessen der USA gefährden könnte.
Der District Court als erstinstanzliches Gericht wies die Klagen unter Berufung auf das state secret privilege ab. Der Court of Appeal for the 9th Circuit (965 F. 3d 1015 (2020)) als zuständiges Berufungsgericht hob das erstinstanzliche Urteil auf und begründete diese Entscheidung damit, dass das state secret privilege durch den FISA verdrängt werde und deshalb in diesem Fall keine Anwendung finden könne.
2. Entscheidung des U.S. Supreme Court
Zentrale Frage des Rechtsstreits war, ob das sog. state secret privilege durch § 1806(f) des FISA verdrängt wird.
a) Vorgaben in § 1806 (f) FISA:
Wenn der Attorney General in einem Fall eine eidesstaatliche Erklärung abgibt, dass die Offenlegung von bestimmten Informationen die nationale Sicherheit der USA beeinträchtigen könnte, dann verpflichtet § 1806 (f) FISA das Gericht, diese Unterlagen im Rahmen eines In-Camera-Verfahrens und unter Ausschluss sowohl der Öffentlichkeit als auch der Verfahrensbeteiligten (sog. ex parte procedure) zu überprüfen, um entscheiden zu können, ob die Überwachungsmaßnahmen im Einzelfall rechtmäßig erfolgt waren. § 1806 (f) FISA lässt also eine beschränkte Offenlegung entsprechender Informationen und Unterlagen der Überwachungsbehörden im Prozess sowie deren Prüfung durch das Gericht zu, auch wenn dies nur unter besonderen Schutzmaßnahmen möglich ist.
Sofern das Gericht nach Prüfung der Unterlagen zu dem Schluss kommt, dass die Überwachungsmaßnahmen nicht rechtmäßig waren, d.h. die Beweismittel in unrechtmäßiger Weise erhoben wurden, muss das Gericht die Beweismittel verwerfen und einem entsprechenden Antrag der dadurch geschädigten Person stattgeben.
b) Das state secret privilege:
Der Supreme Court hatte schon im 19. Jahrhundert und danach in weiteren Entscheidungen anerkannt, dass es in bestimmten Situationen im Interesse der nationalen Sicherheit der USA zulässig sein muss, die Offenlegung von Staatsgeheimnissen in einem Gerichtsverfahren zu verhindern, auch wenn das dazu führt, dass dadurch die Klage abgewiesen werden müsste (vgl. Totten v. United States 92 U.S. 105 (1876); United States v. Reynolds 345 U. S. 1 (1953); General Dynamics Corp. v. United States, 563 U.S. 478 (2011); United States v. Zubaydah __U.S. __ (2022).
Interessanterweise sind weder die genaue Rechtsgrundlage auf der das state secret privilege beruht (entweder auf dem Common Law oder auf der Verfassung der USA) noch dessen Reichweite (also unter welchen genauen Umständen das state secret privilege Anwendung finden kann) geklärt, Der Supreme Court weist ausdrücklich darauf hin, sich dazu im Rahmen dieser Entscheidung nicht äußern zu müssen (vgl. auf S. 13 der Entscheidung).
c) Argumentationslinie des U.S. Supreme Court
Zunächst argumentiert der Supreme Court mit dem Wortlaut der Vorschrift. § 1806 (f) FISA nimmt in keiner Weise Bezug auf das state secret privilege und erwähnt es nicht in seinem Wortlaut. Nach Auffassung des Supreme Court wäre das aber erforderlich gewesen, da der Congress einen Ausschluss des state secret privilege durch § 1806 (f) FISA in jedem Fall ausdrücklich, d.h. im Wortlaut der Vorschrift hätte anordnen müssen.
