Verpflichtung zum Antrag auf Veranlagung in den Steuerklassen III und V zugunsten der Insolvenzgläubiger des Ehegatten?
Eheleute sind einander aus § 1353 BGB zur Solidarität verpflichtet. Dies bedeutet einfach gesagt, dass ein Ehegatte dem anderen verpflichtet ist, alle Handlungen vorzunehmen, die dem anderen nützen, wenn sie ihm selbst nicht schaden. In der Praxis spielt dieser Anspruch auf „eheliche Solidarität“ hauptsächlich in Steuerfragen eine Rolle, nämlich beispielsweise dann, wenn ein Ehegatte sich in der für ihn günstigeren Steuerklasse III veranlagen will, was nur möglich ist, wenn der andere Ehegatte zugleich die Veranlagung seines Einkommens in der für ihn ungünstigeren Steuerklasse V beantragt (§ 38b Abs. 1 Nr. 5 EStG). Eine Verpflichtung eines Ehegatten, diese Art der steuerlichen Veranlagung gemeinsam mit dem anderen zu beantragen, besteht nur, wenn sich hierdurch das Familieneinkommen insgesamt und damit auch der Unterhaltsanspruch des steuerlich benachteiligten Ehegatten erhöht, sein Nachteil also zumindest ausgeglichen wird. Dieses Prinzip ist einfach und unmittelbar einleuchtend. Für jeden, der auf dem Gebiet des Familienrechts tätig ist, handelt es sich daher auch um eine Selbstverständlichkeit.
Grundlegendes Unverständnis bzgl. der Herkunft und des Sinnes des Anspruchs auf steuerliche Veranlagung in den Steuerklassen III und V herrscht allerdings - sehr zum Nachteil der meist ohnehin schon gebeutelten Insolvenzschuldner und ihrer Familien - offenbar bei den Insolvenzgerichten. Jedenfalls das Amtsgericht Kleve (AG Kleve v. 26.7.2107 - 38 IN 2/17) und leider auch das Landgericht Kleve (LG Kleve v. 26.10.2017 - 4 T 193/17) als Beschwerdeinstanz stellen das Prinzip der ehelichen Solidarität geradezu auf den Kopf, wenn sie den Ehegatten eines Privatinsolvenzschuldners sogar dann für verpflichtet halten, einer Veranlagung in den Steuerklassen III und V zuzustimmen, wenn es für beide Ehegatten ungünstig ist und das Familieneinkommen insgesamt hierdurch sinkt (!). Der Schuldner mag ja grundsätzlich den Gläubigern gegenüber verpflichtet sein, sich in der für die Gläubiger günstigsten Steuerklasse zu veranlagen, es kann aber doch offensichtlich keine Verpflichtung des Ehegatten des Schuldners bestehen, sich in der für ihn ungünstigsten Steuerklasse zu veranlagen, wenn dies ausschließlich den Gläubigern nützt. Woraus soll sich denn dieser Anspruch ergeben? Ein direkter Anspruch der Gläubiger gegen den Ehegatten des Schuldners scheidet – vermutlich sogar für die Insolvenzgerichte offensichtlich – aus. Aber auch ein Anspruch aus § 1353 BGB besteht nicht. Inwiefern soll es denn eheliche Solidarität darstellen, dafür zu sorgen, dass das in diesen Fällen meist ohnehin schon dürftige Familieneinkommen noch weiter sinkt?
Erstaunlicherweise berufen sich das Amtsgericht und das Landgericht Kleve für ihre interessante Rechtsauffassung auch noch auf die Rechtsprechung verschiedener Senate des Bundesgerichtshofs, wobei keiner der Senate des Bundesgerichtshofs derlei selbstredend jemals geäußert hat. Das Amtsgericht Kleve zitiert für seine Entscheidung die Beschlüsse des BGH v. 5.3.2009 - IX ZB 2/07, v. 3.7.2008 – IX ZB 65/07 und v. 4.10.2005 – VII ZB 26/05. Sämtliche dieser Beschlüsse beziehen sich aber auf die Verpflichtung eines Schuldners, von der für ihn und die Gläubiger ungünstigeren Steuerklasse V in die günstigere Steuerklasse IV zu wechseln. Ja, dieser Wechsel ist natürlich aber auch ohne Mitwirkung des Ehegatten möglich! Immerhin nimmt das Landgericht Kleve in seiner Beschwerdebegründung davon Abstand, die genannten Beschlüsse erneut zu zitieren, bezieht sich aber stattdessen auf eine Entscheidung des Familiensenats des Bundesgerichtshofs, nämlich auf ein Urteil vom 23.3.1983 (BGH v. 23.3.1983 – IVb ZR 369/81), die ebenfalls nicht das Geringste zur Sache tut. In dieser Entscheidung ist nämlich ausschließlich die o.g. bereits geschilderte Selbstverständlichkeit zu lesen, dass ein Ehegatte dem anderen helfen muss, solange es ihm selbst nicht schadet.
Hinweis für die Praxis: Die Situation der Insolvenzschuldner und ihrer Familien ist bzgl. dieser Rechtsfrage einigermaßen katastrophal. Auch wenn die Rechtsprechung der Insolvenzgerichte noch so offensichtlich falsch ist, kann der Insolvenzschuldner sich gegen eine Entscheidung der 2. Instanz nicht wehren, wenn nicht die Rechtsbeschwerde zugelassen wird, denn noch nicht einmal eine Nichtzulassungsbeschwerde ist in diesen Fällen möglich. Außerdem besteht die Gefahr, dass dem Schuldner auch noch die Restschuldbefreiung versagt wird, wenn die Insolvenzgerichte irrigerweise der Auffassung sind, der Schuldner habe durch die „Wahl“ der Steuerklasse IV versucht, seine Gläubiger zu schädigen, obwohl schlicht der Ehegatte die Zustimmung zur Veranlagung in den Steuerklassen III und V verweigert hat (und das auch noch zu Recht). Es bleibt zu hoffen, dass die juristische Literatur zunehmend auf dieses Problem hinweist und die Insolvenzgerichte in Zukunft in derlei Fällen wenigstens die Rechtsbeschwerde zulassen.