Veröffentlichung von Mails im Netz: erlaubt oder verboten?
Darf man E-Mails im Internet veröffentlichen, ohne den Absender zu fragen? Eine Frage, die sich immer wieder stellt und die sich weder mit einem entschiedenen "Ja" noch mit einem pauschalen "Nein" beantworten lässt.
Das Postgeheimnis schützt nur gegen das heimlich-unbefugte Öffnen einer Postsendung und setzt daher der Veröffentlichung von E-Mails keine Schranken. Und das Telekommunikationsgeheimnis bietet keinen Schutz, da es sich nicht (mehr) um einen "laufenden Kommunikationsvorgang" handelt.
Aus dem Urheberrecht ergibt sich die Notwendigkeit, die Einwilligung des Verfassers der E-Mail einzuholen. Dies setzt allerdings voraus, dass es um Inhalte geht, die Werkschutz genießen (vgl. Härting, "Urheberrecht bizarr: stern ./. FDP", CRonline Blog v. 13.11.2012).
Einschränkungen können sich auch aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (§ 823 Abs. 1 BGB) ergeben. Da dies jedoch ein offener Tatbestand ist, verbieten sich pauschale Antworten. Es bedarf vielmehr in jedem Einzelfall einer abwägenden Bewertung der Intensität der Rechtsverletzung einerseits und eines Preisgabe- bzw. Veröffentlichungsinteresses andererseits:
- Nach Auffassung des BGH hat der Verfasser eines Briefes grundsätzlich ein „Bestimmungsrecht“ für Veröffentlichungen. Dieses „Bestimmungsrecht“ gilt unabhängig davon, ob der Festlegungsform eine Urheberschutzfähigkeit zugebilligt werden kann oder nicht (BGH, Urt. v. 25.2.1954 – I ZR 211/53 – Schacht-Briefe, BGHZ 13, 334). Das "Bestimmungsrecht" ist indes keinesfalls absolut zu verstehen und ändert nichts an der vorzunehmenden Güter- und Interessenabwägung.
- Die Rechtswidrigkeit einer Veröffentlichung hängt maßgeblich von dem Interesse ab, das mit der Veröffentlichung verfolgt wird. Die Veröffentlichung erotischer Briefe eines Popmusikers in der Boulevardpresse ist daher anders zu bewerten als Liebesgrüße eines Politikers an eine wegen terroristischer Delikte verurteilte Straftäterin. Nur im letztgenannten Fall besteht ein überragendes öffentliches Interesse, das unter dem Gesichtspunkt der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) den Eingriff in die Intimsphäre rechtfertigt (Härting, "Vertraulichkeitsschutz privater Nachrichten", IPRB 2012, 134).
- Das Geheimhaltungsinteresse des Verfassers tritt in der Regel hinter dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit zurück, wenn der veröffentlichte Brief politisch brisante Angelegenheiten betrifft oder einen sonstigen Beitrag zum „geistigen Meinungskampf“ leistet (BVerfG, Urt. v. 15.1.1958 - 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 = NJW 1958, 257 – Lüth-Urteil; BGH, Urt. v. 24.10.1961 - VI ZR 204/60, BGHZ 36, 77 = NJW 1962, 32 - Waffenhändler).
- Auch wenn eine E-Mail - wie etwa beim "Hacking" rechtswidrig abgefangen wurde, ist die Publikation nicht von vornherein verwehrt. Ein absolutes Publikationsverbot bezüglich Informationen, die rechtswidrig erlangt wurden, besteht nicht, sonst würde die Kontrollaufgabe der Medien übermäßig beeinträchtigt. Auch die Verbreitung rechtswidrig erlangter Informationen fällt in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Erforderlich ist allerdings in einem solchen Fall ein besonders stark ausgeprägtes Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit, um einen Eingriff zu rechtfertigen (BGH, Urt. v. 10.3.1987 – VI ZR 244/85 – BND-Interna, NJW-RR 1987, 1433 = CR 1988, 390).
- Das LG Saarbrücken (Urteil vom 16.12.2011 - 4 O 287/11, CR 2012, 408 Rdnr. 24 = ITRB 2012, 129 f.(Engels)) hat einen weitgehenden Vertraulichkeitsschutz für den Fall bejaht, dass eine E-Mail in dem üblichen „Disclaimer“ ausdrücklich als „vertraulich“ bezeichnet wird. Dabei hat das LG Saarbrücken allerdings die formelhafte Art der massenhaften Benutzung solcher „Disclaimer“ verkannt und deren Bedeutung für den Vertraulichkeitsschutz deutlich überschätzt.
- Letztlich unterliegt die Erlaubnis zur Veröffentlichung von E-Mails derselben Abwägung mit Art. 5 GG, die auch in anderen Fällen über die Erlaubnis entscheidet. Dies führt bei E-Mails, die lediglich die Sozialsphäre berühren, zu einem vergleichsweise schwachen Schutz der Vertraulichkeit (OLG Braunschweig vom 24.11.2011, 2 U 89/11, AfP 2012, 265 Rdnr. 13).