Im Übrigen ist der Supreme Court der Auffassung, dass es zwischen dem state secret privilege und § 1806 (f) FISA keinen Widerspruch gibt, der Anlass dafür sein könnte, das state secret privilege nicht anzuwenden bzw. als durch § 1806 (f) FISA verdrängt anzusehen, weil es sich bei näherer Betrachtung um unterschiedliche Rechtsvorschriften/Rechtsgrundsätze handelt. Diese Konsequenz ergibt sich für den Supreme Court aus folgenden Überlegungen:
Regelungsgegenstand: Bei § 1806(f) FISA ist die entscheidende Frage, ob die Überwachungsmaßnahmen der Behörden rechtmäßig waren. Demgegenüber ist die zentrale Frage im Hinblick auf das state secret privilege, ob die Offenlegung der Informationen die nationale Sicherheit gefährden könnte.
Rechtsfolgen: Außerdem ergeben sich unterschiedliche Rechtsfolgen bei der Anwendung der beiden Vorschriften/Rechtsgrundsätze: Sofern sich die Überwachungsmaßnahmen als rechtmäßig herausstellen, ist das Gericht nicht berechtigt, dem Kläger gem. § 1806 (f) FISA Unterlagen/Informationen zur Verfügung zu stellen. Demgegenüber darf das Gericht rechtmäßig erhobene Beweismittel an den Kläger herausgeben, sofern das Gericht bei Anwendung des state sercet privilege der Auffassung ist, dass nationale Interessen der USA nicht durch eine Herausgabe/Offenlegung gefährdet werden. Das state secret privilege erlaubt es dem Gericht unter Umständen die Klage abzuweisen, was bei Anwendung des § 1806 (f) FISA ebenfalls nicht möglich ist.
Prozessual Berechtigter: Schließlich kann § 1806 (f) FISA nur durch den Attorney General in Anspruch genommen werden. Demgegenüber kann das state secret privilege auch vom Leiter der jeweiligen Abteilung, der die Kontrolle über die betreffende Angelegenheit hat, in Anspruch genommen werden.
Conclusio: Aufgrund dieser Umstände kommt der Supreme Court einstimmig (!) zu dem Ergebnis, dass es sich bei § 1806 (f) FISA und dem state secret privilege um unterschiedliche Rechtsvorschriften/Rechtsgrundsätze handelt, so dass das state secret privilege nicht durch § 1806 (f) FISA ausgeschlossen oder verdrängt wird.
3. Bedeutung für internationalen Datenaustausch zwischen EU und USA
Ansatz des EuGH: Der EuGH hatte (Urteil v. 16.7.2020, C-311/18, CR 2020, 529 - Schrems II) im Juli 2020 die Angemessenheitsentscheidung der EU Kommission zum Datenaustausch mit den USA, die als „EU-US Privacy Shield Abkommen“ bekannt ist (Durchführungsbeschluss 12.7.2016 EU 2016/1150 Abl. L 207 1.8.2016 S.1-112, siehe dazu im Detail bei Lejeune, ITRB 2016, 201 ff.), für unwirksam erklärt. Der EuGH bemängelte wie bereits in der Entscheidung aus dem Jahr 2015 (C-362/14, CR 2015, 633 - Schrems I; dazu ausführlich Moos/Schefzig, "„Safe Harbor“ hat Schiffbruch erlitten", CR 2015, 625) die weitgehenden Befugnisse der amerikanischen Geheimdienste nach dem FISA und der EO 12333 sowie das Fehlen effektiver Rechtsschutzmöglichkeiten, die es EU Bürgern ermöglichen könnten, sich gegen illegale Überwachungsmaßnahmen effektiv zur Wehr zu setzen.
Trans-Atlantic Data Privacy Framework: Wie allgemein bekannt ist, verhandelt die EU Kommission schon seit einiger Zeit mit den USA über ein neues „EU-US Privacy Shield Abkommen“, um auf dessen Grundlage dann eine neue Angemessenheitsentscheidung zu treffen, was den Datenaustausch mit den USA sehr erleichtern würde, weil die Unternehmen dann nicht mehr auf die neuen Standardvertragsklauseln von 2021 (Abl. L 199 v. 7.6.2021) angewiesen wären, die in jedem Einzelfall ein sog. Transfer Risk Assessment erforderlich machen, das einen Datenaustausch in vielen Fällen unmöglich macht.
