Blog-Update Haftungsrecht: Ersatz der vollen Reparaturkosten auch bei Instandsetzung des Fahrzeugs in der eigenen Werkstatt des Geschädigten (BGH)?
In seinem Urteil vom 26.5.2023 (Az. VI ZR 274/22, MDR 2023, 1044) hat der BGH die Grundsätze der Kosten für die Fahrzeugreparatur infolge von Verkehrsunfällen bei einer Reparatur in der eigenen Reparaturwerkstatt des Geschädigten präzisiert. Vor allem aber hat der BGH diese Grundsätze auch auf die fiktive Schadensabrechnung erstreckt.
Im vom BGH entschiedenen Fall wurde der PKW der Betreiberin einer Kfz-Reparaturwerkstatt (Klägerin) bei einer Kollision mit einem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeug beschädigt. Die Klägerin rechnete die Reparaturkosten fiktiv auf Gutachtenbasis ab. Die beklagte Haftpflichtversicherung zog von den Reparaturkosten 20 % Unternehmergewinn ab, woraufhin die Beklagte auf Ersatz des verbliebenden Betrages klagte. Die Klage wurde in erster Instanz abgewiesen, die Berufung zurückgewiesen. Auch die Revision zum BGH hatte keinen Erfolg.
Bestätigung der Grundsätze zur Instandsetzung in der eigenen Werkstatt
Üblicherweise kann der Geschädigte frei entscheiden, wie er den für die Reparatur erforderlichen Betrag einsetzen will. Auch ein Geschädigter, der sein Fahrzeug in der Freizeit selbst repariert, erhält daher den im Gutachten ausgewiesenen Betrag, der für die Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt erforderlich ist.
Eine Ausnahme gilt aber, wie der BGH 1970 und 1983 für Verkehrsbetriebe mit eigener Werkstatt (BGH v. 26.5.1970 – VI ZR 168/68, BGHZ 54, 82 = MDR 1970, 751; BGH v. 31.5.1983 – VI ZR 241/79, MDR 1984, 39) und 2013 für Kfz-Reparaturwerkstätten entschieden hat (BGH v. 19.11.2013 – VI ZR 363/12, MDR 2014, 213), wenn der Geschädigte Kraftfahrzeuge gewerbsmäßig repariert. Unter Umständen kann man dann nämlich von ihm erwarten, dass er zunächst die Kapazitäten seiner Werkstatt nutzt. Für die Reparatur in einer eigenen Werkstatt des Geschädigten gelten folgende Grundsätze (sh. dazu Zwickel, in: Greger/Zwickel, Haftung im Straßenverkehr, 6. Aufl., 2021, Rz. 27.49):
- Handelt es sich, anders als im nun entschiedenen Fall, um eine Werkstatt, die ausschließlich eigene Fahrzeuge des Geschädigten repariert (z. B. Verkehrsbetriebe), sind nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB grundsätzlich nur die Materialkosten und anteilige Gemeinkosten für die Unterhaltung der Werkstatt als erforderlich anzusehen (BGH v. 26.5.1970 – VI ZR 168/68, BGHZ 54, 82 = MDR 1970, 751; BGH v. 31.5.1983 – VI ZR 241/79, MDR 1984, 39). Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Werkstatt bis an die Kapazitätsgrenze ausgelastet war. Dann sind die Kosten ersatzfähig, die bei einer Fremdreparatur entstanden wären. In diesem Fall, in dem es um die Erforderlichkeit nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB geht, hat der Geschädigte darzulegen und zu beweisen, dass eine Auslastungssituation seiner Werkstatt vorlag.
- Für eine gewerbliche Kfz-Reparaturwerkstatt, die auch Fremdaufträge annimmt, kommt der BGH, wenn auch mit anderer Begründung, zum gleichen Ergebnis: War der Betrieb nicht durch Fremdaufträge ausgelastet, ist der Unternehmergewinn nicht ersatzfähig. Es können dann nur Materialkosten und anteilige Gemeinkosten für die Unterhaltung der Werkstatt beansprucht werden. War die Werkstatt ausgelastet, sind die Kosten für eine Fremdreparatur ersatzfähig. Im aktuellen Urteil vom 26.5.2023 (Az. VI ZR 274/22, MDR 2023, 1044) ordnet der BGH den letztgenannten Fall ausdrücklich der Schadensminderungspflicht des Geschädigten nach § 254 Abs. 2 S. 1 BGB zu. Der Schädiger trägt die Darlegungs- und Beweislast für die ihm günstige Tatsache, dass der Geschädigte nicht durch Fremdaufträge ausgelastet war und diese Kapazität für die Reparatur hätte einsetzen können. Im Rahmen der sekundären Darlegungslast muss aber der Geschädigte seine betriebliche Situation und Umstände, die die Reparatur im eigenen Betrieb unzumutbar machen, konkret darstellen.
Bezug der Grundsätze auf die fiktive Abrechnung
Zu Recht bezieht der BGH diese Grundsätze auch auf den Fall der fiktiven Abrechnung. Die fiktive Abrechnung ist nur ein anderer Weg der Schadenswiedergutmachung. Es wäre daher nicht einzusehen, wenn der Geschädigte bei fiktiver Abrechnung dadurch privilegiert wäre, dass die Auslastung der Werkstatt bei fiktiver Abrechnung keine Rolle spielt. Auch bei der fiktiven Abrechnung kommt es also darauf an, ob die Werkstatt ausgelastet gewesen ist oder nicht.
Problem: Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der Auslastungssituation
Damit ist die Folgefrage schon angedeutet: Welcher Zeitraum ist für die Bestimmung der Auslastungssituation der Fremdaufträge ausführenden Werkstatt bei der fiktiven Abrechnung maßgeblich? Bei der konkreten Schadensabrechnung ist für die Prüfung der Auslastung eines Betriebs zunächst auf den Reparaturzeitraum abzustellen. Darüber hinaus muss man aber auch fragen, ob sich zwischen Unfall und Reparaturbeginn eine Nichtauslastung der Werkstatt mit der Folge des Einsetzens der Schadensminderungspflicht ergeben hat (so auch Heßeler, NJW 2023, 2421, 2422). Noch schwieriger ist es bei der fiktiven Abrechnung. Das Berufungsgericht hatte angenommen, der maßgebliche Zeitraum habe mit der Weiterveräußerung des beschädigten Fahrzeugs geendet. Würde man dem folgen, könnten geschädigte Werkstätten Fahrzeuge stets zeitnah weiterveräußern und dadurch die Schadensminderungspflicht umgehen. Der fiktiv abrechnende Geschädigte wäre dann im Vorteil. Viel spricht deshalb dafür, auch bei der fiktiven Abrechnung auf den Zeitraum der konkreten Auslastung bis zu einer üblichen, gedachten Reparatur zu schauen. Die Beurteilung, wie lange dieser Zeitraum üblicherweise ist, muss der Rechtsprechung der Instanzgerichte überlassen bleiben.
Fazit
Der Entscheidung des BGH ist vollumfänglich zuzustimmen. Insbesondere überzeugt die Annahme, dass eine Reparaturwerkstatt, die Fremdreparaturen mit Gewinnerzielungsabsicht ausführt – soweit die Schadensminderungspflicht des § 254 Abs. 2 S. 1 BGB nichts anderes gebietet – den Unternehmergewinn verlangen kann, während das für eine Werkstatt, die nur eigene Fahrzeuge repariert, nur ausnahmsweise der Fall ist. Geradezu zwingend erscheint die vom BGH vorgenommene Übertragung der für die konkrete Abrechnung erarbeiteten Grundsätze auf die fiktive Abrechnung.