23.08.2024

Immobilienbewertung in der Zugewinnausgleichsberechnung - Verkehrswert = Marktwert?

Portrait von Dr. Susanne Sachs
Dr. Susanne Sachs Fachanwältin für Familienrecht, Fachanwältin für Erbrecht, Mediatorin

Angesichts der enormen Steigerung der auf dem Markt erzielten Kaufpreise für Immobilien stellt sich die Frage, ob die nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Bewertung von Renditeobjekten im Rahmen der Ermittlung von Zugewinnausgleichsansprüchen geeignete Ertragswertmethode noch zu zutreffenden Ergebnissen führt.

Unstreitig in Rechtsprechung und juristischer Literatur ist, dass der maßgebliche Wert für die Zugewinnausgleichsberechnung regelmäßig der Verkehrswert der Immobilie am Stichtag ist, wobei damit der am Markt für diese Immobilie an diesem Tag erzielbare Kaufpreis gemeint ist (siehe nur BeckOK/BGB, Stand 1.11.2023, § 1376 Rz. 4, m.w.N.). Die ImmoWertV verwendet die Begriffe Verkehrswert und Marktwert gar synonym.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Ertragswertmethode zur Wertermittlung des Verkehrswertes (= Marktwertes) von vermieteten Grundstücken geeignet (siehe nur BGH v. 13.7.1970 – VII ZR 189/68, juris Rz. 24 ff.; vgl. auch BGH v. 17.11.2010 – XII ZR 170/09, juris Rz. 45 ff.). Es mag auch einstmals richtig gewesen sein, dass der am wahrscheinlichsten zu erzielende Kaufpreis für eine Immobilie durch das Ertragswertverfahren regelmäßig realistisch abgebildet werden konnte, zumal das Hauptinteresse eines potenziellen Käufers in der Regel auf die zu erzielenden Erträge gerichtet war (so auch Budzikiewicz in Erman, 17. Aufl., § 1376 BGB Rz. 9 m.w.N.), diese Zeiten sind allerdings vorbei.

Personen mit ein wenig Erfahrung am Immobilienmarkt, die nicht juristisch vorgebildet sind, differenzieren zwischenzeitlich flächendeckend deutlich zwischen dem „Verkehrswert“ und dem „Marktwert“ einer Immobilie. Mit ersterem Begriff ist dabei der Wert gemeint, den ein Sachverständiger mithilfe der Ertragswertmethode ermittelt, mit letzterem Begriff der Wert, der tatsächlich (wahrscheinlich) am Markt erzielt werden kann. Der „Marktwert“ in diesem Sinne lag in den letzten 10 Jahren erfahrungsgemäß häufig äußerst deutlich über dem „Verkehrswert“ in diesem Sinne. Selbst eine Immobiliensachverständige, die im Rahmen eines Zugewinnausgleichsverfahren vor dem Amtsgericht Köln im Jahr 2023 zu ihrem Gutachten bzgl. einer Mietimmobilie befragt wurde, welches sie nach der Ertragswertmethode erstellt hatte, differenzierte deutlich zwischen Markt – und Verkehrswert:

„Dieser (der Kaufpreis) kann sich aber auch aus der angespannten Käufer- und Marksituation zu dieser Zeit ergeben. Es kann sein, dass hierdurch Immobilien deutlich über Verkehrswert veräußert werden.“

Und weiter:

„Wenn ich gefragt werde, ob die von mir beschriebene Sondersituation am Käufermarkt von mir berücksichtigt wurde bei der Bewertung der Immobilien, kann ich sagen, dass sich die Begutachtung immer an der Wirtschaftlichkeit orientieren muss. Dass es eine Kaufpreisentwicklung gegeben hat, ist unstreitig; insoweit ist der Antragstellerin Recht zu geben. Allerdings kann es auch gut sein, dass in einer angespannten Marktlage ein unwirtschaftlicher Preis gezahlt wird.“

Nun ist es nach der diesbezüglich eindeutigen Rechtsprechung und Literatur gerade nicht richtig, dass sich eine Begutachtung an der Wirtschaftlichkeit einer Immobilie zu orientieren hat, sondern ausschließlich daran, welcher Preis am Stichtag am wahrscheinlichsten am Markt hätte erzielt werden können – ob wirtschaftlich oder nicht. Dennoch halten die Sachverständigen – wohl aufgrund der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Geeignetheit dieser Methode – sklavisch an der Ertragswertmethode fest. Die Gerichte folgen häufig (nach meiner Erfahrung sogar immer) den Schätzungen der Sachverständigen, ohne die Geeignetheit der gewählten Methode in Frage zu stellen.

Der Erbrechtssenat des Bundesgerichtshofs räumt immerhin einem in zeitlichen Zusammenhang mit dem Stichtag (etwa fünf Jahre) erzielten Kaufpreis Vorrang gegenüber der Schätzung eines Sachverständigen im Rahmen der Immobilienbewertungen für die Pflichtteilsberechnung ein. Der Erbrechtssenat führt hierzu aus, es sei nicht zu rechtfertigen, die im Rahmen einer Bewertung relativ gesicherte Ebene tatsächlich erzielter Verkaufserlöse bei einer zeitnahen Veräußerung zugunsten bloßer Schätzungen zu verlassen (siehe nur BGH v. 25.11.2010 – IV ZR 124/09, FamRZ 2011, 214 = ZEV 2011, 29 = ZErb 2011, 83 = NJW 2011, 1004; BGH v. 14.10.1992 – IV ZR 211/91, NJW-RR 1993, 131; BGH v. 13.3.1991 – IV ZR 52/90, WM 1991, 1553, 1554 = NJW-RR 1991, 900). Der Familiensenat hat sich dieser Sichtweise bisher leider nicht angeschlossen, sich aber – soweit ersichtlich – auch noch nicht explizit gegenteilig geäußert.

Es bleibt zu hoffen, dass sich eines Tages auch für den Familiensenat die Gelegenheit ergeben wird, sich ausdrücklich zu der Frage zu positionieren, ob er die Ertragswertmethode angesichts der Entwicklung auf dem Immobilienmarkt nach wie vor für geeignet hält.

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