Effekt von FBI v. Fazaga: Die Entscheidung des Supreme Court vom 4.3.2022, die nicht nur für Ausländer, sondern auch für US-Bürger Anwendung finden kann, erschwert den Rechtsschutz in Fragen geheimdienstlicher Überwachungstätigkeiten der amerikanischen Sicherheitsbehörden. Allerdings war es auch vor dieser Entscheidung schon schwierig, entsprechende Verfahren in den USA führen zu können, weil die Gerichte hohe Anforderungen an die Klagebefugnis stellen (sog. Art. III standing vgl. Spokeo Inc. v. Robins, 578 U.S. 330 (2016); Clapper v. Amnesty International USA 568 U. S. 398 (2013)). Danach muss ein Kläger glaubhaft machen, einen konkreten Schaden erlitten zu haben, um eine Klage einlegen zu können. Bei geheimen Überwachungsmaßnahmen wissen die Kläger aber oft nichts von der Überwachung und können deshalb keine rechtswidrigen Überwachungsmaßnahmen nachweisen, aus denen sich eine konkrete Beeinträchtigung ihrer Rechte herleiten ließe.
Da durch die Entscheidung endgültig klargestellt wird, dass das state secret privilege auch im Rahmen des FISA anwendbar ist, wird ein effektiver Rechtsschutz für EU Bürger in der Praxis im Zusammenhang mit geheimdienstlichen Überwachungsmaßnahmen weiter erschwert. Bei den derzeit engen Machtverhältnissen im amerikanischen Kongress ist nicht damit zu rechnen, dass die Administration von Präsident Biden die Anwendbarkeit des state secret privilege ausschließen oder einschränken könnte (sofern man dazu überhaupt bereit wäre), um eine Angemessenheitsentscheidung der EU Kommission zu ermöglichen.
Im Ergebnis bleibt es also dabei, dass die überzogenen Anforderungen des EuGH bezüglich eines Schutzniveaus in Drittländern als Voraussetzung für einen Datentransfer mit Drittländern, die im Übrigen auch der Rechtsprechung des BVerfG widersprechen (vgl. dazu im Detail bei Lejeune, CR 2020, 716), entweder
- vom EU Gesetzgeber berichtigt werden müssten oder
- die EuGH Rechtsprechung müsste von einem Verfassungsgericht eines Mitgliedsstaates für unzulässig erklärt werden (weil Fragen der nationalen Sicherheit nach zutreffender Auffassung in die alleinige Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten fallen), um wieder einen geordneten Wirtschaftsverkehr mit den USA zu ermöglichen.
Derzeit ist nicht zu erwarten, dass sich eine dieser beiden Möglichkeiten kurzfristig realisieren lässt.
4. Ausblick
Sollte das state secret privilege auch in Verfahren vor dem angekündigten, neuen Independent Data Protection Court Anwendung finden, dann ist dessen Effektivität erheblich beeinträchtigt, weil EU-Bürger dann ebenso wie der Kläger in der hier besprochenen Entscheidung daran gehindert werden könnten, ihre Rechte durchzusetzen, wenn unter Berufung auf das state secret privilege wichtige Informationen zu den Überwachungsmaßnahmen nicht offengelegt werden dürfen.
Da das state secret privilege, wie der Supreme Court ausführt, entweder auf dem Common Law oder sogar direkt auf der Verfassung beruht, bestehen erhebliche Zweifel, dass seine Anwendbarkeit im Rahmen des neuen Rechtsbehelfssystems einfach ggfs. per Verwaltungsanweisung (= Executive Order) ausgeschlossen werden kann. Endgültig wird man diese Frage aber erst auf der Grundlage der künftigen Details des neuen Rechtsbehelfssystem beantworten können.