26.03.2013

Wann dürfen allgemein anerkannte Regeln der Technik verletzt werden?

Portrait von Oliver Stiemerling
Oliver Stiemerling Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Systeme und Anwendungen der Informationsverarbeitung

In einem aktuellen Urteil (BGH, Urteil vom 7. März 2013 - VII ZR 134/12, wie fast immer aus dem Bereich Baurecht …) hat sich der BGH sehr differenziert und praxisrelevant zur Bedeutung von und zum Umgang mit den sogenannten „allgemein anerkannten Regeln der Technik“ auseinandergesetzt. Insbesondere ergeben sich direkte Konsequenzen und Anforderungen für die Erstellung von technischen Leistungsbeschreibungen.

Bei dem konkreten Fall ging es um die Standsicherheit einer Treppe aus 40 mm dicken Holzplatten, wobei eine allgemeine Regel der Technik anscheinend vorsieht, dass die verwendeten Holzplatten eine Dicke von 50 mm haben müssen. Der leistende Unternehmer muss üblicherweise bei Unterschreiten dieser Dicke als Teil des Werks einen Standsicherheitsnachweis (für die Treppe) beibringen. Dies war nicht geschehen.

Allgemein anerkannte Regeln der Technik als üblicher Mindeststandard

Zunächst und wenig überraschend bestätigt der BGH, dass die allgemein anerkannten Regeln der Technik üblicherweise immer als Mindeststandard heranzuziehen sind, auch wenn sie nicht explizit im Vertrag erwähnt werden:

Üblicherweise verspricht der Unternehmer stillschweigend bei Vertragsschluss die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik.“ (siehe BGH, Urt. v. 7.3.2013 - VII ZR 134/12, Rdnr. 9 )

Die weiteren Aussagen sind – zumindest aus der technisch-kommerziellen Sicht des Autors – sehr kundenfreundlich und müssen bei der Gestaltung von technischen Leistungsbeschreibungen in Verträgen aus Sicht eines Dienstleisters unbedingt Beachtung finden:

  • Verletzung von allgemeinen Regeln der Technik erfordert positiven Gebrauchstauglichkeitsnachweis

Der Unternehmer im vorliegenden Fall argumentierte, dass überhaupt nicht nachgewiesen sei, dass die Standsicherheit der Treppe nicht gegeben ist. Dieser Argumentationslinie folgt der BGH jedoch nicht:

Es ist gerade typisch, dass allgemein anerkannte Regeln der Technik dazu dienen, mit der notwendigen Gewissheit sicherzustellen, dass bestimmte Eigenschaften des Werkes erreicht werden.“ (siehe BGH, Urt. v. 7.3.2013 - VII ZR 134/12, Rdnr. 12)

Es kommt für die Frage, ob die Regeln verletzt sind, nicht darauf an, ob die Eigenschaften möglicherweise auf anderem Wege erreicht werden, und deshalb die Nichteinhaltung der Regeln im Einzelfall keine weiteren nachteiligen Folgen hat. Das ändert nichts daran, dass die stillschweigend vereinbarte Beschaffenheit der Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln nicht erfüllt ist.“ (siehe BGH, Urt. v. 7.3.2013 - VII ZR 134/12, Rdnr. 12)

Falls also eine allgemein anerkannte Regel der Technik verletzt ist, so folgt aus dem Urteil, dass der leistende Unternehmer schon bei der Lieferung nachweisen muss, dass die mit der Regel angestrebte Eigenschaft (hier: Standfestigkeit der Holztreppe) doch erreicht wurde bzw. wird. Liegt dieser Nachweis nicht vor, so kann das Werk als mangelhaft gelten. Diesen Umstand muss ein liefernder Unternehmer unbedingt beachten, da er anscheinend später nicht mehr mit der doch vorhandenen (aber für den Kunden bei Lieferung nicht klar erkennbaren) Gebrauchstauglichkeit argumentieren kann.

  • Selbst eine explizit vereinbarte Beschaffenheit darf den Mindeststandard ohne expliziten Hinweis nicht unterschreiten

Interessant ist zudem, dass laut BGH das Werk selbst dann als mangelhaft gelten kann, wenn eine bestimmte Beschaffenheit sogar explizit vereinbart (und erreicht) wurde, deren Abweichung von den allgemein anerkannten Regeln aber für den fachunkundigen Besteller nicht deutlich gemacht wurde:

Eine solche [explizite] Vereinbarung [der Beschaffenheit] kann nicht dahin ausgelegt werden, dass von einem üblicherweise zu erwartenden Mindeststandard abgewichen werden soll, wenn auf eine solche Bedeutung nicht ausdrücklich hingewiesen wird oder der Besteller dies aus anderen Gründen, etwa einer entsprechenden Fachkunde, weiß.“ (siehe BGH, Urt. v. 7.3.2013 - VII ZR 134/12, Rdnr. 15)

Diese Ausnahme zur strengen Bevorzugung von expliziten Beschaffenheitsvereinbarungen ist bei der Erstellung von technischen Leistungsbeschreibungen unbedingt zu beachten. Wird also eine allgemein anerkannte Norm verletzt, so muss in der Leistungsbeschreibung unbedingt klar verständlich auf diese Verletzung hingewiesen werden.

Übertragbarkeit der Aussagen auf Informationstechnologie und Konsequenzen

Auf den ersten Blick gibt es keinen Grund, warum die Hinweise des BGH in diesem Fall nicht auch auf den Bereich der Informationstechnologie übertragbar wären.

Das Problem besteht eher darin, dass es in dem schnelllebigen Feld der Informationstechnologie nicht so viele, über Jahre hinweg allgemein anerkannte Regeln der Technik wie in der Bauindustrie gibt. Zudem sind viele der qualitätsorientierten IT-Standards und –Normen (z.B. ISO 25000) im Ergebnis auch nicht einfach quantifizierbar, so dass eine Verletzung der Regeln nicht immer so eindeutig ist wie im vorliegenden Fall (40 mm ist unbestreitbar weniger als 50 mm).

Trotzdem sollten Gestalter von IT-Leistungsbeschreibungen im Zweifelsfall auf ausdrücklich auf die Nichtbeachtung von Normen hinweisen und die Gebrauchstauglichkeit trotz Regelverletzung dann ggf. rechtzeitig nachweisen.

 

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