Versorgungsausgleich & Barwertberechnung mit ChatGPT?
Versorgungsausgleich & Barwertberechnung mit ChatGPT?
Im Jahr 2020 hat Daniel Kehlmann versucht, im Dialog mit einem mit künstlicher Intelligenz bestückten Rechner eine Kurzgeschichte zu schreiben. Die Kurzgeschichte dieses Scheiterns ist unter dem Titel „Mein Algorithmus und Ich“ erschienen.
Der augenblickliche Hype um ChatGPT hat mich animiert, seine versorgungsausgleichsrechtliche Leistungsfähigkeit zu testen. Das literarische Scheitern der KI bei der Koproduktion einer Kurzgeschichte im Kopf (und Bücherschrank) mache ich die Fallprobe:
Auskunft eines betrieblichen Versorgungsträgers über einen ehezeitlichen Versorgungserwerb von 446 € reine Altersrente im Monat, Alter des Mannes 50 Jahre, Renteneintrittsalter 67. Der Versorgungsträger gibt als Rechnungszins BilMoG-10 an, mehr nicht. Auszugleichen ist also eine Rente in Höhe von 223 € monatlich.
ChatGPT startet und ist – es ist Sonntag – gerade einmal nicht überlastet. In die Eingabezeile tippe ich ein:
Barwert Rente 2.676 € jährlich für 50-jährigen Mann ab Renteneintrittsalter 67, Rechnungszins BilMoG-10, Stichtag 31.12.2022
Es dauert einige Sekunden und das Programm antwortet:
Der Rechnungszins BilMoG-10 bezieht sich auf den Zinssatz, der gemäß dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz von 2009 für die Bewertung von Pensionsverpflichtungen herangezogen wird. Der Zinssatz wird von der Deutschen Bundesbank veröffentlicht und wird jährlich aktualisiert. Zum Stichtag 31.12.2022 beträgt der Rechnungszins BilMoG-10 1,02 %. [das ist falsch, richtig wäre 1,78 %].
Um den Barwert einer Rente von 2.676 € jährlich eines 50-jährigen Mannes mit einem Renteneintrittsalter von 67 Jahren und einem Rechnungszins BilMoG-10 zum Stichtag 31.12.2022 zu berechnen, müssen wir die folgenden Schritte durchführen:
- Bestimme die Anzahl der Zahlungen, die während der Rentenzeit gemacht werden, d.h. die Anzahl der Jahre, die der Mann in Rente sein wird. Hier beträgt die Rentenzeit 67 – 50 = 17 Jahre.[das ist falsch, die Anwartschaftszeit beträgt 17 Jahre, die Rentenzeit rd. 20,6 Jahre].
- Berechne den Barwert der jährlichen Rentenzahlungen, indem du jeden Betrag durch den entsprechenden Diskontfaktor dividierst, der sich aus dem Rechnungszins und der Anzahl der Zahlungen ergibt. Der Diskontfaktor kann mithilfe der Formel (1 + r)^-n berechnet werden, wobei r der Rechnungszins und n die Anzahl der Zahlungen ist.
- Der Diskontfaktor für das erste Jahr beträgt (1 + 0,0102)^-1 = 0,9899. Der Diskontfaktor für das zweite Jahr beträgt (1 + 0,0102)^-2 = 0,9798. Dies wird für jedes Jahr der Rentenzeit durchgeführt.
- Addiere alle Barwerte der jährlichen Rentenzahlungen zusammen, um den Gesamtbarwert der Rente zu erhalten.
Hier ist die Berechnung:
Barwert der Rente = 2.676 x ((1 – (1 + 0,0102)^-17)/0,0102) x (1/ (1 + 0,0102)^1) Barwert der Rente = 2.676 x 13,626 x 0,9899 Barwert der Rente = 36.884,71 €
Daher beträgt der Barwert einer Rente von 2.676 € jährlich eines 50-jährigen Mannes mit einem Renteneintrittsalter von 67 Jahren und einem Rechnungszins BilMoG-10 zum Stichtag 31.12.2022 etwa 36.884,71 €.
Ein Blick in die Auskunft des Versorgungsträger führt zu Irritationen. Dieser gibt als von ihm errechneten Kapitalwert für die externe Teilung 35.130 € an, teilt aber keinen Rententrend mit. Erst der Blick in die Versorgungsordnung gibt Klarheit, der Rente liegt eine Leistungsdynamit (Rententrend) von 1 % zugrunde.
Also kontrolliere ich:
- Der BilMoG-10 Zinssatz beträgt zum Stichtag 31.12.2022 nicht 1,02 %, sondern 1,78 %.
