Elternwunsch gleich Kindeswohl? Vegane Ernährung eines Kleinkindes (OLG Frankfurt v. 4.2.2016 – 4 UF 274/15)
Kindschaftsverfahren werden regelmäßig hochemotional geführt. Häufig haben die beteiligten Eltern eine schmerzhafte Trennung hinter sich und sehen sich sodann auch noch mit der Auseinandersetzung zu der Frage konfrontiert, im Haushalt welchen Elternteils künftig das oder die gemeinsamen Kinder leben werden. Nicht immer gelingt es den Eltern, emotionale Betroffenheit auszuklammern und ihr Verhalten konsequent darauf zu richten, was aus objektiver Sicht dem Kindeswohl am besten entspricht. Bestimmte Haltungen zum Erziehungsstil oder der allgemeinen Lebensführung werden nicht selten in einer intakten Beziehung gerade nur wegen dieser Beziehung mitgetragen, so dass deren Ende häufig auch das Ende der Akzeptanz der Erziehungsvorstellungen des anderen Elternteils ist.
Die damit einhergehende Problematik potenziert sich, wenn ein Elternteil zu Fragen der Ernährung oder der Gesundheitsfürsorge im Allgemeinen Vorstellungen verfolgt, die bei objektiver Betrachtung Risiken für ein ihm anvertrautes Kind befürchten lassen. Mit einem entsprechenden Sachverhalt hat sich das OLG Frankfurt in einer aktuellen Entscheidung auseinander gesetzt, in der es um die Frage der elterlichen Sorge ging vor dem Hintergrund einer streng veganen Ernährung eines Kleinkindes, die letztlich zu wiederholten kinderärztlichen Gefährdungsmeldungen u.a. wegen Wachstumsverzögerungen führte, bzw. einem Erziehungskonzept ohne erzieherische Vorgaben, sondern allein orientiert an den natürlichen Bedürfnisvorgaben des Kindes. In dieser Situation begehrte der Kindesvater, in dessen Obhut sich zum Zeitpunkt der Trennung das zweijährige Kind befand, das Recht der Gesundheitsfürsorge sowie das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Gegenläufig verfolgte die Mutter mit ihrem Antrag die alleinige elterliche Sorge in ihrer Gesamtheit.
Die rechtliche Situation stellt sich so dar, dass bei bestehender gemeinsamer elterlicher Sorge und nicht nur vorübergehender Trennung der Eltern die Übertragung von Teilbereichen der elterlichen Sorge oder deren Übertragung in ihrer Gesamtheit gem. § 1671 Abs. 1 Nr. 2 BGB geltend gemacht werden kann. Steht bei nicht verheirateten Elternteilen die elterliche Sorge der Mutter nach § 1626a Abs. 3 BGB zu, so eröffnet § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB dem Vater die Möglichkeit zur Erlangung der alleinigen Sorge. In beiden Konstellationen bedarf es einer sog. großen Kindeswohlprüfung.
Im ersten Schritt erfolgt die Prüfung, ob die Aufhebung oder Nichtherstellung der gemeinsamen Sorge im Interesse des Kindes liegt, wobei nach geltender höchstrichterlicher Rechtsprechung es bezüglich der gemeinsamen Sorge keinen Vorrang gegenüber der Alleinsorge gibt. Entscheidend ist vielmehr, ob zwischen den Eltern eine tragfähige soziale Beziehung besteht, die ihnen die gemeinsame Ausübung der elterlichen Verantwortung ermöglicht. Es bedarf daher einer objektiven Kooperationsfähigkeit und einer subjektiven Kooperationswilligkeit, um im Interesse des Kindes regelungsbedürftige Fragen gemeinsam zu entscheiden.
Kann eine solche tragfähige Beziehung nicht festgestellt werden, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge gerade auf den antragstellenden Elternteil sich als die dem Kindeswohl beste Entscheidung darstellt. Der unbestimmte Begriff des Kindeswohls wird dabei von mehreren Kriterien näher präzisiert. Ein wesentlicher Aspekt ist der Kontinuitätsgrundsatz, d.h. die Frage, welcher Elternteil auch künftig eine möglichst einheitliche, stabile und gleichmäßige Erziehung und Betreuung des Kindes wird gewährleisten können. Ebenso bedeutsam ist der Förderungsgrundsatz, d.h. inwieweit ein Elternteil aufgrund eigener pädagogischer Kompetenz dem Kind in seiner weiteren Entwicklung die notwendige Sicherheit und Orientierung geben kann. Hierbei spielt es eine Rolle, ob dieser Elternteil ein tragfähiges Erziehungskonzept hat, er als Betreuungsperson stabil und verlässlich ist und letztlich ihm auch eine Bindungstoleranz attestiert werden kann. Gerade der Bindungstoleranz kommt eine wesentliche Bedeutung zu, d.h. der Fähigkeit eines Elternteils, spannungsfreie Kontakte des Kindes mit dem jeweils anderen Elternteil nicht nur zuzulassen, sondern in eigener Person auch zu fördern. Ebenso bedeutsam sind die Bindungen des Kindes sowohl zu seinen Eltern als auch zu Geschwistern oder engen Bezugspersonen des sozialen Umfeldes. Letztlich darf auch der Kindeswille nicht außer Betracht bleiben, der mit zunehmendem Alter des Kindes auch Ausdruck einer sich verstärkenden Selbstbestimmung ist. Die vorab dargestellten Kriterien stehen nicht kumulativ nebeneinander. Sie sind jeweils einzelfallbezogen mit entsprechender Gewichtung zu prüfen, um die dem Kindeswohl am besten entsprechende Regelung zu finden.
Im Fall des OLG Frankfurt hatte das Familiengericht dem Vater unter Zurückweisung des Antrags der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Gesundheitssorge zur alleinigen Ausübung übertragen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Mutter blieb vor dem OLG ohne Erfolg, da die Bereitschaft, eigene Ernährungs- und Erziehungsvorstellungen den Bedürfnissen des Kindes anzupassen, bei der Mutter nicht vorhanden sei.
In der Praxisberatung sollte darauf geachtet werden, dass im Mittelpunkt jeder zu treffenden Entscheidung das Kindeswohl steht. Dieses muss nicht immer deckungsgleich sein mit den Wünschen und Vorstellungen eines Elternteils. Zu Beginn jeder Mandatierung sollte immer die umfassende Erörterung stehen, worauf sich das eigentliche Interesse eines Elternteils richtet. Dies muss nicht immer zwingend die formale Position einer Sorgerechtsinhaberschaft sein.