17.10.2019

BGH: Berufung auf Unwirksamkeit einer Ersatzzustellung

Portrait von Dr. Frank O. Fischer
Dr. Frank O. Fischer Richter am Amtsgericht

Im Rahmen eines Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil ging es – wie so oft – um die Wirksamkeit von Zustellungen (BGH, Beschl. v. 14.5.2019 - X ZR 94/18). Der Beklagte hatte dem klagenden Luftverkehrsunternehmen, das für ein spezielles (Bonus-)Programm einen inländischen Wohnsitz gefordert hatte, eine Anschrift in Berlin mit dem Zusatz „c/o D.“ mitgeteilt. Die Klägerin warf dem Beklagten dann vor, diverse Täuschungen begangen zu haben und verlangte von ihm die Kosten, die für zahlreiche Flüge entstanden waren. In Berlin wurden die Klageschrift und das Versäumnisurteil auch zugestellt. Seinen Wohnsitz hatte der Beklagte aber tatsächlich in Moskau. LG und KG hatten den zu spät eingelegten Einspruch als verfristet angesehen, der BGH folgte dem jedoch nicht.

Ausgangspunkt der Überlegungen ist, dass die Zustellungen nicht wirksam waren. Eine Ersatzzustellung setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass der Zustellungsempfänger am Ort der Zustellung auch tatsächlich wohnt. Es ist gerade nicht ausreichend, dass der Zustellungsempfänger nur einen zurechenbaren Rechtsschein für die Wohnung erzeugt. Eine erweiternde Auslegung der Zustellungsvorschriften dahingehend ist nicht zulässig. Diese Vorschriften haben formalen Charakter und sichern das rechtliche Gehör.

Diese Sicht der Dinge führt aber in vielen Fällen zu völlig sachunangemessenen Ergebnissen. Entsprechend dem das ganze Recht beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben hat die Rechtsprechung deshalb schon bald Ausnahmen von diesem Grundsatz postuliert: Ein Zustellungsempfänger darf sich auf eine unwirksame Ersatzzustellung dann nicht berufen, wenn er bei dem Gericht oder einem Verfahrensbeteiligten bewusst einen Irrtum über seine tatsächlichen Lebensverhältnisse hervorruft. „Fehlt es an einem solchen Verfahrensbezug des bewusst hervorgerufenen Anscheins einer Wohnung, darf es dem Zustellungsadressaten regelmäßig nur dann versagt werden, sich auf die Unwirksamkeit der Ersatzzustellung zu berufen, wenn er diesen Anschein zumindest insofern zielgerichtet herbeigeführt hat, als er Auswirkungen seines Handelns auf eine Zustellung in einem anhängigen oder möglicherweise bevorstehenden Verfahren in Kauf genommen hat oder sich ihm solche Auswirkungen zumindest aufdrängen mussten.“

Hiervon vermochte der BGH nach den Feststellungen des KG nicht auszugehen. Besondere Feststellung zu einer Unredlichkeit des Beklagten im Hinblick auf das Verfahren wurde vom KG nicht getroffen. Die Umstände, dass der Beklagte gegenüber der Klägerin einmal „bei D.“ und einmal „c/o D.“ angegeben hatte, reichen nicht aus. Beiden Zusätzen kommt keine vollständig eindeutige Wirkung zu. Die Zusätze werden sowohl bei Personen verwendet, die eine Wohnung als Untermieter oder aus sonstigen Gründen mitbenutzen als auch bei Personen, die lediglich sicherstellen wollen, dass sie Post an einer bestimmten Adresse im Inland erreichen kann. Auch der Umstand, dass der Beklagte die Adresse angegeben hat, um unberechtigt an einem speziellen Programm der Klägerin teilzunehmen, reicht nicht aus, um bei der Klägerin eine Fehlvorstellung über die Zuständigkeit auszulösen, zumal der Klägerin bekannt war, dass der Beklagte sich tatsächlich in Moskau aufhält.

Fazit: Wie auch hier, scheitern in der Praxis viele Zustellungen an ihrer Wirksamkeit. Dies kann sehr unangenehme Konsequenzen haben. Eine unwirksame Zustellung kann auch nach Jahren noch geltend gemacht werden. Mitunter ist dann die Verjährungsfrist abgelaufen und es fehlt an verjährungsunterbrechenden Umständen. Für einen Gläubiger kann all dies sehr bitter sein. Das geltende Zustellungsrecht gibt jedenfalls Personen, die sich Zustellungen entziehen wollen, viele Möglichkeiten, ihre Gläubiger zum Narren zu halten.

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