- Die Anwartschaftszeit von 17 Jahren ist richtig angenommen, die Leistungszeit teilt das Programm nicht mit, ist aber offensichtlich mit 20 Jahren angenommen worden; das ist vertretbar, nach der Generationensterbetafel wären 20,6 Jahre zutreffend.
Und dann kontrolliere ich die Berechnung mit den Richttafeln Heubeck-2018-G[1] und ermittle für den von ChatGPT angenommenen Rechnungszins von 1,02 % einen Barwertfaktor für die reine Altersrente von 14,380 und damit einen Ausgleichswert von 38.480 €. Das Programm Kapitalwertkontrolle 2023[2] zeigt einen Ausgleichswert von 37.423 € an ChatGPT liegt also – unter Annahme des zu niedrigen Rechnungszinses – nicht verkehrt.
Mit dem richtigen BilMoG-10-Zins von 1,78 % errechnet sich nach Heubeck ein Ausgleichsbetrag in Höhe von 31.140 € und mit dem Programm Kapitalwertkontrolle 2023 von 30.496 € und nach ChatGPT?
„Daher beträgt der Barwert einer Rente von 2.676 € jährlich eines 50-jährigen Mannes mit einem Renteneintrittsalter von 67 Jahren und einem Rechnungszins von 1,78 % etwa 31.468,28 Euro.“
Damit kann der Familienrechtler leben.
Rechnet man nun noch die Leistungsdynamik von 1 % Rentensteigerung pro Jahr ab Renteneintrittsalter ein, ergibt sich bei Heubeck ein Barwert von 35.077 € und mit dem Programm Kapitalwertkontrolle ein Barwert von 33.778 €. Der vom Versorgungsträger mitgeteilte Barwert von 35.130 € geht also in Ordnung.
So ganz ersetzt ChatGPT den Versorgungsausgleichsrechtler aber noch nicht. Wünscht man eine Berechnung unter Einschluss von Invaliditäts- und Hinterbliebenenabsicherung (60 %) und/oder einer Leistungsdynamik von 1 %, dauert es deutlich länger (offenbar ziert sich das Programm ein wenig), bis dann unsinnige Ergebnisse produziert werden. Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden. Das Programm lernt ja noch und es ist erst ein paar Monate alt.
Ihnen wird beim ersten Hinschauen auf die von ChatGPT verwendeten Formeln auch sicher aufgefallen sein, dass sich in die Berechnung einige „Flüchtigkeitsfehler“ eingeschlichen haben. Das Ergebnis ist aber recht passabel. Zufall?
Und was ist jetzt mit meinem Fall? Der Versorgungsträger will die externe Teilung. Soll er sie aus seinem halbwegs plausiblen Ausgleichswert haben. In der gesetzlichen Rentenversicherung als Zielversorgung liegt der Rentenertrag für meine Mandantin rd. 73 % über dem Rentenertrag aus der Quellversorgung. Ich kann es einfach nicht lassen und frage ChatGPT nach der richtigen Zielversorgung. Da schwächelt ChatGPT:
Der Versorgungsausgleich ist ein wichtiger Bestandteil des deutschen Familienrechts und soll sicherstellen, dass bei einer Scheidung die während der Ehezeit erworbenen Rentenansprüche beider Ehepartner ausgeglichen werden. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: die interne und die externe Teilung. … Bei der externen Teilung werden die Rentenanwartschaften auf einen anderen Rentenversicherungsträger übertragen.
Wählt man die externe Teilung, so muss man sich für eine Zielversorgung entscheiden. … Die Wahl der Zielversorgung sollte wohlüberlegt sein, da sie Einfluss auf die Höhe der späteren Rente haben kann.
Bei der Wahl der Zielversorgung sollte man darauf achten, dass die Rentenversicherung solide und zuverlässig ist und eine ausreichende Rendite erwirtschaftet, um später eine angemessene Rente zu garantieren. …
Es ist empfehlenswert, sich von einem Fachanwalt für Familienrecht oder einem unabhängigen Versicherungsmakler beraten zu lassen, um die bestmögliche Wahl der Zielversorgung zu treffen.
ChatGPT setzt also doch (noch) auf „natürliche Intelligenz“. Wie lange noch? Ich schau in einem Jahr noch einmal nach und werde berichten.
PS: Wer es genau wissen will, kann die Berechnung anhand der nachfolgenden Tabellen prüfen (drauf klicken und es kommt eine größere Version):
[1] Das Programm kann für rd. 1.000 € käuflich erworben werden.
[2] Das Programm kann kostenlos unter https://www.famrb.de/muster_formulare.html beim FamRB heruntergeladen werden.