Wird der EuGH in der Rechtssache C-40/17 tatsächlich über die „Sperrwirkung“ der DSGVO gegenüber Rechtsbehelfen aus dem UWG entscheiden?
Der geschätzte Kollege Haerting vermutet, ausweislich des von ihm geschriebenen und an dieser Stelle am 18.10.2018 erschienen Artikels, dass eben dies der Fall sein wird. Neben dem Kollegen Haerting warten auch die Kollegen Loeffel Abrar auf die für den 19.12.2018 angekündigten Schlussanträge des Generalanwalts sowie die entsprechend folgende Entscheidung des EuGH und hoffen auf ein klärendes Wort.
Der Wunsch nach einer solchen Klärung ist verständlich. Ist doch die Frage, ob Verstöße gegen Datenschutznormen von Mitbewerbern mittels wettbewerbsrechtlicher Abmahnungen angegriffen werden können, eine, die Juristen aus dem Bereich des Wettbewerbs- und Datenschutzrechts schon zu Zeiten des BDSG-alt und im Hinblick auf § 13 TMG umtrieb. Hier stellte sich insbesondere die Frage, ob die Datenschutznormen denn auch Marktverhaltensnormen im Sinne des § 3a UWG darstellen können. Die besseren Argumente sprachen stets dafür, die Rechtsprechung verhielt sich allerdings divers. Während das KG Berlin (Az. 5 W 88/11) und das OLG München (Az. 29 U 3926/11) keine Marktverhaltensregeln erkennen wollten, entschieden etwa das OLG Hamburg (Az. 3 U 26/12) wie das OLG Köln (Az. 6 U 121/15) eben dafür. Eine höchstrichterliche Entscheidung erging hierzu nicht.
Mit der DSGVO ist dieser Diskurs neu entbrannt. Diesmal jedoch nicht nur hinsichtlich der Frage, ob § 3a UWG eine Marktverhaltensnorm darstellt. Vielmehr wird nun – maßgeblich in Form der renommierten wettbewerbsrechtlichen Stimme Köhlers (WRP 2018, 1269) – postuliert, dass die DSVGO eine abschließende Regelung sei und damit die Anwendung wettbewerbsrechtlicher Rechtsbehelfe gesperrt sei.
Die Rechtsprechung ist uneins im Hinblick auf eine Sperrwirkung der DSGVO
Die Rechtsprechung ist sich wieder uneins. Von den sechs Gerichten, die bislang Entscheidungen treffen mussten, haben sich zwei Landgerichte der Argumentation Köhlers angeschlossen (LG Bochum, Az. I 12 O 85-18; LG Wiesbaden, 5 O 214/18), während drei Landgerichte und ein Oberlandesgericht eine Sperrwirkung nicht erkennen konnten. Hierbei ist allerdings anzumerken, dass es sich bei zwei dieser Entscheidungen um Beschlüsse ohne weitere Entscheidungsgründe handelt (LG Frankfurt/Main, Az. 2-06 O 349/18; LG Hamburg, Az. 327 O 332/18). Das LG Würzburg (11 O 1741/18) sah derart offensichtlich keine Sperrwirkung, dass es dazu noch nicht einmal ein Wort verlor. Einzig das OLG Hamburg (Az. 3 U 66/17) setzt sich dezidiert mit der Frage einer abschließenden Regelung durch die DSGVO auseinander und kommt zu dem Ergebnis, dass eine solche nicht gegeben sei.
Der derzeitige Stand von 4:2 binnen der Rechtsprechung könnte als Absage gegen die Theorie der Sperrwirkung von Köhler gelesen werden. Das ist aus hiesiger Sicht begrüßenswert. Selbstverständlich kann jedoch nicht von einer gefestigten Rechtsprechung die Rede sein. Umso begrüßenswerter wäre eine entsprechende, schnelle Klarstellung seitens des EuGH.
Wieso kann der EuGH denn jetzt schon über eine Sperrwirkung der DSGVO entscheiden?
