Wird ertrotzte Kontinuität auch noch belohnt? (zu OLG Hamm v. 25.5.2018 – II-4 UF 154/17)
Fragen der elterlichen Sorge werden häufig von weltanschaulichen Aspekten überlagert. Eine während intakter Beziehung möglicherweise noch gefundene vermittelnde Lösung, in die nicht nur die Erwägungen des jeweils anderen Elternteils einbezogen, sondern vor allem auch die mit der zu treffenden Entscheidung einhergehenden und unmittelbar das Kind betreffenden Folgen bedacht worden wären, scheidet nach Trennung von vornherein aus. Dass unter dem Gesichtspunkt der Kontinuität einseitig getroffene und für das Kind grundlegende Fragen letztendlich unabänderlich werden können, hat sich in Elternkreisen herumgesprochen. Darüber hinausgehend wird bei der Anmeldung von Kindern in Kindergärten und Schulen auch nicht konsequent von den jeweiligen Einrichtungen der Beachtung sorgerechtlicher Befugnisse Rechnung getragen.
Mit der sich hieraus ergebenden Problemantik hat sich das OLG Hamm in einer Entscheidung vom 25.05.2018 auseinandergesetzt: Zwischen den gemeinsam sorgeberechtigten Elternteilen konnte kein Einvernehmen darüber erzielt werden, welchen Kindergarten das 2014 geborene gemeinsame Kind, das seit der Trennung seiner Eltern im Haushalt der Mutter lebte, künftig besuchen sollte. Die Mutter veranlasste im Sommer 2017 eine Anmeldung des Kindes in einem Waldorfkindergarten, den das Kind seitdem auch besuchte. Nachdem der Vater – folgend aus Bedenken seinerseits gegen das pädagogische Konzept dieses Kindergartens – Einwände erhob, beantragte die Mutter, ihr die Entscheidungsbefugnis zur Auswahl des Kindergartens zu übertragen. Das Ausgangsgericht folgte ihrem Antrag, wobei die Beschwerde des Vaters auch nur hinsichtlich der Kostenregelung der erstinstanzlichen Entscheidung Erfolg hatte.
Das OLG Hamm hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass bei der nach § 1628 BGB zu treffenden Entscheidung das Kindeswohl alleiniger Maßstab sei und dem Senat nicht die Entscheidung obliege, ob die Waldorfpädagogik zu billigen sei oder nicht. Die Übertragung der Entscheidungskompetenz zugunsten der Mutter gründe sich darauf, dass sie als tatsächliche Betreuungsperson im Alltag den Kindergartenbesuch unterstützen müsse und die hieraus folgenden Konsequenzen in der praktischen Umsetzung, d.h. weiterer Fahrwege, aber auch den tatsächlichen Auswirkungen der angewandten Pädagogik erlebe. Auch wenn die Mutter im Verfahren zumindest unvollständige Behauptungen aufgestellt habe, um das von ihr gewünschte Verfahrensergebnis zu erzielen, so sei nicht die Bestrafung der Mutter das Verfahrensziel. Entscheidend seien allein der bisherige Zeitablauf und die inzwischen erfolgte Eingewöhnung des Kindes im konkreten Kindergarten, d.h. ein erneuter Wechsel stehe dem Kindeswohl entgegen. Dahinter müsse auch die Tatsache zurücktreten, dass durch den weiteren Besuch dieses Kindergartens umfangreichere Fahrtwege erforderlich würden und auch die bislang praktizierte Umgangsregelung an die Öffnungszeiten angepasst werden müsse.
Im Ergebnis ist die Entscheidung des OLG Hamm nicht zu beanstanden. Sie trägt den gesetzlichen Vorgaben uneingeschränkt Rechnung. Soweit gemeinsam sorgeberechtigte Eltern zu grundlegenden wesentlichen Entscheidungen die das Kind betreffen, kein Einvernehmen erzielen können, sieht § 1628 BGB vor, dass einem Elternteil die alleinige Entscheidungsbefugnis übertragen werden kann. Die zu treffende gerichtliche Entscheidung hat sich dabei allein am Kindeswohl zu orientieren, wobei das Gericht nur die Entscheidungskompetenz zuweisen und keine Entscheidung statt der Eltern zu der konkret in Rede stehenden Streitfrage treffen darf.
Der unbestimmte Rechtsbegriff des Kindeswohls wird in der Rechtsprechung durch verschiedene Kriterien näher präzisiert. Hierzu gehören neben dem Kindeswillen und seinen Bindungen vor allem auch das Förderungsprinzip sowie der Kontinuitätsgrundsatz. Gerade dem Kontinuitätsgrundsatz kommt bei kleinen Kindern hohe Bedeutung zu, auch um einen wiederholten Wechsel von Bezugs- und Betreuungspersonen zu vermeiden. Ebenso soll ein mehrfacher Ortswechsel binnen kurzer Zeit vermieden werden. Um einer sich hieraus möglicherweise ergebenden „ertrotzten Kontinuität“ entgegen zu wirken, hat das BVerfG in seiner Rechtsprechung die Bedeutung einer kurzfristigen gerichtlichen Entscheidung betont.
Zeichnen sich daher möglicherweise eigenmächtige sorgerechtlich relevante Handlungen eines Elternteils ab, die unter dem Aspekt der Kontinuität praktisch irreversibel sind, so sollte unverzüglich gehandelt und ggf. im Eilverfahren eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden.