21.04.2012

Unseriöse Geschäftspraktiken aus Sicht einer liberalen Ministerin - ein Referentenentwurf

Portrait von Niko Härting
Niko Härting

Auf ungeklärte Weise ist ein Referentenentwurf des Bundesministeriums für Justiz (BMJ) für ein „Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken“ in Umlauf gekommen.

Man liest den Entwurf und wundert sich, was doch alles aus Sicht der derzeitig für das Ministerium Verantwortlichen als „unseriös“ gelten soll:

1. Rechtsanwälte, die Forderungen beitreiben.

Was macht ein Handwerker, der auf unbezahlten Rechnungen sitzt? Er schaltet einen Anwalt ein, der den Kunden zunächst einen Brief schreibt mit der Aufforderung, die überfälligen Rechnungen zu bezahlen. Man mag dies – mit dem BMJ – als eine anwaltliche „Inkassodienstleistung“ bezeichnen.

Das BMJ hält es für nötig, „Inkassodienstleistungen“ des Anwalts zu reglementieren – dies nicht etwa zum Schutz des Handwerkers, der auf unbezahlten Rechnungen sitzt, sondern zum Schutz des säumigen Kunden. Ein neuer § 43 d BRAO soll den Anwalt verpflichten, den Kunden detailliert über den Auftraggeber, den Forderungsgrund, die „wesentlichen Umstände des Vertragsschlusses“. Die genaue Zins- und Kostenberechnung und sogar über die Abzugsfähigkeit von Vorsteuer aufklären.

Zu den Grundpflichten des Anwalts gehört, dass er ausschließlich den Interessen einer Partei (seines Mandanten) verpflichtet ist. Die strikte Einhaltung des Verbots der Interessenkollision gehört zu den elementaren Grundpflichten des Anwalts, der Parteiverrat ist sogar eine Straftat. Mit der Stellung des Anwalts als Hüter der Interessen (nur) einer Partei verträgt es sich nicht, dass Anwälte zum Schutz der Interessen der Gegenpartei verpflichtet werden.

Natürlich gibt es schwarze Schafe unter den Anwälten, die sich vor den Karren fragwürdiger Machenschaften ihrer Klienten spannen lassen. Wenn Anwälte sehenden Auges zweifelhafte Forderungen beitreiben, kann dies eine Beihilfe zum Betrug sein oder andere Straftatbestände verwirklichen. Hier ist die Strafjustiz gefragt. Missstände, die es rechtfertigen könnten, dem Handwerker das Recht zu nehmen, einen Anwalt einzuschalten, der ausschließlich seinen Interessen verpflichtet ist, gibt es nicht.

2. Datenschutzrechtliche Einwilligungen

In seinen Entscheidungen zu „Payback“ (BGH, Urt. v. 16.7.2008 - VIII ZR 348/06, CR 2008, 720ff.) und „HappyDigits“ (BGH, Urt. v. 11.11.2009 - VIII ZR 12/08, CR 2010, 87 ff.) hat der BGH betont, dass datenschutzrechtliche Einwilligungserklärungen in Allgemeine Geschäftsbedingungen aufgenommen werden dürfen, ohne dass es eines gesonderten Anklickfeldes für die Einwilligung bedarf. Diese weitverbreitete und vom BGH gebilligte Praxis hält man im BMJ für „unseriös“. Man schlägt einen gewunden formulierten neuen § 308 Nr. 9 BGB vor, der das „Opt-In“-Prinzip für datenschutzrechtliche Einwilligungen einführt. Nicht genug: Der Vertragpartner soll zudem auch über die Folgen einer verweigerten Einwilligung, über Widerrufsrechte und –möglichkeiten informiert werden. Zur Krönung sieht § 308 Nr. 9 lit c BGB-E dann auch noch ein vollständiges Einwilligungsverbot vor für den Fall, dass der Vertragspartner „auf die vertragliche Leistung angewiesen ist“.

Die vom BMJ vorgeschlagene „Korrektur“ der BGH-Rechtsprechung würde lediglich uns Anwälte freuen, da wir mit zahlreichen Aufträgen zur Umsetzung der Neuregelung rechnen dürften. Man müsste in Vertragsschlüsse und Registrierprozesse zusätzliche Anklickfelder und Belehrungen integrieren. Jedenfalls im Internet lassen sich datenschutzrechtliche Einwilligungen nur per AGB einholen, denn das Internet kennt nur das standardisierte Massengeschäft. Datenverarbeitungsprozesse, die einwilligungsbedürftig sind, sind zudem schon aus technischen Gründen, die Regel und nicht die Ausnahme. Weshalb hier der Verbraucher von „unseriösen“ Praktiken geschützt werden muss und nicht einmal die laufenden Bemühungen der EU um ein neues Datenschutzrecht abgewartet werden können, erschließt sich nicht einmal ansatzweise.

3. Urheberrecht – Kappung der Streitwerte

Im Urheberrecht, aber auch im gesamten gewerblichen Rechtsschutz sollen die Streitwerte drastisch reduziert werden, wenn der Verletzer nicht gewerblich (§ 49 GKG-E) gehandelt hat bzw. wenn die Rechtsverletzung für den Verletzer (!) nur einer „geringere Bedeutung“ hatte (§ 51 GKG-E).

Das BMJ ist das für das Urheberrecht verantwortliche Ministerium. Mit Vorhaben zur Erneuerung des Urheberrechts hat sich die derzeitige Ministerin nicht hervorgetan. Zugleich ist in der laufenden Legislaturperiode eine Partei in mehrere Landtage mit erheblichen Stimmanteilen eingezogen, die sich „Piraten“ nennt und ihre Erfolge ganz maßgeblich der weit verbreiteten Kritik am geltenden Urheberrecht verdankt. Und dem BMJ fällt zum Urheberrecht lediglich ein, das materielle Recht unverändert zu lassen und gleichzeitig die Rechtsverletzung zu bagatellisieren. Dies kommt einem Offenbarungseid gleich.

Die Musikindustrie führt mit der „Abmahnmaschinerie“, die sie seit vielen Jahren betreibt, einen aussichtslosen Kampf. Und dass man – aus Sicht der Betroffenen – auf die Idee kommen kann, die Abmahnungen für „unseriös“ zu erachten, ist verständlich. Dies indes liegt daran, dass das Urheberrecht keine Antwort auf Phänomene wie das Filesharing getroffen hat. Statt an klugen Reformen für ein Urheberrecht des 21. Jahrhunderts zu arbeiten, hält man am geltenden Recht fest und schwächt zugleich dessen Durchsetzbarkeit. Ungerecht für die Rechteinhaber, deren Rechte geschwächt werden. Ungerecht aber auch für die Internetnutzer, die keine erweiterten Kopierbefugnisse erhalten und sich nur wenig darüber freuen werden, wenn das Filesharing ein wenig preiswerter wird.

 

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