Das kann der EuGH selbstverständlich nicht. Es liegt noch kein Verfahren beim EuGH, das unmittelbar Normen der DSGVO zum Gegenstand hätte. Aber auf die Idee, dass von datenschutzrechtliche Normen eine Sperrwirkung gegenüber anderen Rechtsbehelfen ausgehen könnte, kamen auch die Vertreter der ID Fashion GmbH & Co KG in der Rechtssache C-40/17. Wohl aufgrund dessen erhoffen sich einige Kollegen eine Klärung des EuGH nun auch im Hinblick auf die mögliche Sperrwirkung der DSGVO gegenüber dem UWG.
Doch sehen wir uns den vorliegenden Sachverhalt einmal etwas genauer an.
Die Rechtssache C-40/17 - Verbraucherzentrale NRW ./. Fashion ID GmbH & Co. KG
Im Jahr 2016 war auf dem Online-Shop der Fashion ID GmbH & Co KG ein Facebook-Like-Button dergestalt implementiert, dass dieser – gleich ob ein Verbraucher auf diesen klickte oder nicht – Daten an Facebook übersandte. Darüber hinaus fanden sich zur Einbindung des Like-Buttons keine (hinreichenden) Informationen in der Datenschutzerklärung.
Diesen Umstand griff die Verbraucherzentrale NRW mit einer Abmahnung auf Grundlage von § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG, § 4 Nr. 11 UWG (alt) iVm §§ 12, 13 TMG an und erwirkte letztlich vor dem LG Düsseldorf (Az. 12 O 151/15) ein Urteil, wonach der Online-Shop die Einbindung dieses Like-Buttons ohne eine hinreichende Aufklärung zu unterlassen habe. Das LG Düsseldorf sah in § 13 TMG eine Marktverhaltensnorm.
Hiergegen wendete sich die Beklagte/nun Berufungsklägerin vor dem OLG Düsseldorf mit der Begründung, dass die Klägerin/nun Berufungsbeklagte gar nicht klagebefugt gewesen sei:
Ein solches Verständnis stehe nicht in Einklang mit der Richtlinie 95/46/EG, die in Art. 22 bis 24 nur ein Vorgehen der Datenschutzbehörden und der Betroffenen vorsehe. Eine Verbandsklage sei dort nicht vorgesehen. Die Richtlinie stelle auch insoweit eine abschließende Regelung dar. Insbesondere die Unabhängigkeit der Datenschutzbehörden stehe einer Verbandsklage entgegen. Aus diesem Grunde komme eine Klagebefugnis auch nicht nach § 2 Abs. 2 Nr. 11 des Unterlassungsklagegesetzes in Betracht, da dieser als nicht richtlinienkonform unanwendbar sei. Träfe dies zu, hätte die Berufung der Beklagten schon deshalb Erfolg, weil der Kläger zur Verfolgung der streitgegenständlichen Ansprüche nicht berechtigt wäre. (Zitiert aus dem Vorlagebeschluss des OLG Düsseldorf, Az. I-20 U 40/16)
Ergo, die Berufungsklägerin will diesbezüglich auch schon in der EU-Datenschutzrichtlinie eine abschließende Regelung und damit eine Sperrwirkung gegenüber Verbandsklagen, wie hier von der Verbraucherzentrale NRW geführt, sehen.
Demgegenüber kann zum einen eingewendet werden, dass nach Art. 24 der EU Datenschutzrichtlinie die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen zu ergriffen hatten, um die volle Anwendung der Richtlinie sicherzustellen und dass hierzu natürlich auch Verbandsklagen im Interesse von Verbrauchern gehören können. Zum anderen sieht die DSGVO, die nunmehr an Stelle der Datenschutz-Richtlinie Geltung erlangt hat, explizit mit Art. 80 Abs. 2 DSGVO die Möglichkeit von derartigen Verbandsklagen vor. Das spricht nicht dafür, dass der EU-Gesetzgeber eben dies schon im Rahmen der EU-Richtlinie nicht ausschließen wollte.
