Tsunami
Das BMJV hat am 13. Januar 2020 den Verbänden zur Anhörung einen Referentenentwurf eines Gesetzes zur Förderung der Elektromobilität und zur Modernisierung des Wohnungseigentumsgesetzes (Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz – WEModG) versandt (siehe hier).
Dieser Entwurf ist unerwartet. Er ist maximal radikal. Er ist ein Tsunami. Er ist brillant – echte Kunst. Wie heißt es nicht nur von den Sportfreunden Stiller, sondern auch in der Muppet Show von Kermit: „Applaus, Applaus“!
Soweit auf den ersten Blick erkennbar, werden unter der natürlich nicht zwingenden Prämisse, dass die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums vollständig über die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu organisieren ist (die Vertretung der Wohnungseigentümer durch den Verwalter entfällt dabei vollständig), sämtliche bekannten Friktionen des heutigen WEG widerspruchsfrei und höchst elegant gelöst. Die Änderungen des WEG 2007, angesichts des WEModG wie biederes Handwerk anmutend, werden dabei an vielen Stellen schlicht verbrannt. Zu Recht! Und auch dem Versuch, auf das Überkommende einfach aufzubauen, wird grundsätzlich widerstanden.
Das bisherige WEG wird, käme das WEModG, nahezu vollständig atomisiert – bestimmt zur Freude der deutschen Buchverlage. Fast alles wäre deshalb neu zu durchdenken (Beispiele: Wer schuldet Schadensersatz bei der Verzögerung/Nichtdurchführung von Erhaltungsmaßnahmen? Kann man die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ohne § 27 Abs. 1, Abs. 2 WEG immer noch als Verbraucherin ansehen? Kann man der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer das Wissen der Wohnungseigentümer zurechnen? Kann man noch Amateurverwalter als geeignet ansehen, auch wenn der Verwalter eigentlich nicht zwingend ist?).
Die bisherigen Bibliotheken sollten beim Inkrafttreten des WEModG zwar nicht verbrannt werden, wären aber nur noch teilweise brauchbar. Das fängt beim Sachenrecht an, geht über die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, den Gebrauch, die Umlageschlüssel, die Verwaltung, die Versammlung, den Verwalter, das Wirtschaftswesen zum Verfahren. Nichts bleibt unangetastet. Alles würde anders – und offensichtlich besser. Und grundsätzlich nichts wird vergessen. Durch § 47 WEG-E auch nicht die bisherigen Gemeinschaftsordnungen, die von diesem WEG nicht träumen konnten. Diese Bewertung gilt dabei auch für den gegenüber dem im Arbeitsgruppenbericht Angedachten wenigstens gut erträglichen § 556 Abs. 3 BGB-E. Selbst das GKG bekommt einen vertretbaren neuen § 49.
Natürlich würden Probleme nicht ausbleiben. Es wird voraussichtlich beispielsweise bei der Vertretung der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (§ 9b Abs. 2 WEG-E) zu Knacknüssen kommen, wenn es für einen Wohnungseigentümer gilt, gegen den Verwalter vorzugehen. Denn der vorgesehene Weg läuft bei § 46 Nr. 8 GmbHG nach meiner Beobachtung nicht reibungslos und nicht immer rund. Gegebenenfalls kommt vor diesem Hintergrund auch die actio pro socio ins WEG-Denken (§ 18 Abs. 3 WEG-E wird da eher nicht helfen). Vor allem werden die Kommentare bei der Zentralvorschrift für die Geschäftsführung in § 27 Abs. 1 WEG „liefern“ müssen. Der Begriff „gewöhnlich“ ist bei näherem Hinschauen wunderbar gewählt, aber natürlich maximal intransparent. Das ist aber bei der erkennbaren Muttervorschrift, dem § 116 Abs. 1 HGB, freilich auch nicht anders. Solche neuen Schlachtfelder sind im Übrigen nie zu vermeiden.
Natürlich hätte und kann man wie der Häwelmann oder des Fischers Frau noch mehr wollen. Musste etwa § 28 WEG karg ausfallen? Solche Kleinarbeit, wäre sie nötig, kann aber getrost späteren Reformen und neuen Generationen überlassen werden. Hier nur ein einziger Wunsch: Für § 23 Abs. 3 WEG ein vernünftiges Quorum! Das erlaubte APP-Abstimmungen. Alle Stimmen sind einfach zu viel.
Fazit: Das WEModG führte das WEG ins 21. Jahrhundert. Den Zöpfen, die es abschneidet, sollte keiner nachtrauern. Dem Entwurf ist daher zu wünschen, dass er die Anhörungen und das parlamentarische Procede ohne wirkliche Blessuren übersteht. Er hat es mehr als verdient. Da im Übrigen alles aufeinander aufbaut, kann nur vor jedem Eingriff gewarnt werden. Beispielsweise die maximale Privatautonomie, die er gewährt, sollte niemand antasten (auch nicht Karlsruhe). Und beim „jetzt“ sollte es nicht bleiben.
Die vertretbare Alternative (mit der ich selbst immer geliebäugelt habe und die gegebenenfalls dogmatisch Präferenzen hat), wäre grundsätzlich der Weg zurück ins Jahr 2005 gewesen. Man hätte also das Sachenrecht stärken und das Gesellschaftsrecht zurückdrängen müssen. Das WEModG, das den Wohnungseigentümer als Eigentümer auch des gemeinschaftlichen Eigentums hingegen bewusst schwächt (vor allem bei der Abwehr von Störungen und bei der Möglichkeit, den Verwalter zur Einhaltung seiner Pflichten anzuhalten), entspricht aber wohl der Realität und den Wünschen der Wohnungseigentümer und denen der Verwalter.
Was noch dringend, am besten noch in 2020 zu tun bleibt, ist ein Sachkundenachweis oder ein anderes Instrument, das verhindert, dass ungeeignete Personen das Amt des Verwalters ausfüllen. Amateure und andere ungeeignete Personen wären Gift für eine Akzeptanz von § 9b Abs. 1 Satz 1 WEG-E und § 27 Abs. 1 WEG-E. Die ungeheure Macht, die diesen Bestimmungen innewohnt, muss von einem Fachverwalter gezügelt und beherrscht werden. Den Riegel des § 27 Abs. 1 WEG-E (= gewöhnlich kann hier sein, was es dort nicht ist), muss man schieben können!