Die neue Düsseldorfer Tabelle
Kerzenbeleuchtung und eröffnende Weihnachtsmärkte signalisieren den Familienrechtlern die Ankunft einer neuen Düsseldorfer Tabelle. Und jahreszeitlich angepasst stellt sich die Frage: Gibt’s mehr als im letzten Jahr? Weil sich die Mindestbedarfssätze erhöht haben gibt‘s angemessen mehr. Sonst noch was? Ja: Eine einheitliche Tabelle für das ganze Bundesgebiet. Das ist zwar wie gewohnt, aber weder gewöhnlich noch selbstverständlich. Wer Juristen kennt, weiß, dass es für Oberlandesgerichte ungewöhnlich ist, sich bundesweit darauf verständigen, was „angemessener Unterhalt“ i.S. von § 1610 Abs. 1 BGB und wie die die prozentuale Stufung bei der Geltendmachung des Unterhalts ist. Die durch unterschiedlich hohe Wohn- und Transportkosten gekennzeichneten Lebensverhältnisse zwischen Rhein und Oder, Alpen und Ostsee gieren geradezu nach regionaler Differenzierung. Dass die Einheitlichkeit der Tabelle trotz des dogmatischen Streits um die Abflachung (oder gar Aufgabe) der 4. Altersstufe[1] gewahrt worden ist, ist eine Leistung, die nicht hoch genug geschätzt werden kann. Es ist eben von Vorteil, dass jeder Bürger anhand der Tabelle und ihrer Anmerkungen schnell und einfach die Dimension der von ihm geschuldeten Unterhaltszahlung ermitteln kann.
Gerade das ist aber auch ein Problem. Die Tabelle ist eine Empfehlung eines nicht vom Gesetz- oder Verordnungsgeber legitimierten Gremiums. Wenn diese Empfehlungen jedoch auf so breite Akzeptanz in der familienrechtlichen Praxis und der Gesellschaft stoßen, dass man eine gesetzesgleiche Wirkung erkennt, zeugt das von Qualität. Das darf aber nicht dazu führen, die Tabelle ‚gnaden- und gedankenlos‘ anzuwenden. Trotz der Tabelle gilt der Vorrang des Gesetzes, der die Familienrechtler dazu verpflichtet, den ‚angemessenen Unterhalt‘ für den konkreten Einzelfall zu ermitteln. Dazu bedarf es mehr, als das Einkommen und den Bedarf anhand der Einkommensstufe, des Alters der Kinder und der Anzahl der Unterhaltsberechtigten zu ermitteln. Wäre es so einfach, bedürfte es zur Festsetzung des Unterhalts keiner juristischen Qualifikation. EDV-Bedienungskompetenz würde ausreichen. Die fallbezogenen Wohn- und Lebenshaltungskosten der beteiligten Eltern sind ebenso zu ermitteln und berücksichtigen, wie deren durch Betreuung des Kindes im Rahmen des Umgangsrechts entstehenden Fahrt-, Wohn- und sonstigen Bespaßungskosten. Was für die unterhaltspflichtigen Eltern recht ist, gilt umso mehr für die individuelle Berücksichtigung der Bedarfslage der Kinder einschließlich der Sonder- und Mehrbedarfe. Dazu gehören auch die ‚Kosten des Wohnens‘ für ein Kind. Diese sind mit ca. 20% in den Bedarfssätzen der Düsseldorfer Tabelle enthalten. Das kann in Ballungsgebieten deutlich zu wenig sein. Mehr setzt aber auch Leistungsfähigkeit der unterhaltspflichtigen Person voraus. Eine Angemessenheitsprüfung muss also immer beides im Blick haben: Bedarf der unterhaltberechtigten und der unterhaltspflichtigen Person. In der Praxis wird man bei Geltendmachung der Bedarfssätze der Düsseldorfer Tabelle wenig oder gar nichts zu erläutern haben. Wer davon nach oben oder unten abweichen will, hat dafür die Darlegungslast. Ob die Selbstbehalte der Unterhaltspflichtigen noch angemessen sind, ist zu bezweifeln. Seit 2015 sind die Lebenshaltungskosten um ca. 6 % gestiegen, die Bedarfssätze der Kinder um ca. 8 %. Die Selbstbehaltssätze der unterhaltspflichtigen Personen sind aber nicht angehoben worden. Gerade in den niedrigen Einkommensgruppen stellt das ein Problem dar, das zu unangemessen niedrigen Selbstbehalten führen kann und wird, wenn sich die OLG nicht bald zu einer Korrektur entschließen. Gut, dass man Mehr- und Sonderbedarf nicht nur bei der unterhaltsberechtigten Person berücksichtigen kann, sondern auch bei der unterhaltspflichtigen. Die im Selbstbehalt von 1.080 € enthaltenen 380 € für die ‚Kosten des Wohnens‘ (Warmmiete) werden in Bonn, Frankfurt, Hamburg, München, Münster, Mainz, Köln, Düsseldorf ... als schlechter Scherz angesehen werden. Es liegt an der Anwaltschaft, von der Anmerkung A 5 der Düsseldorfer Tabelle Gebrauch zu machen und auch den Bedarf der unterhaltspflichtigen Person angemessen zu berücksichtigen. Im Koalitionsvertrag der Regierung ist ein Prüfauftrag formuliert, die Bedarfssätze stärker gesetzlich zu verankern. Wer glaubt, dadurch würde das Problem der Angemessenheitskontrolle von Bedarf und Bedürftigkeit einer gerechteren Einzelfalllösung zugeführt, dürfte auch an den Weihnachtsmann glauben, womit wir schließlich wieder beim Advent wären. Und auch hier schlägt der Klimawandel zu. Der nächste ‚Advent‘ der Düsseldorfer Tabelle findet bei Temperaturen um die 22 Grad statt: Zum 1.7.2019 macht die Kindergeldänderung zwar nicht eine neue Tabelle, aber eine neue Kindergeldverrechnung erforderlich, die wir aber vorausschauend schon einmal verarbeitet haben:
[1] Vgl. nur die Beiträge Schürmann, FamRB 2018, 32; Vossenkämper, FamRB 2018, 39; Schwamb, FamRB 2018, 67; Schürmann, FamRB 2018, 85; Wohlgemuth, FamRZ 2018, 405; Borth, FamRZ 2018, 407.