Das OLG Düsseldorf sah das Ergebnis dieser – und weiterer Fragen – aber nicht als eindeutig an und legte deshalb unter anderem die folgende Frage zur Vorabentscheidung dem EuGH vor (s. Vorlagebeschluss des OLG Düsseldorf, Az. I-20 U 40/16):
"Steht die Regelung in Artikeln 22, 23 und 24 der Richtlinie 95/46/EG zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr vom 24. Oktober 19951 einer nationalen Regelung entgegen, die neben den Eingriffsbefugnissen der Datenschutzbehörden und den Rechtsbehelfsmöglichkeiten des Betroffenen gemeinnützigen Verbänden zur Wahrung der Interessen der Verbraucher die Befugnis einräumt, im Falle von Verletzungen gegen den Verletzer vorzugehen?"
Warum sollte der EuGH in diesem Fall etwas zur Sperrwirkung der DSGVO gegenüber Rechtsbehelfen des UWG für Mitbewerber sagen?
Nun, das erschließt sich eben nicht so recht. Die Vorlagefrage Nr. 1 erstreckt sich ausschließlich auf eine etwaige ausschließende Wirkung der EU-Datenschutzrichtlinie im Hinblick auf die Klagebefugnis von Klageverbände. Das heißt selbst wenn der EuGH entscheiden sollte, dass dies der Fall gewesen wäre und dass damit auch § 2 Abs. 1 Nr. UKlG europarechtswidrig gewesen wäre, so wäre dies schlicht nur eine Entscheidung bezüglich der Vergangenheit. Denn in Art. 80 Abs. 2 DSGVO ist die Klagebefugnis von Verbänden nun mehr eindeutig geregelt.
Auch die anderen Vorlagenfragen, die der Beschluss enthält, stellen nicht die Anwendung des UWG in Frage. In Folge dessen ist nicht ersichtlich, wie es im Rahmen dieser Entscheidung zu einer Aussage bezüglich der Sperrwirkung der DSGVO im Hinblick auf das UWG kommen sollte.
Vermutlich wird hier von den Kollegen an ein obiter dictum gedacht. Hierbei handelt es sich um etwas „nebenbei Gesagtes“, zu dem sich die Gelegenheit ergeben muss. Eine solche Gelegenheit ist vorliegend kaum zu erkennen.
Eher keine Klarstellung des EuGH im Hinblick auf die Sperrwirkung der DSGVO gegenüber dem UWG zu erwarten
Infolgedessen fällt meine Prognose denn auch anders aus als die des Kollegen Härting: Eine Klarstellung hinsichtlich der Sperrwirkung der DSGVO gegenüber Rechtsbehelfen aus dem UWG im Köhlerschen Sinne wird mit der EuGH-Entscheidung C-40/17 eher nicht erfolgen.
Wer Recht hat? Nun, das werden wir sehen.
Intensive Auseinandersetzung mit der Argumentation Köhlers bleibt notwendig
Die bislang ergangenen sechs Entscheidungen zur Frage, ob die DSGVO die Anwendung von wettbewerbsrechtlichen Rechtbehelfen sperrt, sowie die rege geführten Diskussion unter Kollegen (etwa hier auf Twitter) und Veröffentlichungen (vgl. etwa Aßhoff, CR 2018, 720; Laoutoumai/Hoppe, K&R 2018, 533; Schreiber, GRUR-Prax 2018, 371; Wolff, ZD 2018, 248) zeigen die hohe Praxisrelevanz des Themas auf.
Dabei ist – aus den hier genannten Gründen – mit einer schnellen, klärenden Rechtsprechung eher nicht zu rechnen. In Folge dessen bleibt eine intensive Auseinandersetzung mit der Auffassung, es wohne der DSGVO eine Sperrwirkung gegenüber dem UWG inne, notwendig.
Dies insbesondere deswegen, da die von Köhler vorgetragenen Argumente zu einer abschließenden Regelungen der DSGVO und einer entsprechenden Sperrwirkung gegenüber dem UWG nicht tragen.
Warum die Argumente Köhlers nicht durchgreifen, ist in dem in der CR erschienenen Beitrag (online only)
Die DSGVO entfaltet keine Sperrwirkung gegenüber den Rechtsbehelfen aus dem UWG
Eine Replik auf Köhler (WRP 11/2018, S. 1269 ff.)
im Einzelnen nachzulesen.
In diesem Sinne,
ich freue mich, wenn Sie dies tun mögen.