26.05.2021

Konsequenzen für die Praxis aus dem BVerfG-Urteil v. 26.5.2020 zu § 17 VersAusglG

Portrait von Caroline Braun und Walter Siede
Caroline Braun und Walter Siede

Fast ein Jahr ist es nun her, dass das BVerfG entschieden hat, dass § 17 VersAusglG verfassungskonform sei. Gleichzeitig hat das oberste deutsche Gericht eine verfassungskonforme Anwendung der Vorschrift durch die Familiengerichte angemahnt (BVerfG, Urt. v. 26.5.2020 – 1 BvL 5/18, BVerfGE 153, 358 = FamRZ 2020, 1078 = FamRB 2020, 261). Die Familiengerichte müssen vermeiden, dass durch die externe Teilung Transferverluste entstehen, durch die der ausgleichsberechtigte Ehegatte übermäßig belastet wird. Den kritischen Bereich sieht der Senat erreicht, wenn der ausgleichsberechtigte Ehegatte auch bei bestmöglicher Wahl der Zielversorgung eine Rente erhalten wird, die weniger als 90 % der bei interner Teilung zu erwartenden Versorgung beträgt. Doch wie soll man dies feststellen? – Eine Möglichkeit wäre, durch ergänzende Auskunft des Quellversorgungsträgers bzw. Sachverständigengutachten zu ermitteln, welche Versorgung die ausgleichsberechtigte Person bei interner Teilung zu erwarten hätte und diese mit der Versorgung zu vergleichen, die der gewählte bzw. bestmögliche Zielversorgungsträger in Aussicht stellt. Ein Berechnungstool, das diese Berechnung erleichtert, wurde durch Hauß/Glockner erstellt (zu finden auch auf der Homepage des FamRB: Erläuterungstext und Programm zur Adäquanzkontrolle). Hier stößt der Anwender aber schnell an seine Grenzen, wenn sich die Zusagen unterscheiden, etwa hinsichtlich Renteneintrittsalter, Leistungsspektrum oder Auszahlungsmodalitäten.

Eine andere Möglichkeit besteht darin, anhand der Rechenfaktoren, die der Quellversorgungsträger für die Umrechnung des Ausgleichswerts in eine Versorgung bei interner Teilung anwenden würde, den Barwert der Versorgung bei dem gewählten bzw. bestmöglichen Zielversorgungsträger unter Berücksichtigung der spezifischen Unterschiede dieser Versorgung (wie z.B. der Anwartschafts- und Leistungsdynamik) zu berechnen. Erreicht dieser mindestens 90 % des Ausgleichswerts, sind keine verfassungswidrigen Transferverluste zu erwarten. Diese Methode wendet auch die Deutsche Aktuarvereinigung an (Tabellen veröffentlicht unter https://aktuar.de/unsere-themen/fachgrundsaetze-oeffentlich/2021-01-10_Ergebnisbericht_Externe_Teilung.pdf). Sie ist auch Grundlage der Empfehlungen zur Umsetzung des Urteils des BVerfG durch die Familiengerichte in dem Aufsatz der Verfasser (Braun/Siede, FamRB 2021, 160 [Teil 1] und Braun/Siede, FamRB 2021, 216 [Teil 2]; es ist beabsichtigt, die Tabellen des Aufsatzes, die auch Besonderheiten, wie z.B. die externe Teilung für den Fall, dass die ausgleichsberechtigte Person eine Erwerbsminderungsrente bezieht, fortlaufend zu aktualisieren). Diese Methode hat der BGH in der Entscheidung vom 24.3.2021 – XII ZB 230/16 (s. dazu den Blogbeitrag von Hauß) nicht nur ausdrücklich gebilligt, sondern als geboten erachtet, wenn Quell- und Zielversorgung sich hinsichtlich Leistungsspektrum, Leistungsdynamik oder Dauer der Auszahlung erheblich unterscheiden (Rz. 52). Der Senat bestätigt den Vorteil des Vergleichs von Barwerten auch für den Fall, dass verfassungsrechtlich nicht hinzunehmende Transferverluste auftreten sollten: In diesem Fall reicht es aus, den Ausgleichswert so weit zu erhöhen, dass für den Ausgleichsberechtigten eine auskömmliche Versorgung generiert werden kann, einer komplizierten Anpassung des Rechnungszinses bedarf es nicht (Rz. 53).

Dies sieht zwar auf den ersten Blick recht kompliziert aus – tatsächlich ist es aber nur in sehr wenigen Fällen erforderlich, über die bisher angeforderten Auskünfte hinaus Berechnungsgrundlagen zu ermitteln und Sachverständigengutachten in Auftrag zu geben.

Solange der Ausgleichsberechtigte das Renteneintrittsalter nicht erreicht hat, steht ihm mit der gesetzlichen Rentenversicherung eine Zielversorgung zur Verfügung, durch die die ausgleichsberechtigte Person angesichts des derzeitigen Zinsniveaus eine bessere Versorgung als bei interner Teilung erhalten wird. Der Grenzzinssatz liegt je nach Alter und Geschlecht des Ausgleichsberechtigten zwischen 2,75 % und 4 %. Dies kann sowohl anhand des Berechnungstools von Hauß/Glockner als auch auf der Grundlage der o.g. Tabellen ohne weiteres nachvollzogen werden. Und: Das gilt auch dann, wenn das Ehezeitende lange zurückliegt und der Kapitalwert des Ehezeitanteils dementsprechend mit einem höheren Zins kalkuliert wurde; denn in diesem Fall ist es nach hier vertretener Auffassung nur erforderlich, für den Ehezeitanteil der Versorgung eine aktuelle Auskunft des Quellversorgungsträgers anzufordern, die anhand der zu einem entscheidungsnahen Zeitpunkt geltenden Rechenfaktoren erstellt wurde – und den Vorteil hat, das sie auch die Entwicklung des biometrischen Risikos abbildet, an der der Ausgleichsberechtigte nicht nur bei interner Teilung partizipieren soll, sondern auch, wenn man das Postulat des BVerfG ernst nimmt, dass es aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht hinzunehmen wäre, dass dieser Wertzuwachs verloren ginge, soweit er auf den Ausgleichswert entfällt, ohne dass dies dem Ausgleichsberechtigten zugutekäme.

Hat der ausgleichsberechtigte Ehegatte das Rentenalter erreicht, steht oft nur die Versorgungsausgleichskasse als Zielversorgung zur Verfügung. In diesem Fall kann aber anhand der Tabellen der Verfasser durch den Anwender aufgrund einer sehr einfachen Berechnung ein auskömmlicher Ausgleichswert berechnet werden. Ein Beispiel hierzu finden Sie in dem Aufsatz der Verfasser.

Keine Probleme gibt es in der Regel in den Fällen des Ausgleichs fondsgebundener Anrechte, da hier keine verfassungswidrigen Transferverluste entstehen können, und im Fall des beiderseitigen Leistungsbezugs, da hier die Entstehung verfassungswidriger Transferverluste durch dreiseitige Vereinbarung der Ehegatten und des Quellversorgungsträgers bzw. nach Inkrafttreten von § 19 Abs. 2 Nr. 5 VersAusglG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Versorgungsausgleichrechts durch Option des Ausgleichsberechtigten vermieden werden kann (s. hierzu Bergmann, FamRB 2021, 256).

Lediglich in den Fällen des Ausgleichs kongruent rückgedeckter Anrechte sind im Fall höherer Rechnungszinsen bei länger zurückliegender Zusageerteilung häufiger etwas kompliziertere Berechnungen erforderlich, für die es eines Sachverständigengutachtens bedarf.

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