Angehörigen-Entlastungsgesetz passiert Bundesrat
Im Koalitionsvertrag hatten die Regierungsparteien verabredet, von einem Rückgriff gegenüber Kindern von pflegebedürftigen Eltern bis zu einem Einkommen von 100.000 Euro abzusehen. Der erst im Sommer vorgelegte Gesetzesentwurf ist über dieses Ziel weit hinaus gegangen und erweitert den Regressausschluss auf alle Leistungen des SGB XII. Dass die Neuregelung zudem noch (ausgenommen sind nur die Hilfen zum Lebensunterhalt für minderjährige Kinder) alle Ansprüche auf Kindesunterhalt einschließt, ist besonders bemerkenswert. Die parlamentarische Beratung dauerte kaum mehr als zwei Monate. In dieser Zeit gab es in der Sache kaum einen Widerspruch. Dass das Anfang November mit großer Mehrheit angenommene Gesetz auch die Zustimmung des Bundesrates finden würde, war gleichwohl nicht sicher. Zwar hatte der Sozialausschuss die Zustimmung empfohlen, der Finanzausschuss sich hingegen für eine Anrufung des Vermittlungsausschusses ausgesprochen. Dies ist aufgrund der absehbaren Mehrbelastungen für die Landes- und Kommunalhaushalte verständlich. Umso erleichterter können die von der Neuregelung unmittelbar Betroffenen sein, dass der Bundesrat auf ein Vermittlungsverfahren verzichtet und mit einer Entschließung nur eine nochmalige Prüfung der allzu optimistischen Folgenabschätzung eingefordert hat.
In der Öffentlichkeit werden die praktischen Konsequenzen des Gesetzes vor allem unter dem Aspekt des Unterhalts für pflegebedürftige Eltern wahrgenommen (lesen Sie dazu den Blog-Beitrag von Rechtsanwalt Jörn Hauß). Es beseitigt endlich einen Wertungswiderspruch zwischen den Leistungen der sozialen Grundsicherung und den im Pflegefall erbrachten Hilfen, der den Betroffenen kaum zu vermitteln und bereits Gegenstand eines Petitionsverfahrens war. Seine Folgen reichen jedoch sehr viel weiter, da es vor allem auch die Eltern behinderter Kinder von zusätzlichen Verpflichtungen entlasten will. Das Gesetz verlagert ganz bewusst die finanzielle Verantwortung für Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderung auf die staatliche Solidargemeinschaft. Obwohl sich am Wortlaut des § 2 SGB XII nichts ändert, gilt das Dogma vom Nachrang der Sozialhilfe künftig nicht mehr. Die angestrebte Entlastung von finanzieller Verantwortung erleichtert die Fortführung der in den Wechselfällen des Lebens aus persönlicher Verbundenheit praktizierten familiären Solidarität, ohne sie als rein finanzielle Leistung auch dann noch zu erzwingen, wenn vom Familienverband nicht mehr geblieben ist, als eine inhaltsleere Hülle.
Welche weiteren Folgen eine so umfassende Umgestaltung des traditionellen Hilferechts auslösen wird, lässt sich noch nicht übersehen. Die unmittelbaren Auswirkungen für die vom Elternunterhalt bereits jetzt betroffenen Kinder liegen aber schon jetzt auf der Hand:
Liegt der Gesamtbetrag der Einkünfte unter 100.000 Euro, gehen die nach dem SGB XII erbrachten Sozialleistungen vom 1. Januar 2020 an nicht mehr auf den Leistungsträger über, während es bis zu diesem Zeitpunkt bei der bisherigen Rechtslage verbleibt. Zu beachten ist zudem, dass es künftig allein auf die Einkommensverhältnisse des unterhaltspflichtigen Kindes ankommt. Eigenes Vermögen und Einkommen des Ehegatten haben auf den Anspruchsübergang keinen Einfluss. Besteht bereits ein Titel über den laufenden Unterhalt, sollte der Leistungsträger zu einem Verzicht auf die Rechte aus diesem Titel aufgefordert werden.
Auch für die rund 5 % der Bevölkerung, die ein über dem Grenzbetrag liegendes Einkommen erreichen, wird sich einiges ändern – die bisherigen Maßstäbe des Unterhaltsrechts sind Makulatur. Denn der Zweck des Gesetzes, Familien wirksam zu entlasten und den Familienfrieden zu wahren, darf nicht dadurch in sein Gegenteil verkehrt werden, dass bei einem nur geringfügig höheren Einkommen ein geringerer Betrag für die eigene Lebensführung verbleibt, als einem Pflichtigen mit geringerem Einkommen zugestanden wird. Das Gesetz legt einen Bruttobetrag zugrunde, aus dem sehr unterschiedliche Nettoeinkommen folgen können. Der angemessene Eigenbedarf für einen Alleinstehenden dürfte jedoch nicht unter 4.500 Euro sinken – allerdings ohne dessen Verwendung im Regelfall zu überprüfen. Dies erspart die vielfach als unwürdig und unangebracht empfundene Kontrolle und Bewertung der Lebensführung des Unterhaltspflichtigen. Überlegungen, ob der Aufwand für das Auto zu hoch ausfällt, die Kosten einer Implantatversorgung noch angemessen sind oder die Haltung eines Reitpferds bereits den Luxusaufwendungen zuzurechnen sei, sollten daher der Vergangenheit angehören.
Wie sich die Rechtsprechung zu den wenigen verbliebenen Fällen des Elternunterhalts verhalten wird, lässt sich unter diesen weitreichenden Veränderungen nicht vorhersagen. Sicher ist aber, dass solche Veränderungen nicht in der Düsseldorfer Tabelle für 2020 berücksichtigt werden konnten und die Gesetzesänderungen im Angehörigen-Entlastungsgesetz die dort genannten Beträge überholt hat.