Anwaltsblog 20/2024: Anforderungen an eine wirksame Mängelanzeige nach § 377 Abs. 1 HGB
Wieder einmal hatte sich BGH mit den Anforderungen an die Mängelanzeige zu befassen, die bei kaufmännischen Kaufverträgen der Verkäufer nach § 377 HGB bei aufgetretenen Mängel unverzüglich zur Wahrung seiner Rechte abgeben muss (BGH, Beschluss vom 23. April 2024 – VIII ZR 35/23):
Die Klägerin bezog von der beklagten Zwischenhändlerin Rohware für die Herstellung von Fertiglebensmitteln. Die Beklagte lieferte ihr am 2. und 21. August sowie am 20. September 2017 insgesamt rund 15 t tiefgekühlte, in Scheiben geschnittene Jalapeños (Paprikaschoten). Bei der Weiterverarbeitung zu Chili-Cheese-Nuggets fiel bei der Klägerin kurz vor Abschluss der Produktion am 13. Oktober 2017 ein scharfkantiges Kunststoffteil zwischen einigen Jalapeños-Scheiben auf. Noch am selben Tag teilte sie der Beklagten telefonisch mit, dass "in der gelieferten Ware Fremdkörper enthalten" seien und übersandte Fotos per E-Mail. Die Fotos zeigen ein schwarzes Plastikteil zwischen tiefgefrorenen Jalapeños-Scheiben, einen Paketaufkleber für einen 10 kg-Karton mit den Angaben "GE805und einer "Lot Nr. M2261108" sowie einen Schein über die Tiefkühleinlagerung von 7.280 kg mit Einlagerdatum 20. September 2017 und Chargennummer 201709020-1701655. Die Klägerin sperrte die bereits produzierten Teilmengen für den Verkauf und rief die schon ausgelieferten Nuggets zurück. Eine Untersuchung der restlichen Rohware bei einem Drittunternehmen ergab das Vorhandensein weiterer Fremdkörper. Mit E-Mail vom 16. Oktober 2017 bestätigte die Beklagte den Eingang der Reklamation und kündigte eine Reaktion an. Am 26. Oktober 2017 teilte sie unter Bezugnahme auf die "Reklamation der von uns gelieferten GE805 - Jalapeños grün in Scheiben" mit, dass sie nach Rücksprache mit ihrem Lieferanten einen Fremdkörperbefund nicht ausschließen könne.
Mit der Klage hat die Klägerin u.a. Ersatz des Warenwerts der bereits produzierten Nuggets sowie für die Einlagerung und Vernichtung der produzierten Ware verlangt. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Kammergericht die Klage abgewiesen. Der Klägerin stehe der geltend gemachte Schadensersatzanspruch aus dem Kaufvertrag bereits deshalb nicht zu, weil er gemäß § 377 Abs. 1, 3 HGB ausgeschlossen sei. Es fehle an einer hinreichend bestimmten Mängelrüge der Klägerin. Die Mitteilung vom 13. Oktober 2017 genüge diesen Anforderungen auch unter Berücksichtigung der übermittelten Fotos nicht. Es sei denkbar, dass sich die Beanstandung auf lediglich einen einzelnen - den abgebildeten - Karton, auf alle Kartons mit der "Lot Nr. M2261108", auf die gesamte Lieferung, auf sämtliche Ware mit der (vorangestellten) Nummer "K5409" aus allen drei Lieferungen oder aber auf die gesamte Ware aus allen drei Lieferungen beziehe. Welche Mangelbehauptung die Klägerin nun konkret erhoben habe, habe ein Empfänger in der Person der Beklagten anhand der Mängelanzeige nicht feststellen können.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung. Dem Berufungsgericht ist eine Gehörsverletzung nach Art. 103 Abs. 1 GG anzulasten. Nach dem Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts war es für das Vorliegen einer hinreichend bestimmten Mängelrüge im Oktober 2017 entscheidend, ob die Beklagte als Verkäuferin aufgrund der ihr seitens der Klägerin bis zum 17. Oktober 2017 überlassenen Informationen das Vorhandensein des behaupteten Mangels der gelieferten Rohware prüfen, eigene Nachforschungen anstellen und ihre Lieferantin in Anspruch nehmen konnte. In diesem Zusammenhang kam dem Vortrag der Klägerin entscheidende Bedeutung zu, wonach die Beklagte mit der E-Mail vom 26. Oktober 2017 über die aufgrund der Beanstandung von ihr zwischenzeitlich ergriffenen Maßnahmen zur Aufklärung und Untersuchung des beanstandeten Fremdkörperbefunds berichtet hat. Auf dieses zentrale Vorbringen zum (tatsächlichen) Verständnis der Beklagten hinsichtlich der ihr übermittelten Informationen ist das Berufungsgericht nicht eingegangen. Vielmehr hat es seine Würdigung, wonach für den Empfänger einer solchen Mängelrüge nicht erkennbar sei, was der Käufer konkret beanstande, allein auf allgemeine Erwägungen zu einem möglichen Aussagegehalt der den Lichtbildern entnehmbaren Informationen gestützt, ohne sich hierbei (erkennbar) mit dem seitens der Klägerin konkret gehaltenen Vortrag zum tatsächlichen Verständnishorizont der Beklagten auseinanderzusetzen. Soweit es dabei darauf verwiesen hat, dass die Beklagte bei der Inanspruchnahme ihres Lieferanten und bei der eigenen Nachforschung vom Umfang der Mängelanzeige abhängig sei, lassen diese vorrangig abstrakt gehaltenen Aussagen darauf schließen, dass das Berufungsgericht das Klägervorbringen zu den konkreten Umständen des vorliegenden Einzelfalls gehörswidrig übergangen hat. Setzt sich ein Gericht mit einem Parteivortrag nicht inhaltlich auseinander, sondern mit Leerformeln über diesen hinweg, ist das im Hinblick auf die Anforderungen aus dem Verfahrensgrundrecht nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht anders zu behandeln als ein kommentarloses Übergehen des Vortrags. Die dem Berufungsgericht unterlaufene Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht, hätte es das Vorbringen der Klägerin in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommen, zur Annahme einer hinreichenden Bestimmtheit der Mängelrüge gelangt wäre.
Fazit: Die Mängelanzeige gemäß § 377 Abs. 1 HGB muss den Verkäufer in die Lage versetzen, aus seiner Sicht und Kenntnis der Dinge zu erkennen, in welchen Punkten und in welchem Umfang der Käufer die gelieferte Ware als nicht vertragsgemäß beanstandet. Ferner soll sie dem Verkäufer ermöglichen, die Beanstandungen zu prüfen und gegebenenfalls abzustellen. Aus diesen Gründen muss die Mängelanzeige Art und Umfang der Beanstandungen zumindest in allgemeiner Form benennen. Angesichts der Beweisnot, in die der Verkäufer mit zunehmendem Zeitablauf zu geraten droht, soll die Mängelanzeige ihn in die Lage zu versetzen, möglichst bald den Beanstandungen durch den Käufer nachzugehen und gegebenenfalls Beweise sicherzustellen. Es bedarf aus diesem Grunde nicht so sehr der Aufdeckung der Ursachen des Fehlers als vielmehr seiner Beschreibung (BGH, Urteil vom 14. Mai 1996 – X ZR 75/94 –, MDR 1996, 918).