VG Karlsruhe: Kein TK-Geheimnis für private Mails am Arbeitsplatz (Fall Mappus)
E-Mail am Arbeitsplatz: Seit mehr als einem Jahrzehnt entspricht es der ganz herrschenden Meinung, dass für Mails des Arbeitnehmers das Telekommunikationsgeheimnis gilt, wenn der Arbeitgeber die private Nutzung der betrieblichen Mailadresse gestattet hat:
Eckpunkte der herrschenden Meinung
- Strafbarkeit: Der Arbeitgeber, der sich Zugriff auf Mails des Arbeitnehmers verschafft, ohne den Arbeitnehmer zu fragen, verletze das Fernmeldegeheimnis und mache sich strafbar nach § 206 StGB (vgl. Elschner in Hoeren/Sieber, Handbuch Multimediarecht, Kap. 22.1 Rdnr. 81; Heidrich/Tschoepe, MMR 2004, 75 (76); Rath/Karner, K&R 2007, 446 (450f.); Schuster, ZIS 2010, 68 (70f.); Weißnicht, MMR 2003, 448 (449); Wolf/Mulert, BB 2008, 442 (446); OLG Karlsruhe, Beschl. v. 10.1.2005 - 1 Ws 152/04, CR 2005, 288 m. Anm. Lejeune).
- TK-Anbieter: Der Arbeitgeber sei bei erlaubter Privatnutzung von E-Mails als „geschäftsmäßiger“ Betreiber von Telekommunikationsanlagen gemäß § 3 Nr. 10 TKG anzusehen und unterliege dem Telekommunikationsgeheimnis (Lensdorf/Born, CR 2013, 30 (31f.); Altenburg/Reinersdorf/Leister, MMR 2005, 135 (136f.); Lejeune, CR 2005, 290f.; Nägele/Meyer, K&R 2004, 312 (312ff.)).
- Einverständnis erforderlich: Dies wiederum bedeute, dass das Einverständnis sowohl des Arbeitnehmers als auch des jeweiligen Kommunikationspartners erforderlich sei, wenn Dritte private E-Mails mitlesen können (vgl. Lensdorf/Born, CR 2013, 30 (32f.); Klesczewski in Berliner Kommentar, TKG, § 88 Rdnr. 33; Balsmeier/Weißnicht, K&R 2005, 537 (540); Hannebeck/Neunhoeffer, K&R 2006,112 (113f.);Schimmelpfennig/Wenning, DB 2006, 2290 (2292)).
Weit verbreitet ist die Empfehlung an den Arbeitgeber, die private Nutzung von Mailaccounts zu verbieten. Ein unbefriedigender Zustand, der an der betrieblichen Praxis vorbei geht und absurde Fragen der Abgrenzung zwischen "noch dienstlichen" und "schon privaten" Nachrichten aufwirft.
Unsicherer argumentativer Boden
So beharrlich die herrschende Auffassung zu Privatmails am Arbeitsplatz seit Jahren vertreten wird, so unsicher ist der Boden, auf der sie steht:
- Beleg-Fundstellen: Es gibt lediglich eine Stelle in den aus dem Jahre 1996 (!) stammenden Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 13/3609 vom 30.1.1996, S. 53 (dort zu § 82 des Gesetzentwurfs)), aber nur eine einzige Gerichtsentscheidung (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 10.1.2005 - 1 Ws 152/04, CR 2005, 288 m. Anm. Lejeune), auf die sich diese Ansicht stützen kann.
- Ansatz der Arbeitsgerichte: 2010 und 2011 haben zwei Landesarbeitsgerichte einen Geheimnisschutz für Mails am Arbeitsplatz verneint (LAG Berlin-Brandenburg vom 16.2.2011 - 4 Sa 2132/10, CR 2011, 611 (612) m. Anm. Störing Rdnr. 36 f., ITRB 2011, 228f. (Aghamiri); LAG Niedersachsen vom 31.5.2010 - 12 Sa 875/09, CR 2010, 616, Rdnr. 45; kritisch zur Belastbarkeit dieser arbeitsrechtlichen Entscheidungen Lensdorf/Born, CR 2013, 30 (32f.)).
Ansatz des VG Karlsruhe
Das VG Karlsruhe reiht sich jetzt in diese Reihe ein: Im Fall Mappus, den das VG Karlsruhe vergangene Woche in einem ausführlich begründeten Urteil entschieden hat, wird eine Anwendbarkeit des § 88 TKG auch für den Fall verneint, dass dem Bediensteten (dem baden-württembergischen Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus) die Privatkommunikation per Mail gestattet gewesen sein sollte:
"Selbst bei Annahme einer erlaubten privaten Nutzung steht zudem der Gesetzeszweck des Telekommunikationsgesetzes einer Heranziehung des § 88 TKG entgegen. § 1 TKG bringt zum Ausdruck, dass es sich um ein Gesetz zur Förderung des privaten Wettbewerbs im Bereich der Telekommunikation handelt, dass also auf die Rechtsbeziehungen zwischen dem Staat und den Telekommunikationsanbietern sowie diejenigen zwischen den Telekommunikationsanbietern untereinander abgezielt wird. Sinn und Zweck des Gesetzes ist es hingegen nicht, die unternehmens- beziehungsweise behördeninternen Rechtsbeziehungen - etwa zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer - zu regeln... Zwischen dem Kläger und dem Beklagten fehlte es somit an einer Beziehung, die eine Qualifizierung als „Diensteanbieter“ und „Dritter“ erlaubt." (VG Karlsruhe, Urt. v. 27.5.2013 - 2 K 3249/12, Rdnr. 65)
Argumente gegen die herrschende Meinung
Die von der herrschenden Auffassung befürwortete Anwendung des § 88 TKG auf die betriebsinterne private Nutzung von E-Mails war noch nie überzeugend und wird seit jeher zurecht kritisiert (Barton, CR 2003, 839 (843); Gundermann, K&R 1998, 48 (51); Schimmelpfennig/Wenning, DB 2006, 2290 (2292f.); Wuermeling/Felixberger, CR 1997, 230 (231ff.)):
- Zweck des TKG: Gegen die Einstufung eines Arbeitgebers als Anbieter von Telekommunikationsdiensten spricht der Zweck des TKG, der darin liegt, durch eine technologieneutrale Regulierung den Wettbewerb im Bereich der Telekommunikation und leistungsfähige Telekommunikationsinfrastrukturen zu fördern und auf diese Weise flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen zu gewährleisten (§ 1 TKG) (vgl. Barton, CR 2003, 839 (843); Schimmelpfennig/Wenning, DB 2006, 2290 (2292f.)).
- Unausweichliches Monopol: Es ist nicht ersichtlich, wie ein Arbeitgeber, der Mitarbeitern E-Mail-Accounts zur privaten Nutzung zur Verfügung stellt, im Telekommunikationsmarkt in einen Wettbewerb zu anderen Anbietern treten könne.
- Redaktionelles Versehen: Die in der Gesetzesbegründung vertretene Einbeziehung des Arbeitgebers in den Adressatenkreis des § 88 TKG ist - gerade im Hinblick auf die strafrechtlichen Konsequenzen (§ 206 StGB) - nicht ausreichend durchdacht worden (vgl. Barton, CR 2003, 839 (843)).
Literaturhinweis: Zur Bewegung in diesem Meinungsstreit siehe in Plath (Hrsg.), BDSG, 1. Aufl., Köln (Verlag Dr. Otto Schmidt) 2013:
- Stamer/Kuhnke in Plath, BDSG, § 32 Rz. 96 sehen, dass "überwiegend der Standpunkt vertreten" wird, dass der Arbeitgeber geschäftsmßig TK-Dienstleistungen anbiete. Erkennen aber eine "immer mehr Anhänger" findende Gegenansicht in der Literatur (Stamer/Kuhnke in Plath, BDSG, § 32 Rz. 99)
- Jenny in Plath, BDSG, § 88 TKG Rz. 15 lehnt derartige "neuere Stimmen in der Literatur" unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der Norm ab.